Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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13. Juni 1934 Hollywood wird prüde

Hollywood in den 1930er Jahren: Ein Blick auf zahllose Filme offenbart: Sodom und Gomorrha! Es braucht eine Instanz, die festlegt, was moralisch akzeptable Darstellungen von Kriminalität, von sexuellen und von politischen Inhalten sind. Der US-Politiker William Harrison Hays wird der "Pate" des Hays Code. Autor: Simon Demmelhuber

Stand: 13.06.2022 | Archiv

13.06.1934: Hollywood wird prüde

13 Juni

Montag, 13. Juni 2022

Autor(in): Simon Demmelhuber

Sprecher(in): Caroline Ebner

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Frank Halbach

Sünde, Ausschweifung, Laster, Unzucht - Satans Kerngeschäft ist ein Dauerläufer. Trotzdem: Ein bisschen Werbung und frische Ideen können nicht schaden. Das fördert die Kundenbindung, hält die Stammklientel bei Laune und spricht neue Zielgruppen an. Da trifft es sich gut, dass gegen 1900 ein wahrhaft höllischer Marketinghelfer in Serie geht: Das Kino kommt in Mode, ganz besonders in Amerika. Dort bitten bald nach der Jahrhundertwende über 3.000 Nickelodeons zum schwarzweiß ruckelnden Bilderrausch.

Sodom und Gomorrha

Was die Flimmerspelunken präsentieren, lässt verkniffene Tugendwächter abwechselnd scham- und zornrot erglühen: Sodom und Gomorrha, Verfall und Verrohung ohne Ende! Doch getrost! Kein ungefestigtes, einfältiges Schäflein ist den Einflüsterungen dieser Balz- und Brutstätten des Bösen schutzlos ausgeliefert. Noch gibt es wachsame Hirten, die nicht nur warnen, sondern immer lauter mehr Anstand, mehr Gottesfurcht und vor allem harte nationale Zensurgesetze fordern!

Das sieht nicht gut aus für Hollywood. Die Empörungsmeute schüchtert Geldgeber, Verleiher und Politiker ein, da braut sich was zusammen! Besser man regelt das selbst, bevor es andere tun. Um jeder staatlichen Einmischung vorzubauen, heuert der aufgeschreckte Dachverband der Filmproduzenten den sittenstrengen Republikaner William Hays an: Er soll ethische Leitlinien entwickeln, die den drohenden Sturm abwehren.
Das funktioniert nicht wirklich gut. Kein Drehbuchautor, kein Regisseur hält sich an die vorerst freiwillige Selbstkontrolle. Im Gegenteil: Anfang der 30er Jahre schreddert Hollywood den amerikanischen Traum. Die heile Welt platzt, Realismus regiert. Wenn dann auch noch Jean Harlow oder Mae West starke Frauen ohne Beißhemmung und Unterwerfungsgen geben, knistert in den Kinos nicht nur die Tonspur.

Hays und das moralisch Akzeptable

Große Filmkunst, klar. Aber die Kirchen schäumen, die Moralwächter toben. Höchste Zeit, die Reißleine zu ziehen. Am 13. Juni 1934 stellen die Produktionsfirmen den Hays Code scharf. Ab jetzt muss jedes Drehbuch, jeder Film, jeder Star den Werte-TÜV bestehen. Im Klartext: Schluss mit schlüpfrig, Schluss mit zynisch, Schluss mit brutal! Rassenmischung, Homosexualität, Pazifismus? No way! Kritik an Regierung, Kirche, Armee? Hochverrat! Das mit den Bienen und Blumen? Kommt nicht in Frage! Mütter ohne Ehering? Schamlos! Das Dekolleté zu tief? Bedecken! Die Achseln parfümieren? Eijeijeijeijei! Wenn das schon so anfängt! Küssen? Puh! Eher so die Lippen behauchen. Aber nicht zu lang. Und nur im Freien. Weil länger und drinnen - der Teufel schläft nie!

Das verschwitzte Hays-Regiment gängelt Hollywood bis in die späten 1950er Jahre. Dann bröckelt die Drohkulisse. Autoren und Filmemacher fangen an, das System offen oder versteckt und bisweilen meisterhaft auszuhebeln. Unvergesslich, wie Hitchcock ein frisch getrautes Paar in den Ehetunnel fädelt! 1967 wird der Code offiziell eingemottet. Wie viel nackte Tatsachen zumutbar sind, woran man glaubt oder zweifelt, was Kunst und Schmutz, was gefällt und erlaubt ist, entscheidet jede und jeder jetzt endlich wieder allein für sich selbst.


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