Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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18. März 1950 Erstes Konzert Konkreter Musik

Sie haben die Grundlagen für das DJ-Handwerk gelegt. Dabei wollte bei ihrem ersten Konzert noch gar kein rechter Applaus aufkommen. Ihre neue "Konkrete Musik" empfanden viele maximal als Lärm, wenn auch gesampelten und arrangierten Lärm.

Stand: 18.03.2014 | Archiv

18 März

Dienstag, 18. März 2014

Autor(in): Markus Mähner

Sprecher(in): Ilse Neubauer

Illustration: Angela Smets

Redaktion: Susi Weichselbaumer

Sie staunten nicht schlecht, die Zuhörer, die sich am 18. März 1950 in der renommierten Ecole Normale de Musique in Paris zu einem Konzert einfanden. Denn auf der Bühne stand kein einziges Instrument. Es waren auch keine Musiker zugegen, die die "Musik" darboten - wobei noch bis heute erbitterte Wortgefechte  darüber geführt werden, ob das überhaupt "Musik" zu nennen sei, was da zu den geneigten, und auch zu den weniger geneigten Ohren drang.

Alles was die Bühne aufwies, waren ein paar Schallplattenspieler: Denn die Künstler, die diesen Abend präsentierten, waren die ersten DJs der Musikgeschichte. Und ihre "Musik" - nennen wir es jetzt einfach mal so - bestand aus den gleichen Zutaten, wie sie DJs noch heute verwenden: Samples und Loops. Scratching benutzten die Ur-DJs - allen voran Pierre Schaeffer und Pierre Henry - damals allerdings noch nicht. Ihre Schallplatten hätten das Hin- und Herkratzen der Nadel auch schlecht ausgehalten: Denn sie waren aus Wachs.

Immer die gleiche Runde

Die beiden Pierres hatten sie selber gepresst. Der Clou daran: Ihre Rille zog sich nicht vom Plattenrand bis in die Plattenmitte, sondern war in sich geschlossen; sprich: Es gab nur eine Umdrehung! Und dann ging das Ganze wieder von vorne los! Ein Loop eben! Damit das keineswegs eintönig wurde, bedienten DJ Schaeffer und DJ Henry bis zu acht Plattenspieler gleichzeitig. Was dabei herauskam, war etwas bis dahin noch nie Gehörtes: Ein Stück bestand nur aus dem rhythmischen Donnern von Eisenbahnrädern über die Schienen - dazu das Grollen der Dampfmaschine und das Kreischen der Pfeifen: "Etüde für die Eisenbahn" war es betitelt - was allen sehr einleuchtend erschien.

Und dann das Hauptstück: Die Sinfonie für einen einsamen Menschen: Da war allerlei Pfeifen, Atmen, Lachen - ja sogar Stöhnen zu hören. Zwischendurch immer wieder das Scheppern von Dosen und Töpfen. Und das in ewiger Wiederkehr und meistens viel zu schnell abgespielt oder auch gerne mal rückwärts. Was in diesem Ächzen und Stöhnen noch an Musik zu vernehmen war, waren maximal Klavierschnipsel oder Orchesterfragmente, die durch Verzerrung, Hall und Geschwindigkeitsmanipulation so verfremdet waren, dass nur noch wohlgesonnene Hörer darin Wohlklang erkennen konnten! Indes Wohlklang war auch gar nicht beabsichtigt

Tonaler Schlagabtausch

Übrigens Ironie der Geschichte: Die Wurzeln ihrer "Konkreten Musik" - wie sie damals genannt wurde - lagen in der Zeit des von Nationalsozialisten besetzten Paris. Das Versuchsstudio des Toningenieurs Pierre Schaeffer diente damals nicht nur den Tonexperiementen sondern auch als Sprachrohr der Resistance. Als die "Konkrete Musik" dann in den 1950er Jahren weltweit von sich hören machte, waren die erbittertsten Gegner denn auch in Deutschland zu finden. Doch das lag hauptsächlich daran, dass man jenseits des Rheins Ähnliches probierte und sich somit im direkten Wettstreit mit dem Nachbarn befand.

Später verschmolzen die Tonexperimente Deutschlands und Frankreichs so miteinander, dass Pierre Schaffer sogar den Begriff Konkrete Musik aufgab. Nun hieß das Ganze "Elektroakustische Musik", später dann "Elektronische Musik" - man kann schon sagen im Sinne der heutigen DJs, deren Samples aus dem Computer und nicht mehr von Wachsschallplatten kommen.


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