Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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1. Dezember 1919 Lady Astor zieht ins Unterhaus ein

Winston Churchill wäre lieber tot gewesen als mit ihr verheiratet. Aber so schlimm war Lady Nancy Astor gar nicht. Im Gegenteil. Seit sie am 1. Dezember 1919 ins Unterhaus eingezogen war, musste sie einfach Contra geben.

Stand: 01.12.2014 | Archiv

01 Dezember

Montag, 01. Dezember 2014

Autor(in): Christian Feldmann

Sprecher(in): Ilse Neubauer

Illustration: Angela Smets

Redaktion: Julia Zöller

Eines Tages musste sie Winston Churchill zu einem Kostümball einladen - und sie konnte ihn doch nicht ausstehen, weder als Politiker noch als Privatmann. Dann fragte er auch noch höflich - oder war es boshaft? - als was er sich denn am besten verkleiden solle. "Warum kommen Sie nicht einfach einmal nüchtern, Herr Premierminister?" antwortete sie mit eiskalter Noblesse.

Messerscharfe Zunge

Lady Nancy Astor war wohl die einzige Parlamentskollegin, von der sich Churchill solche Attacken gefallen ließ. Er gab allerdings mit sichtlichem Vergnügen in gleicher Münze zurück: "If you were my husband, I´d poison your tea", soll ihn die Lady einmal angezischt haben, "wenn Sie mein Mann wären, würde ich Ihnen Gift in den Tee schütten". Wie aus der Pistole geschossen habe der Premier erwidert: "Madame, if you were my wife, I´d drink it!" -  "Wenn Sie meine Gattin wären, ich würde ihn trinken".

Sie dachte gar nicht daran, stets die geschmeidigen Umgangsformen der Aristokratie zu wahren. Doch das erwartete man auch nicht unbedingt von ihr, erstens hatte sie sich den Adelstitel erheiratet, und zweitens war sie eine waschechte Amerikanerin: 1879 war Nancy Witcher Langhorne in Danville, Virginia, als dritte von fünf Töchtern eines überaus geschäftstüchtigen Eisenbahnunternehmers zur Welt gekommen. Mit 18 heiratete sie einen gewissen Robert Shaw, der sich bei seinen Trinkgelagen mit zweifelhaften Freunden als ebenso unersättlich wie im ehelichen Schlafzimmer erwies. Schon während der Flitterwochen wollte sie sich scheiden lassen. Mit Rücksicht auf den Ruf der Familie wartete sie dann doch sechs lange Jahre damit; später pflegte sie zu bemerken: "Ich habe unter meinem Niveau geheiratet. Alle Frauen tun das."

Die Übersiedlung nach England ein Jahr nach der Scheidung hatte etwas von einer Flucht. Aber die anpassungsfähige Nancy fand mühelos Zugang zur britischen Oberschicht. Bald lernte sie ihren zweiten Ehemann kennen, den Millionär Waldorf Astor, diesmal ein echter Glücksfall:

Stinkreich, in Amerika aufgewachsen - ohne seine deutschen Wurzeln jemals zu verleugnen - und dann wusste er sich auch noch wie ein klassischer englischer Lord zu benehmen. 1906 fand die Hochzeit statt.

In New York hatte ihr Gatte 1893 das Luxushotel Waldorf errichtet und später das nicht minder berühmte Astoria. Nach England übergesiedelt, wurde er hier Unterhausabgeordneter für den Wahlbezirk Plymouth. Als sein Vater starb, der Viscount William Waldorf Astor, erbte er dessen Adelstitel und zog in das britische Oberhaus ein. Auf den frei gewordenen Unterhaussitz wurde seine Gattin Nancy als Kandidatin der Konservativen gewählt. Eine echte Sensation!

100 % Politikerin

Lady Astor aus Virginia war zwar nicht das erste gewählte weibliche Parlamentsmitglied des Vereinigten Königreiches, aber das erste, das sein Amt auch tatsächlich antrat: 1918 hatte eine gewisse Constance Markiewicz für die Sinn Féin einen Sitz gewonnen, sich aber wie alle nordirischen Separatisten geweigert, ihr Mandat auszuüben. Lady Astor wurde hingegen am
1. Dezember 1919 ganz ordnungsgemäß Mitglied des House of Commons und blieb es 26 Jahre lang. Sie kämpfte für das Frauenstimmrecht, das 1928 tatsächlich in Großbritannien eingeführt wurde und für die Gleichstellung der Frau im Staatsdienst.

Ach ja, und gleich zu Beginn ihrer Tätigkeit brachte sie einen Antrag ein, den Erwerb alkoholischer Getränke erst ab einem Alter von 18 Jahren zu erlauben - was ihr nicht gerade Popularität eintrug, denn ihr Wahlbezirk Plymouth war ein Marinestützpunkt. Eine Spaßverderberin war sie dennoch nicht: "Ein Grund, warum ich nicht trinke", beschiedsie ihren Kritikern nonchalant, "ist der, dass ich es mitbekommen möchte, wenn ich mich amüsiere."


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