Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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2. Juni 455 Die Vandalen plündern Rom

Eigentlich wollte der Vandalenkönig Geiserich nur dem eigenen Sohn die schon versprochene Braut erobern, als er am 2. Juni 455 mit seinem Heer vor den Toren Roms stand. Erst sehr viel später wurde diese Aktion zur Geburtsstunde des Vandalismus. Autorin: Brigitte Kohn

Stand: 02.06.2015 | Archiv

02 Juni

Dienstag, 02. Juni 2015

Autor(in): Brigitte Kohn

Sprecher(in): Hans-Jürgen Stockerl

Illustration: Angela Smets

Redaktion: Frank Halbach

Vandalen gibt es nicht mehr. In der Mitte des 6. Jahrhunderts nach Christus haben sie sich aus der Geschichte verabschiedet. Wenn sie heute noch zur Sprache kommen, dann meist in unangenehmen Zusammenhängen. Demolierte Telefonzellen, beschmierte Klotüren, übel zugerichtete Eisenbahnwägen:
Wenn rohe Kräfte sinnlos walten, nennt man das Vandalismus. Selbst Kinder, die ihr Kinderzimmer auf den Kopf stellen, bekommen zu hören: Ihr habt ja gehaust wie die Vandalen.

Ist der Ruf erst ruiniert…

Was hat das Germanenvolk der Vandalen getan, um seinen Ruf so zu ruinieren? Nun, zum Beispiel hat es Rom geplündert. Rom plündern, das hieß den Erdkreis erzittern lassen, denn Rom war nicht irgendeine Stadt. Zwar war das römische Reich der Spätantike längst in Westrom und Ostrom gespalten, die Herrscher residierten in Ravenna und Konstantinopel, aber Rom war noch immer das ideelle Zentrum der Welt. Wer hier zulangte, der ging zuverlässig in die Geschichte ein.

Geiserich, der König der Vandalen, der am 2. Juni 455 mit seinem Heer vor den Toren Roms stand, war weit mehr als ein blutrünstiger Barbarenhäuptling.
Er war der Herrscher über ein unabhängiges Barbarenreich in Nordafrika, auf dem Gebiet des heutigen Tunesien. 439 hatten die Vandalen die reiche römische Provinz Afrika erobert und Karthago zur Hauptstadt ihres Reiches gemacht. Doch statt die römische Kultur zu zerstören, passten sie sich ihr an und sicherten ihr Fortleben. Rom hatte ihnen am Verhandlungstisch ihre Einflussgebiete zugestanden; mit Barbaren musste man pfleglich umgehen, sie einfach niederzubügeln, dazu war die einstige Weltmacht längst zu schwach.

Auch jetzt, als Geiserich sich anschickte, die Stadt Rom zu plündern, trieb ihn nicht die nackte Zerstörungswut, sondern die Sorge um seinen Einfluss auf die römische Politik. Kaiser Valentinian war ermordet worden, sein Nachfolger Petronius Maximus hatte die Witwe geheiratet und die Tochter Eudocia mit seinem Sohn verlobt. Das ärgerte Geiserich, denn Eudocia war längst seinem eigenen Sohn Hunerich versprochen worden.

Dem wollte er die Braut sichern, als er in Rom einfiel und die Kaisertochter gefangen nahm, dazu ihre Mutter und ihre Schwester, Mitglieder der Senatorenaristokratie und gleich noch eine ganze Menge hochqualifizierter Handwerker, die man als Sklaven gut brauchen konnte. Darüber hinaus plünderten Geiserichs Mannen Paläste und Privatgebäude und deckten das vergoldete Dach des Jupitertempels ab. Eines der Vandalenschiffe sank auf dem Rückweg nach Karthago, so überladen war es mit Schätzen. Ganze Arbeit also, gründlich, zielgerichtet, effektiv.

…nicht so schlimm wie ihr Ruf

Haben die Vandalen aber auch gemordet, vergewaltigt, gebrandschatzt, Kirchen geschändet? Durchaus nicht. Das soll Papst Leo I. durch gutes Zureden verhindert haben. Die Vandalen waren übrigens auch Christen, wenn auch arianische, und hatten offensichtlich Respekt vor Rom.

Sie waren, da sind sich Historiker heute einig, nicht so schlimm wie ihr Ruf.
Wieso gibt es also den Begriff Vandalismus? Den hat der Bischof von Blois, Henri Baptiste Gregoire, erfunden. Er wollte damit während der Französischen Revolution die Exzesse der radikalen Jakobiner anprangern, ihre Terrorherrschaft und ihr Wüten gegen Menschen und Kunstschätze. Später hat ihm seine Wortschöpfung leidgetan -keineswegs sei es seine Absicht gewesen, einen ganzen Volksstamm zu diskreditieren, ließ er verlauten. Zu spät. Der Ruf der Vandalen ist ruiniert, und bis heute haben die Historiker alle Hände voll zu tun, um die Sache richtig zu stellen.


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