Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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7. Juni 1927 Duchamp heiratet Lydie

Er liebte es schon seit längerem schnörkellos, der Künstler Marcel Duchamp, doch neue Inspirationen ließen auf sich warten. Wie gut, dass er Lydie Fischer Sarazin-Levassor begegnete, Tochter eines reichen Vaters. Am 7. Juni 1927 heirateten die beiden.

Stand: 07.06.2011 | Archiv

07 Juni

Dienstag, 07. Juni 2011

Autor(in): Astrid Mayerle

Sprecher(in): Krista Posch

Redaktion: Thomas Morawetz / Wissenschaft und Bildung

Im Rückblick erscheinen sogar die Hochzeitsgeschenke als reiner Budenzauber, Requisiten einer Geschichte, die von wahren und falschen Versprechen erzählt, von guten und bösen Absichten, von Liebe und List, kurz: von offensichtlichen und verborgenen Gründen für eine Ehe. Unter den Präsenten fand sich eine Unzahl an Vasen, Lampen und Geschirr, die sich wohl gegenseitig an Nützlichkeit überboten. Allein ein Hochzeitsgast schien den Geschmack des Brautpaars zu treffen: der Künstler Francis Picabia, der ein Aquarell mit dem Titel "Union d´Intellectuels" - die "Verbindung der Intellektuellen" - beisteuerte. Es war die Hochzeit von Marcel Duchamp und Lydie Fischer Sarazin-Levassor. Am 7. Juni 1927 heirateten die beiden standesamtlich, die kirchliche Trauung fand einen Tag später statt. Marcel war fast 40, Lydie 23. Die Braut trug an jenem Tag ein schlichtes, marineblaues Kleid und einen großen, dunklen Strohhut.

Sieben Monate Ehe

Es war die Zeit, als die Karriere des Ornaments - jedenfalls unter Künstlern und Intellektuellen - bereits zu Ende gegangen war. Daher schätzte das frisch verheiratete Paar an den Gegenständen des Alltags vor allem ihre Schlichtheit und die Authentizität des Materials. Jegliche bürgerliche Dekorationskultur war ihnen fremd, statt wuchtiger Massivholzmöbel bauten sie während ihrer sieben Monate währenden Ehe einfache Holzregale und ließen die Oberfläche unbehandelt, ähnlich jenen schlichten Baumarkt- oder Ikea-Modellen, die heute in bald jedem Haushalt zu finden sind. Dass sich die beiden in Fragen der Ästhetik völlig einig waren, faszinierte Lydie und bestärkte sie in dem Gefühl, dass der Mann der Richtige sei.

Nachdem die Einkünfte der beiden zwar regelmäßige Dinners am Montmartre zuließen, jedoch keine umfangreiche Wohnungsrenovierung, war Lydie von der Idee, die Wände mit rosa Löschpapier zu tapezieren, begeistert. Jenes aufgeraute Papier war im Paris der 20er-Jahre auf Rollen erhältlich. Mit den schmucklosen rosa Bahnen anstelle schwerer, großbürgerlicher Rankendekors gelang den beiden ein sichtbar gewordenes Manifest. Das Wort "Dekoration" war  ein Schimpfwort für Duchamp.

Der Vater - ein Kuppler

Lydie besaß alle Eigenschaften, die ein Leben mit einem mittellosen, exzentrischen, bisweilen in sich vergrabenen, kurz, mit dem schwierigen Typus des Künstlers hätte vollenden können. Aber Lydie - und das war ihr Verhängnis - hatte zu allem Überfluss auch noch einen sehr wohlhabenden Papa. Marcel, dessen Inspiration seit längerem nur mehr zum Schachspiel reichte und zu einem Lebenswandel, der seine finanziellen Reserven völlig verzehrte, hatte bereits Monate vor dem Kennenlernen Lydies mit der Vorstellung von einem reichen Schwiegervater sympathisiert. Von genau dieser Vorstellung angeregt, ließ er sich durch Picabia als Kuppler zu einer Ehe mit Lydie animieren. Was Marcel nicht ahnte: Lydies Papa hatte ihn längst durchschaut. Daher stattete er seine Tochter mit einem monatlichen Unterhalt aus, der nur ihr, nicht aber einem mittellosen Schachspieler die Existenz sicherte. Was aber die Geschichte erst wirklich pikant macht: Papa selbst hatte dennoch die Verbindung gehörig forciert, nicht um das Glück seiner Tochter voranzubringen, sondern vielmehr das eigene: Auch der Papa wollte sich neu verheiraten, aber das konnte er laut seinem Ehevertrag mit Lydies Mutter erst nach der Hochzeit aller seiner Kinder.

Bei alledem meinte es jedoch der Standesbeamte sicher ganz ehrlich, als er nach der Trauung an Lydie folgende Worte richtete: "Ich hoffe, Madame, sie werden Ihren Ehemann immer inspirieren."


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