Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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16. Februar 1923 Eigenes Jugendstrafrecht in Deutschland

Das Vertrauen auf die positive Energie der Jugend gehörte zum Optimismus der Weimarer Demokratie. Auch Jugendkriminalität wurde dabei neu beurteilt. Am 16. Februar 1923 wurde das Jugendgerichtsgesetz verabschiedet.

Stand: 16.02.2012 | Archiv

16 Februar

Donnerstag, 16. Februar 2012

Autor(in): Thomas Morawetz

Sprecher(in): Krista Posch

Redaktion: Petra Herrmann

Es war ja nur wegen der Julia, sagt Johannes, 15 Jahre. Die hätte halt voll drauf abfahren sollen, wenn er da auf einmal mit dem Moped am Badesee auftaucht. Die Jugendrichterin hört sich Johannes´ Geschichte an. Das Problem ist nämlich, dass er noch keinen Führerschein hat, und ein Moped deswegen auch noch nicht. Das hatte ihm sein Freund geliehen. Und dann hat ihn die Polizei erwischt, auf der Heimfahrt vom See.

Kleine Jugendsünde?

„Fahren ohne Fahrerlaubnis“ - für einen Erwachsenen hieße das Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe. Und für Johannes? Kleine Jugendsünde? Wäre es also für ein Unfallopfer weniger schlimm, wenn es von einem Jugendlichen ohne Führerschein angefahren würde als von einem Erwachsenen?

Eine gemeine Frage, aber zum Glück für Johannes geht es bei seiner Verhandlung darum nicht, jedenfalls nicht in erster Linie. Denn mit 15 Jahren gilt für ihn Jugendrecht, und da heißt es: Erziehung geht vor Strafe.

Erziehung vor Strafe - eigentlich ein unglaublicher Ansatz im Strafrecht, denn wie der Name ja schon sagt - auf ein Vergehen folgt normalerweise die Strafe. Und so ist es auch seit der Antike gewesen. Zwar gingen Kinder meistens straffrei aus, wenn sie etwas Schlimmes angestellt hatten; aber Jugendliche wurden ähnlich wie Erwachsene bestraft, wenn auch etwas milder. Wer schon wissen konnte, was er tat, konnte nicht mit viel Verständnis rechnen. Im 19. Jahrhundert lag die Straffähigkeit in den deutschen Ländern ganz unterschiedlich zwischen acht und 14 Jahren, im geeinten Deutschen Reich schließlich bei zwölf.

Rebellion gegen die Erwachsenenwelt

Dann die große Wende - die Weimarer Republik: Am 16. Februar 1923 wird das Jugendgerichtsgesetz verabschiedet.

Ab jetzt sind für Jugendliche ab 14 Jahren Fachgerichte zuständig, und vor allem sollen Jugendämter die Täter beurteilen. Das hat natürlich nur Sinn, wenn es künftig auch Alternativen zu Freiheitsstrafen gibt. Zum Beispiel eine Verfügung, dass gefährdete Jugendliche in einer Familie oder einem Heim untergebracht und nicht eingesperrt werden sollen. Es wird also nicht mehr nur die Tat, sondern vor allem die Persönlichkeit des Täters beurteilt.

Die Wende passt zum Optimismus der Weimarer Demokratie, und sie passt zur Jugendbegeisterung der Jahre. Philosophen und Pädagogen treibt das Thema Jugend um. Erstmals wird Jugend als ein eigener Lebensabschnitt entdeckt, der enorme Energien freisetzt, die aber noch in die richtigen Bahnen gelenkt werden müssen. Und zum ersten Mal sehen Pädagogen, dass dazu auch Abweichungen gehören, Rebellionen gegen die Erwachsenenwelt. Sie sind also nicht einfach ein Schaden, sie sind altersgemäß.

Die NS-Zeit hat der Weimarer Optimismus freilich nicht überstanden, aber die junge Bonner Demokratie hat das Gesetz von 1923 wieder aufgegriffen. Seitdem wird die Jugend erforscht, das Gesetz geändert und diskutiert, und oft genug liegen heute dabei die Nerven blank. „Abenteuerurlaube“ für verhaltensgestörte Intensivtäter? Ein Daueraufreger, wenn wieder einmal ein Fall von erbarmungsloser Jugendgewalt durch die Presse geht. Ist das Jugendstrafrecht nicht doch zu zahm?

Johannes jedenfalls hat für seine Geschichte mit dem Moped ein paar Sozialstunden aufgebrummt bekommen. Übrigens gehen Strafrechtswissenschaftler davon aus, dass wir fast alle im Lauf unserer Jugend einmal straffällig werden. Und sei es nur als Schwarzfahrer. Nur erwischt werden wir natürlich nicht alle.


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