Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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29. Juni 2017 Das große Eszett (ẞ) wird amtlich

Über seine Aufnahme in das deutsche Alphabet wurde seit Ende des 19. Jahrhunderts diskutiert: Das große ẞ beziehungsweise das große scharfe S, das versale ß, das große Eszett, die ß-Majuskel. Seit dem 29. Juni 2017 ist das große Eszett (ẞ) endlich Bestandteil der amtlichen deutschen Rechtschreibung. Autor: Thomas Grasberger

Stand: 29.06.2023 | Archiv

29 Juni

Donnerstag, 29. Juni 2023

Autor(in): Thomas Grasberger

Sprecher(in): Caroline Ebner

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Frank Halbach

Immer länger wird sie, die Rote Liste der aussterbenden Tier- und Pflanzenarten. Und nur selten kommt es vor, dass eine Art, die als verschwunden gilt, eines Tages doch wieder auftaucht. Der Vietnamesische Maushirsch zum Beispiel. 28 Jahre lang hat der kleine Paarhufer aus der Familie der Hirschferkel die Weltöffentlichkeit gemieden. Nur um 2018 völlig überraschend sein Comeback im Rampenlicht der Wissenschaft zu feiern. Zufällig aufgenommen von einer versteckten Kamera, irgendwo im Dschungel Südostasiens. In solchen Fällen sprechen die Gelehrten dann von einer Sensation und erklären, wie es dazu kommen konnte: Durch den sogenannten Lazarus-Effekt. Benannt nach der biblischen Figur Lazarus von Bethanien. Der war auch vier Tage mausetot im Grab gelegen, bevor ihn Jesus von Nazareth auf wundersame Weise wieder zum Leben erweckte.
Nun war unser Maushirsch - anders als Lazarus - nie wirklich tot, sondern nur vorübergehend abgetaucht. Weshalb der Begriff Lazarus-Effekt eigentlich nicht recht passt.

Das lange bedrohte "ß"

Wir wollen ihn dennoch verwenden und sogar noch etwas ausweiten, auf die Welt des Alphabets. Denn auch unter den Buchstaben gibt es Maushirsche, die scheinbar schon ausgestorben ihre Renaissance erleben. Das kleine scharfe S zum Beispiel. Lange stand es als bedauernswerter Kandidat auf der Roten Liste.

Dank der höchst umstrittenen Rechtschreibreform von 1996 war dieser Buchstabe fast schon am Ende. Das schöne Wort Fluss zum Beispiel, bis dahin auf einem scharfem S fußend, stand fortan auf tönernen Füßen und ward mit zwei banalen S geschrieben.

Den meisten Schreibkundigen war das egal. Denn das scharfe S genoss eh keinen guten Ruf, gehörte es doch zur Riege der alphabetischen Nutztiere, deren Nutzen sich vielen nie so recht erschloss. Aber auf wundersame Weise hat unser scharfes S dann doch überlebt, irgendwie. Und sich sogar vermehren können.

Der große Bruder

21 Jahre nach der heiß diskutierten Rechtschreibreform - heiß übrigens weiterhin mit scharfem S - bekam eben dieses kleine "scharfe S" einen großen scharfen Bruder: Am 29. Juni 2017 erblickte das große Eszett das Licht der Welt, höchst amtlich. Denn vor allem für Eigennamen in amtlichen Ausweisen und Behördenbriefen sei dieser neue Buchstabe wichtig, ließ der Rat für deutsche Rechtschreibung wissen. Eigennamen werden in Dokumenten nämlich oft mit Großbuchstaben gedruckt. Weil es bis dato kein großes Eszett gab, wurde oft fälschlich Doppel-S verwendet. Womit nun endgültig Schluss sei, hieß es.

Ach ja, man sah sie förmlich vor Augen, die glücklichen Gesichter jener Eigennamen-Träger mit scharfem S. Auch Ihnen konnten nun endlich Steuerbescheide und Strafzettel ordnungsgemäß und mit großem Eszett zugestellt werden. Unseren Rechtschreibreformern sei Dank. Sie hatten der Menschheit einmal mehr bewiesen: Nix ist fix im Leben, alles im Wandel, alles im Fluss. Äh, wie schreibt man den gleich wieder? Kurzes u, also zwei S, oder? Aber was, wenn es ein ganz langer, breiter und großer Fluuuuuuuss ist? Kriegt er dann das große Eszett? Wo ist das gleich wieder, auf der Tastatur? "Ah da!" - Na, Schmarrn! Das ist ein Fragezeichen. Macht aber nix, schaut ja fast genauso aus.


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