Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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18. Januar 1901 Erste Vorstellung des "Überbrettl"

Die Idee war toll - ein Kabarett zu Kaiser Wilhelms Zeiten! Am 18. Januar 1901 gab Ernst von Wolzogen die Premiere in Berlin: die erste Vorstellung des ersten deutschen Kabaretts, des "Überbrettl". Und die Berliner waren begeistert. Am Anfang jedenfalls.

Stand: 18.01.2011 | Archiv

18 Januar

Dienstag, 18. Januar 2011, 09:50 Uhr

Autor: Brigitte Kohn

Sprecherin: Andreas Wimberger

Redaktion: Thomas Morawetz / Wissenschaft und Bildung

Balladen, Sketche, witzig-frivole Dirnenlieder: Das war das Programm im Überbrettl, als es am 18. Januar 1901 in Berlin seine erste Vorstellung gab. Keine schwere Kost wie auf den traditionellen Theaterbühnen, nicht so frech und politisch wie die Cabarets in Paris, aber auch nicht so belanglos wie der Tingeltangel in den Varietés, die zu jener Zeit wie Pilze aus dem Boden schossen. Die Berliner waren begeistert und strömten in Scharen in die Vorstellungen. Der Chef des Überbrettl, der Schriftsteller Ernst von Wolzogen, hatte den Traum vieler Intellektueller Wirklichkeit werden lassen: raus mit der  Kunst aus dem Elfenbeinturm, Versöhnung von Kunst und Unterhaltung. So, wie es sein Freund und Mitstreiter, der Schriftsteller Otto Julius Bierbaum, schon lange gefordert hatte. Die Kunst, schrieb Bierbaum, sei im Moment leider nur "eine bunte, ein bisschen glitzernde Spinnwebe im Winkel des Lebens. Wir wollen sie wie ein goldenes Netz über das ganze Volk, das ganze Leben werfen."

Das hat, wir wissen es, nicht funktioniert: Mehr als hundert Jahre später zappelt das Volk vor den Fernsehgeräten im Netz von Daily Soaps, Reality- und Comedy-Shows. Doch die Anfänge im Überbrettl waren recht hoffnungsfroh. Dichter wie Morgenstern, Schnitzler, Wedekind und Ludwig Thoma steuerten Texte bei; wobei man mit politischer Satire doch sehr sparsam war. Deutschland hatte einen Kaiser, und der mochte weder Kunst noch Satire und bedrängte die Bühnen mit seinen Zensoren und Spitzeln. Beim Überbrettl verlagerte man den Schwerpunkt immer mehr auf neckische Erotik, wie wir das heute auch gern tun, obwohl wir keinen Kaiser haben. Der Überbrettl-Schlager des Jahres 1901 hieß "Der lustige Ehemann" und spielte mit Wortneuschöpfungen wie Ringelringelrosenkranz und Klingklanggloribusch. Das kam gut an, Berlin pfiff die Melodie aus allen Gassen, und das Überbrettl war in aller Munde.

Wie aber kam es mitten in Berlin zu seinem süddeutschen Namen? Ernst von Wolzogen hatte einige Jahre in München gelebt. Außerdem wollte er an den zarathustrischen Übermenschen von Friedrich Nietzsche erinnern, der für die Snobs und Bildungsbürger jener Tage Daseinslust und dionysischen Überschwang verkörperte. Wolzogen, der Brettlbaron, wie man ihn nannte, war selbst ein Snob und liebte die leicht verruchte Plüschatmosphäre im gehobenen Jugendstilambiente seines Theaters mehr als Reibereien mit der Obrigkeit. Es traf ihn tief, dass das Interesse am Überbrettl trotz seiner Harmlosigkeit bald abflaute. Für die Gebildeten war das Programm zu trivial und für die breite Masse schmeckte es zu sehr nach Kleinkunst. Hinzu kam, dass man es in eine Aktiengesellschaft umwandelte, deren Vorstand konsequent kommerziell dachte und Wolzogens künstlerische Ambitionen störend fand.

Schon 1902 musste der Brettlbaron gehen. Er beendete seine letzte Vorstellung mit einer formvollendeten Verbeugung, sagte: "Ich bin der größte Idiot des Jahrhunderts!" und verließ die Bühne. Das Jahrhundert war noch jung, Wolzogen war mit seiner Selbsteinschätzung wohl etwas voreilig gewesen. Zum Idioten machte er sich später, als er sich völkischem und antisemitischem Gedankengut zuwandte. Und das Überbrettl? Wurde erst ein Lustspielhaus und dann ein Kino. Kleiner Trost: Die Kunstform Kabarett war nicht tot, sondern lernte langsam, Zähne zu zeigen.


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