Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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31. März 1959 Der Dalai Lama flieht nach Indien

Bis zuletzt hatte China versucht, den Dalai Lama auf seine Seite zu ziehen, das heißt, zu seiner Marionettenfigur in Tibet zu machen. Doch der "Papst des tibetischen Buddhismus" floh verkleidet aus seinem Palast. Am 31. März 1959 erreichte er die Grenze nach Indien.

Stand: 31.03.2010 | Archiv

31 März

Mittwoch, 31. März 2010

Autor: Florian Hildebrand

Redaktion: Thomas Morawetz

Das Reich der Mitte hat an seinen Grenzen nichts als Probleme. Uiguren proben den Aufstand, Tadschiken lassen Bomben hochgehen, tibetische Studenten rebellieren. Die Konflikte, die dahinter stehen, schwelen letztlich seit Jahrhunderten, denn die Chinesen drängt es so reflexartig wie traditionell zur Expansion. Schon vor 200 Jahren wollte China den Mönchsstaat im Himalaja kassieren. Erst mit Mao Zedong ist ordentlich Druck in die Eroberung Tibets gekommen. Das endete 1959 spektakulär mit der Flucht des Dalai Lama aus seinem Gottesstaat.

Jetzt, nach einem halben Jahrhundert, kommt auch die wirtschaftliche Kolonisierung Tibets richtig in Gang. Mit dem eiligen Bau der 2.000 Kilometer langen Eisenbahnstrecke nach Lhasa hat Peking dafür ein überdeutliches Zeichen gesetzt. Unter der abgelegenen tibetischen Hochebene verbergen sich reichlich Bodenschätze, für die sich die Tibeter wohl nicht interessierten. Dafür umso mehr Peking, das jetzt in großem Stil Geld und Technik investieren kann, um zum Beispiel Kupfer und Lithium zu schürfen, beides Metalle, die vor allem in der Computertechnologie gefragt sind.

Aus heutiger Sicht ist es mehr als unwahrscheinlich, dass es dem Dalai Lama gelungen wäre, sein Land vor der chinesischen Herrschaft zu bewahren, selbst wenn er zu Kreuze, treffender gesagt, zum roten Stern gekrochen wäre. Anfangs hatte er noch die Illusion, mit Peking verhandeln zu können. So ließ er sich zum Vorsitzenden jenes Komitees ernennen, das den Mönchsstaat zu einer gehorsamen Provinz unterwerfen sollte. Da standen indes schon über 200.000 chinesische Soldaten im Land.

Dass die es später mit einigen zehntausend Aufständischen zu tun bekamen, wundert einen nicht. Tibet war damals alles andere als ein glückseliger Staat buddhistischen Lächelns. Äbte achteten oft mehr auf Prunk und Protz als auf Pilgerschaft und buddhistische Passion. Immer wieder wurden Dalai Lamas wie in europäischer Feudal-Tradition vergiftet. Klöster kämpften gegeneinander bis aufs Blut und hielten sich entsprechend einheimische Söldner unter Waffen. Die wagten, da nun aus dem Osten ein gemeinsamer Feind auftauchte, den Aufstand gegen China. Doch die tibetischen Soldaten waren machtlos gegenüber dem aggressiv von außen eindringenden kommunistischen Imperialismus. Der hatte bis zuletzt versucht, den 14. Dalai Lama, also das geistlich-weltliche Staatsoberhaupt, auf ihre Seite zu ziehen, sprich zu ihrer Marionettenfigur zu degradieren. Doch Tendzin Gyatsho leistete hinhaltenden passiven Widerstand. Schließlich musste er im März 1959 bei Eis und Schnee insgeheim seinen Sommerpalast  verlassen, nachdem chinesische Rotarmisten den Bau beschossen hatten.

Im Soldatenmantel verkleidet und mit umgehängtem Gewehr - ausgerechnet der Dalai Lama -, begleitet von seiner Familie und engsten Beratern, machte sich Gyatsho auf den Weg Richtung Indien ins Exil. Nach 14 Tagen, am 31. März 1959, erreichte er die Grenze. "Das Überschreiten", so schrieb er später, "hatte nichts Dramatisches an sich. Das Land war auf beiden Seiten der Grenze öde und unbewohnt. Ich sah es nur durch einen Nebel, denn ich war krank, erschöpft und unglücklich - viel unglücklicher als ich es zu sagen vermag." Mächtiges Unglück auch für sein Land, aber im Westen machte er viele glücklich, als Ikone des friedlichen, geistigen und geistlichen Rebellen und als fröhlich-bescheidener Papst des tibetischen Buddhismus, mit dem wir Westlichen es uns so viel einfacher machen können als mit unserer hausgemachten Religion. 


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