Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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7. Dezember 1969 Loriots Gedicht "Advent" wird veröffentlicht

Gerahmt von tannenduftender Adventsstimmung schildert das Gedicht "Advent" den Mord einer Försterfrau an ihrem Gatten sowie dessen anschließende Zerteilung für den späteren Verzehr. Loriot sorgte mit dieser Art Humor in der Weihnachtszeit für Aufregung vom Rundfunkrat bis in den Bundestag. Autorin: Justina Schreiber

Stand: 07.12.2023 | Archiv

07 Dezember

Donnerstag, 07. Dezember 2023

Autor(in): Justina Schreiber

Sprecher(in): Johannes Hitzelberger

Redaktion: Frank Halbach

Paarbeziehungen gehören zu den größten Herausforderungen des Alltags. Wie kriegen andere Leute das verflixte Zweierleben bloß hin? Du siehst im Vorbeigehen von Kerzenlicht erhellte Fenster und denkst dir: die haben es aber nett! Doch Vorsicht mit Projektionen, mahnt die Küchenpsychologie. Vielleicht zerlegt ja hinter der hübschen Fassade gerade eine Frau die Leiche ihres Mannes in handliche Stücke. Ha, ha, reingefallen! Eigentlich ist Gewalt in der Ehe echt nicht lustig, besonders für Frauen nicht, die ja meist die Leidtragenden sind. Aber nicht immer.

Ein Beispiel lapidarer Entmythologisierung

Am 07. Dezember 1969 veröffentlichte der Karikaturist Loriot im Deutschen Fernsehen in der Serie „Cartoon“ erstmals sein Gedicht "Advent". Eine seiner typischen Zeichentrickfiguren, ein biederes Knollennasenmännchen in Krawatte und Anzug trug das Epos vor: Sternlein blinken und Flöcklein sinken im heiteren Maß der vierhebigen Jamben. Doch die "wunderschöne Nacht" reimt sich dann eben auf "Förster umgebracht". Loriots einziger lyrischer Text bezieht seinen Witz aus der Fallhöhe zwischen heimeligem Niklasabend-Tonfall und makabrem Inhalt. Es ist allerdings fraglich, ob dieses Adventsgedicht deshalb als (Zitat:) "Beispiel lapidarer Entmythologisierung in den Balladenschatz jedes deutschen Haushalts gehören sollte", wie ein Kritiker meinte. Als Beispiel für den traditionellen, leider noch längst nicht überwundenen Geschlechterkampf hat es dagegen 100 Punkte verdient. Der Förster stand der Gemahlin nämlich beim Putzen im Weg. Ach ne. Die tüchtige Hausfrau schafft es nach der Tat umso flotter, den zerteilten Gatten hübsch zu verpacken, um die Geschenke dann Knecht Ruprecht für die Armen mitzugeben. Ein Filetstück behält sie für sich selbst als Festtagsbraten zurück. Ist die Angst des Mannes vor der verschlingenden Frau also doch berechtigt? Schnapp, weg ist er.

Plausible Eskalation

Ha, ha, ha. Sigmund Freud hätte seine Freude an dem Loriot’schen Grusel-Poem gehabt. Das Unbewusste spielt dem Menschen ja die seltsamsten Streiche. Ende der 1960er Jahre erregte die blasphemische Zerstörung der vorweihnachtlichen Stimmung noch die Gemüter. Die steten Wiederholungen im Fernsehprogramm trugen dazu bei, dass Stammtischrunden heute unisono aus dem Gedicht zitieren können: "Voll Sorgfalt legt sie Glied auf Glied – was der Gemahl bisher vermied". Äh, was genau? Das klingt, siehe oben, schon arg sexuell verklemmt. Aber Potenzmittel oder eine Paartherapie hätten den fiktiven Gatten-Mord wohl kaum verhindert. Im Kontext des Loriot‘schen Gesamtwerkes erscheint die weibliche Gewalttat wie eine plausible Eskalation. In zahlreichen Sketchen und Szenen wird ein Pantoffelheld von seiner Frau gegängelt. Warum wehrt er sich denn nicht gegen dieses ewige Zurechtgezupfe, die Bloßstellungen und nervigen Fragereien im Stil von "Hermann, was machst du da?" Weil sich Vicco von Bülow zum Anwalt des unterdrückten Ehemanns gemacht hat. Schaut her, welch stilles Martyrium. Ob das schenkelklopfende Publikum mit Hilfe von Loriots Knollennasenmännchen die eigenen Aggressionen nun sublimiert oder kompensiert, ist letztlich egal. Hauptsache, der Frieden zu Hause trügt nicht.


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