Bayern 2 - Hörspiel


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Die Ästhetik des Widerstands Ein Roman, ein Jahrhundert: wiederbesichtigt

Von: Herbert Kapfer

Stand: 25.11.2014 | Archiv

Vorläufige Nachrichten

Als 1975 der erste Band des Romans Die Ästhetik des Widerstands von Peter Weiss erschien, stellte Alfred Andersch seiner Rezension in der Frankfurter Rundschau die Bemerkung voran, über ein Buch wie dieses könne es nur vorläufige Nachrichten geben. Als 1978 der zweite Band folgte, schrieb Joachim Kaiser in der Süddeutschen Zeitung:

"Diesem Buch läßt sich die Fähigkeit hoher Sprache ablesen, nicht etwa nur aus ästhetischer Schönheit in begriffslose Erkenntnis umzuschlagen, sondern im Setzen des schönen, gewählten, differenzierten und noblen Wortes erkennend zu sein. Der Titel könnte auch lauten: ‚Das Ich und der Schmerz.‘ Die Spannung zwischen den Objekten und dem Faltenwurf dieser Prosa – kühl und lateinisch wie Thomas Mann; partizipienträchtig wie Brechts hoher Ton; von Bildanschauung erfüllt wie domestizierter Expressionismus – hat etwas Strenges, aber auch Abgründiges, feierlich Grausames."

Joachim Kaiser

Bei Erscheinen des abschließenden dritten Bandes im Jahr 1981 fällte Fritz J. Raddatz in der Wochenzeitung Die Zeit das vernichtende Urteil: „Der Wortsetzer Peter Weiss hat auf frappante Weise versagt, ist tonlos, sprachlos, farblos gescheitert.“ Diametral entgegengesetzt fiel Hanjo Kestings Bewertung des fast tausend Seiten umfassenden Prosawerks im Spiegel aus:

Objektiver Geist der Epoche

"Weiss hat ein schwieriges, widerborstiges, anspruchsvolles Buch geschrieben, das mit Sartres Idee, die Literatur könne so etwas wie den objektiven Geist der Epoche verkörpern, noch einmal Ernst zu machen versucht; das sich nicht nur dem schnellen Konsum entzieht, sondern auch mit seinen sensationellen Aspekten (zu den Hauptfiguren gehört beispielsweise ein kommunistischer Funktionär namens Herbert Wehner) ganz unspektakulär umgeht; in dem die Größe des Entwurfs die Höhe seines theoretischen und ästhetischen Niveaus bestimmt; das folglich seine Reichtümer nur zögernd preisgibt und dessen Tiefe sich dem Leser nur allmählich erschließt; ein Buch, mit einem Wort, das zu jenen Werken gezählt werden muß, über die Brecht schrieb: ‚So lange sie nämlich Mühe machen / Verfallen sie nicht’."

Hanjo Kesting

Wunschautobiographie

Über wenige deutschsprachige Romane der vergangenen drei Jahrzehnte wurde so heftig gestritten wie über Die Ästhetik des Widerstands. In der DDR erschien der Roman 1983 – ein Jahr nach dem Tod seines Autors. (Weil die erste Auflage in der DDR schnell vergriffen und in den Bibliotheken ständig ausgeliehen war, zirkulierte der Roman auch in abgeschriebener bzw. abgetippter Form.) Die zweite Auflage erschien 1987. Doch die Tatsache der Umstrittenheit allein wäre noch kein ausreichender Grund für eine großangelegte Wiederbesichtigung bzw. Re-Lektüre eines literarischen Werks und für eine neue, zwölf Stunden umfassende Hörspielproduktion nach dem Roman von Peter Weiss.

Als eine „Wunschautobiographie“ bezeichnete der 1916 in Nowawes bei Berlin als Sohn eines jüdischen Textilfabrikanten geborene Peter Weiss, der 1935 nach England emigrierte, seinen Roman Die Ästhetik des Widerstands.

Ein Erzähler, dessen Namen ungenannt bleibt, berichtet – beginnend in Berlin im Jahre 1937 – vom Widerstand seiner Freunde, junger Arbeiter, gegen die nationalsozialistische Diktatur, von seiner eigenen Entscheidung, am Spanischen Bürgerkrieg teilzunehmen, von den Niederlagen der europäischen Linken und dem Scheitern der Arbeiterbewegung sowie von dem Bemühen um eine die historischen sozialen und gesellschaftlichen Kämpfe berücksichtigende Neubetrachtung der Kunst vergangener Jahrhunderte. Der Schriftsteller Peter Weiss hatte eine Ästhetik im Sinn, „die nicht nur künstlerische Kategorien umfassen will, sondern versucht, die geistigen Erkenntnisprozesse mit sozialen und politischen Einsichten zu verbinden – der Schöpfung einer kämpfenden Ästhetik gleichkommend“, wie er in einem seiner Notizbücher vermerkte.

Weltbesichtigung

Der Gegenstand der Ästhetik des Widerstands ist nicht weniger als eine Betrachtung des zwanzigsten Jahrhunderts, ein Jahrhundertroman, der Kunsttheorie und Weltsicht vor dem Hintergrund des historischen Konflikts zwischen Faschismus und Kommunismus zusammenführt. Von Anfang an, seit dem Erscheinen des ersten Bandes, bis zu den politischen Umwälzungen des Jahres 1989 stand der Roman im Mittelpunkt heftiger literarischer und politischer Diskussionen.

Fünfundzwanzig Jahre nach Abschluss des Romans erfolgt eine Wiederbesichtigung der Ästhetik des Widerstands auf der Grundlage einer politisch und kulturell fundamental veränderten Weltkarte. Der Zusammenbruch des Ostblocks, das Scheitern des „realsozialistischen“ zweiten deutschen Staates, die Identitätssuche der politischen Linken in einer postmodernen Welt, die Mediatisierung und der Siegeszug des Neoliberalismus markieren die veränderten Voraussetzungen für eine Diskussion über den möglichen Stellenwert der Ästhetik des Widerstands.

Objekt der Besichtigung

Die Weltbesichtigung des Peter Weiss wird selbst Objekt der Besichtigung: Was bleibt von der Ästhetik des Widerstands außer der mittlerweile fast uneingeschränkt anerkannten Kunst der Beschreibung an sich? Hat die Ästhetik ausschließlich historische Bedeutung? Lassen sich Bezugspunkte zu einer postmodernen Gesellschaft herstellen? Zeigen sich Parallelen in den gesellschaftlichen und politischen Tendenzen der 1930er Jahre und der Gegenwart? Ist das Projekt einer Ästhetik des Widerstands heute nur mehr der Beleg für das Scheitern einer engagierten, „kämpfenden“ Kunst?

Die Hörspielfassung und -inszenierung von Karl Bruckmaier kann nicht nur ein herausragendes literarisches Werk in Erinnerung bringen, sondern vielleicht auch neue Diskussionen um Die Ästhetik des Widerstands entfachen.


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