Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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27. Juli 1950 Die DDR führt den Titel "Held der Arbeit" ein

Produktivität über alles: So könnte das Mantra des Kapitalismus lauten. Im Sozialismus der DDR fiel Produktivsein schwerer. Ein neuer Weg musste also her, die Werktätigen zu motivieren. So ersann man die Auszeichnung "Held der Arbeit". Nicht alle machte der Orden glücklich. Autor: Sebastian Kirschner

Stand: 27.07.2023 | Archiv

27 Juli

Donnerstag, 27. Juli 2023

Autor(in): Sebastian Kirschner

Sprecher(in): Christian Baumann

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Susi Weichselbaumer

Morgens 6 Uhr: raus aus den Federn! Schnell vielleicht eine Runde Sport, bevor die Kinder aufstehen. Duschen, dann zack zack Frühstück, bevor Schule und Arbeit rufen. Danach schnell los, Zeit ist schließlich Geld. Und davon haben wir eh immer viel zu wenig.

Das Korsett des Kapitalismus ist eng, und doch zwängen wir uns nur allzu gern hinein. Die Aussichten sind ja auch verlockend: Wer nur hart genug arbeitet, der kann aus sich und seinem Leben etwas machen - so das Versprechen, dem viele von uns hinterhereilen. Und deshalb schaffen, schaffen, nur nicht trödeln. Immer effizient sein, immer getrieben. Nur die Harten kommen in den Garten. Und die Wirtschaft kurbelt es ja auch irgendwie an.

Schneller, höher, weiter

Blöd nur, wenn das politische System Produktivität gar nicht erst vorsieht. Wenn wie in der einstigen DDR die Planwirtschaft nur ein Soll vorschreibt, das es zu erfüllen gilt. Eine offizielle Arbeitsnorm, die das Pensum diktiert, aber Fleiß und Wirtschaft damit einen Deckel verpasst. Zum Davonlaufen mag das für manch heutige Ohren klingen. "Nicht hetzen - wir sind bei der Arbeit und nicht auf der Flucht": Bezogen auf die DDR bekommt der olle Postkartenspruch eine ganz neue Bedeutung.

Alles easy

Doch auch den Genossen dürfte schnell klar gewesen sein, dass sie die Motivation ihrer Werktätigen steigern müssen. Nur wie? Hübsche Plastikkärtchen zum Punkte sammeln wie heute gibt es damals noch nicht.

Also muss - ganz in sozialistischer Manier - ein Orden her. Am 27. Juli 1950 ist es soweit: Eine silberne Medaille, mit Hammer, Sichel und zwei Lorbeerzweigen soll es richten. Oben drauf gibt es 10.000 Ostmark und Vorteile, wenn es darum geht, eine neu gebaute Wohnung oder einen Urlaubsplatz zu bekommen. Fertig ist der Orden "Held der Arbeit".

Fehlt nur noch eines: ein Vorzeige-Held, dem andere nacheifern können. Den findet der DDR-Ministerrat im Zwickauer Bergmann Adolf Hennecke. Der hatte schon zwei Jahre zuvor unter Tage sämtliche Normen übererfüllt. In einer Schicht fast viermal so viel Kohle gefördert wie offiziell verlangt. Das war zwar für Propagandazwecke und nur mit jeder Menge Hilfe geschehen - aber das muss ja niemand wissen.

Der Titel "Held der Arbeit" - aus Sicht der SED-Führung wahrscheinlich ein Erfolg. Maximal 50 Ausgezeichnete pro Jahr machen den Orden einigermaßen exklusiv und die Vorteile den Titel begehrt. Öffentlichkeitswirksame Großtaten werden organisiert - und überprüfen kann die Realität niemand. Aber das ist eigentlich auch egal. Denn so wirklich glaubt ohnehin keiner an derart massive Normübererfüllung.

So auch bei Adolf Hennecke. Der wird zwar von der DDR mit Ehrungen überhäuft, wird Mitglied im Zentralkomitee der SED und hat als Funktionär bis an sein Lebensende quasi ausgesorgt. Aber für seine einstigen Kumpels unter Tage macht ihn das zum Verräter, der ihnen nur das Arbeitspensum nach oben geschraubt hat. Eine Gallionsfigur, der man die Fensterscheiben einwirft und die Autoreifen zersticht. Naja, vielleicht stimmt es eben doch: Wer trödelt, der hat mehr vom Leben.


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