Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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23. März 1900 Erich Fromm geboren, Kritiker

Die Massen begeistert er leichter als seine akademischen Kollegen. Dabei entzieht sich Erich Fromm sein Leben lang scheinbar schlüssigen Denkmustern. Vielleicht lässt ihn gerade das zu einem der einflussreichsten Psychoanalytiker des 20. Jahrhunderts werden. Autor: Claire-Lise Buis

Stand: 23.03.2015 | Archiv

23 März

Montag, 23. März 2015

Autor(in): Claire-Lise Buis

Sprecher(in): Andreas Wimberger

Illustration: Angela Smets

Redaktion: Susi Weichselbaumer

Der Junge studiert den Talmud, verweilt eine Zeit lang in den Bibliotheken der juristischen Fakultät Heidelbergs. Max Weber und Sigmund Freud liest er jedoch lieber als die Gesetzbücher. Die Lehre Webers, die Soziologie, fasziniert ihn - genauso wie die Entdeckung des Unbewussten durch die Psychoanalyse.
Für die Eine geht es um die Gruppe; für die Andere um die Seele jedes Einzelnen. Doch Fromm ahnt es schon: So widersprüchlich, wie es scheint, sind die beiden Ansätze nicht. Die Intuition des Studenten wird zur lebenslangen Aufgabe.
Er wird Psychoanalytiker und bemüht sich dabei, neben der Arbeit mit Patienten, die Wechselbeziehung zwischen den Strukturen der Gesellschaft und dem psychischen Leid der Individuen zu verstehen.

Neue Brücken, neue Wege

Brücken schlagen, sich von Denkmustern zu befreien: Das kann Erich Fromm, der am 23. März 1900 in Frankfurt am Main geboren wird, besonders gut. Auf seinem Lebensweg von Deutschland bis in die Schweiz, über Amerika und Mexiko, löst er sich von zahlreichen Orthodoxien. Zunächst der Jüdischen: Eines Tages beißt er genüsslich in eine Bratwurst.

Die Theorie Freuds ist für ihn ebenfalls kein unantastbares Dogma.
Nach Lehranalysen bei Schülern des großen Meisters gründet Fromm mehrere Institute, betreibt eine eigene Praxis. Der Mensch sei keineswegs, wie Freud behauptet, von natürlichen Trieben gesteuert. Das, was Fromm "Charakter"nennt, wurzelt viel mehr in der familiären und sozialen Umwelt. Den Vater als einzige Figur der Autorität zu sehen, sei ein weiterer Irrtum konservativer Freudianer.

Der Papa wird’s eben nicht schon richten

Und Fromm distanziert sich von einer dritten Orthodoxie: dem Marxismus.
Er schätzt Marx als säkularen Utopisten. Abscheulich findet er allerdings den Kommunismus. Genauso wie der Kapitalismus sei er ein Ergebnis des Neids,
des Triumphs des Habens über das Sein.

Der Freigeist heiratet drei Mal, liebt und trennt sich noch öfters. Er hat Freunde und Feinde, insbesondere unter den selbsternannten Wächtern der Wahrheit. Als er Anfang der 1930er-Jahre Deutschland verlässt, gehört er dem Institut für Sozialforschung um den Sozialphilosophen Max Horkheimer an. Mit dem Kollegen Adorno gibt es jedoch Verstimmungen. Finanzielle Schwierigkeiten dienen als Vorwand, ihm 1939 den Vertrag zu kündigen. Es wird lange dauern, bis Fromms Beitrag zur sogenannten "Kritischen Theorie"der Frankfurter Schule anerkannt wird.

Und es sind viele, die Fromm seine theoretische Unzulänglichkeit vorwerfen. Tatsächlich kann der Autor besser die Massen begeistern als die akademische Elite. Er wird zum Liebling der Friedensbewegung, schreibt Bestseller über die Konsumgesellschaft, über die Liebe - eine Kunst, meint er - und über unseren leichtsinnigen Umgang mit der Umwelt. Naiv-gutwillig, lästern Feuilleton-Redakteure zu seinem 100. Geburtstag. Fromm wäre es ziemlich egal gewesen. Wir sollten aufhören, uns selbst mit Marketing-Strategien verkaufen zu wollen, so der Analytiker.

Seinen Lebensabend verbringt er im Tessin. Kurz vor seinem Tod 1980 sagt er noch über seine Herkunft als das Einzelkind von neurotischen Eltern:
"Ich habe versucht, die Schäden einigermaßen zu reparieren".  


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