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Plattenkritik AnnenMayKantereit - Alles Nix Konkretes

Das Debüt von AnnenMayKantereit ist da, und es ruft nicht nur wohlwollende Stimmen auf den Plan. Stimmt es was einige Kritiker sagen: Sind AnnenMayKantereit die mäßig talentierte Stimme einer biederen Generation?

Von: Malte Borgmann

Stand: 19.03.2016 | Archiv

AnnenMayKantereit | Bild: Vertigo / Fabien J. R. Raclet

Jetzt ist es also da - "Alles Nix Konkretes", das "richtige" Debüt von AnnenMayKantereit. Die erste Grundsatzfrage stellt sich schon, bevor man überhaupt einen Ton gehört hat, nämlich: Hat es das denn jetzt überhaupt noch gebraucht, so ein Album? Und dann noch bei einem Major? Fast die Hälfte aller Songs auf "Alles Nix Konkretes" kennt man eh schon als Liveversionen von Youtube, und vor allem war das doch gerade das Spannende, das Neue an AnnenMayKantereit: Dass es da eine Band ganz ohne Plattenvertrag und Album zu riesiger Popularität gebracht hat, mithilfe einer Hand voll abgefilmter Liveperformances, "Video-Singles" im wahrsten Sinne des Wortes, simpel aber sorgfältig gemacht, mit dem Fokus auf Emotion nicht Perfektion.

Das verband das Zeitlose und aus der Zeit Gefallene von "handgemachter" Musik mit den Möglichkeiten der neuen Medien auf eine Art und Weise (und vor allem mit einem Erfolg), wie man es in Deutschland bislang nicht gesehen hat.  In Zeiten, in denen jeder, wenn er mag, ganz allein am Laptop Symphonien produzieren kann, sind AnnenMayKantereit damit im Grunde wegweisend für alle Bands, die in den Jugendzentren dieser Republik weiter unbeirrbar auf Klampfen und Schlagzeugen rumdengeln. Wäre es also nicht spannender gewesen, sie hätten versucht, diesen Weg weiterzugehen, abseits der gängigen Marktmechanismen? Ja, definitiv. Man kann sich darüber jetzt aufregen, aber wenn man nicht allzu romantisch oder idealistisch veranlagt ist, kann man auch einfach sagen: Ja mei.

Majorlabels wollen ein künstlerisches Statement

Wer dermaßen durch die Decke geht wie AnnenMayKantereit, der braucht irgendwann gute Geschäftspartner, um das alles überhaupt gestemmt und geregelt zu kriegen. Und ist dann auch nicht schlecht beraten, bei einem Majorlabel zu unterschreiben. Mit einem derartigen Erfolg im Rücken stehen die Chancen schließlich nicht schlecht, dass man die üppigen finanziellen und strukturellen Möglichkeiten, die einem ein Label wie Universal bietet, auch zu ausnehmend guten Vertragskonditionen nutzen kann. Ja, und so ein Majorlabel will eben ein Album (und vermutlich wollte die Band das auch) - ein rundes, abgeschlossenes Werk, das man anfassen und unter den Weihnachtsbaum legen kann, ein ausformuliertes künstlerisches Statement, das all den Medienvertretern dann auch noch mal schön Anlass gibt, ausführlich über diese Band zu berichten. So läuft das Spiel halt. Ja mei.

Ebenfalls Teil dieses Spiels ist es allerdings auch, dass ab einem gewissen Erfolg Leute auf den Plan treten, die einen nicht leiden können und ihr Missfallen laut und hämisch kundtun. Im Fall von AnnenMayKantereit ist das zum Beispiel Daniel Gerhardt. Der schreibt u.a. für die Zeit und die Spex und nutzt seine Albumrezension von "Alles Nix Konkretes" um mit großer Lust und ohne jede Gnade auf die Band, ihre Musik, ihre Fans und im Grunde ihre ganze Generation einzuschlagen:

"AnnenMayKantereit erinnern an die Beatsteaks, obwohl sie nicht wie die Beatsteaks klingen. Mit den Urgesteinen des Berliner Punk-Establishments teilen sie sich den Wumms und das Bummsfallera, eine gewisse Grobschlächtigkeit, die auf Festivals immer geht. Ihr Sänger Henning May singt auch so reibeisern wie der Typ von den Beatsteaks, und seine Texte sind genauso schlecht, nur auf Deutsch. [...] Eine Band für die Nachfahren der Generation Y, die genauso desinteressiert und unpolitisch sind wie ihre Wegbereiter, sich aber nicht mehr dafür schämen. Ist Alles nix Konkretes das Album, das diese Leute verdient haben?"

- Daniel Gerhardt

Man kann es sich jetzt leicht machen und sagen: Ja mei. Da sitzt halt ein verbitterter Spex-Redakteur, der angesichts der neuen Konsensband der gesellschaftlichen Mitte das kalte Kotzen kriegt und, wo er schon dabei ist, den jungen Musikern gleich mal vorwirft, dass sie mit ihrem Album keinerlei Lösungsvorschläge liefern für die Probleme ihrer Generation (Biederkeit, Lethargie, Selbstmitleid). Andererseits muss man beim Lesen des Verrisses doch mehr als einmal schmunzeln und nicken. Auf dem Papier gibt es da schon einiges bei AnnenMayKantereit, was einem eine Gänsehaut der schlechteren Sorte bescheren kann: Uffta-Offbeat-Straßenmusikantenfolk von jungen Schluffis in ausgewaschenen Hoodies und ausgelatschten Sambas, die in kernig, erdig, ehrlicher Sprache die Träume von der gemeinsamen Altbauwohnung thematisieren. Wo dann ein Sänger mit "Reibeisenstimme" Zeilen singt wie "Es tut mir leid, Pocahontas" und "gemeinsam" auf "einsam" reimt. Ganz viele Leute finden das ganz toll, aber man kann es mit Fug und Recht auch ganz, ganz furchtbar finden.

Mit so einer Stimme darf sich May auch harmlose Reime leisten

In der Praxis funktionieren AnnenMayKantereit allerdings dann doch deutlich besser als auf dem Papier. Zum einen liegt das natürlich an der Stimme von Henning May. Josh Homme hat mal über Mark Lanegan gesagt: "Er könnte auch von Zahnpasta singen." So ähnlich ist das mit May auch. Auf "Alles Nix Konkretes" dosiert er das Reibeisen zudem viel vorsichtiger als früher, und man muss nicht bei jeder Zeile Angst haben, dass vor lauter authentischer Emotion jetzt gleich die Halsschlagader platzt. Das ist sehr schön, denn auch im Ruhemodus bleibt sein Gesang absolut fesselnd. Und wer über eine dermaßen beeindruckende Stimme verfügt, der kann dann auch mal "gemeinsam" auf "einsam" reimen, ohne dass es groß negativ auffällt. It's the singer, not the song. Unfair vielleicht, aber ja mei - so ist es halt.

Apropos Songs: Das können AnnenMayKantereit eben auch. Sicher ist das alles nichts weltbewegend Neues und kratzt das eine oder andere Mal bedenklich am Kitsch. Aber Oft Gefragt zum Beispiel ist und bleibt ein großer und berührender Song. Genauso Neues Zimmer, wo es - Überraschung - um die erste Nacht im neuen Zimmer geht:

"Und die Matratze kratzte in der ersten Nacht / Ohne Lattenrost, ich krieg noch keine Post / Ummelden ist noch mehr Stress, gut dass ich das eh vergess‘ / In meinem neuen Zimmer steh’n noch immer die Kartons / Und ich weiß nicht, was ich als erstes machen soll / In meinem neuen Zimmer."

- AnnenmayKantereit in Neues Zimmer

Logo: Das sind die Probleme von Jungstudenten, die frisch von Zuhause ausgezogen sind. Vermutlich also nichts, was einem Spex-Redakteur Tränen der Rührung in die Augen treibt. Andererseits ist das treffend, klar und direkt getextet und zusammen mit dem düster-treibenden Instrumental erzeugt es eine Stimmung, in der sich jeder wiederfinden kann, der schon mal nach einem Umzug zwischen Kartons und nackten Wänden in seiner eigenen Melancholie versunken ist. Also im Grunde jeder. Ist das politisch, aufrüttelnd, wütend, generationen-verändernd? Auf gar keinen Fall. Aber eine Welt, in der Popmusik aus Prinzip immer politisch, aufrüttelnd, wütend und generationen-verändernd sein muss, wäre schon auch eine Traurige.

AnnenMayKantereit ziehen ihr Ding durch - mit Anfang 20

Und dann ist da noch ein Punkt, den Daniel Gerhardt in seiner Wut übersehen hat: Wie treu AnnenMayKantereit ihrem Sound geblieben sind. "Alles Nix Konkretes" klingt nicht wesentlich polierter als die Live-Aufnahmen der Band, die Uffta-Offbeats rumpeln und scheppern noch genauso, wie man es von Youtube kennt. Und das trotz Unterschrift beim großen Label. Man will gar nicht wissen, wie viele tolle Vorschläge irgendwelcher Major-Schlauköpfe sich AnnenMayKantereit anhören mussten: wie man das alles noch "geiler", noch "vielschichtiger", noch "größer", noch "fetter" machen könnte. Das nötige Budget für fancy Studios, teure Produzenten und ganze Streichorchester wäre ja da gewesen. Trotzdem haben AnnenMayKantereit sich offensichtlich nicht verrückt machen lassen und stur ihren eigenen Stiefel durchgezogen. Das muss man mit Anfang 20 erstmal hinkriegen. Man darf sich dann im Nachgang natürlich gern etwas mehr Experimentierfreude und Größenwahnsinn wünschen statt dieser demonstrativen Erdigkeit. Ja mei. Trotzdem zeugt es von mehr Eigensinn, Überzeugung und Vision als Daniel Gerhardt dieser Band und ihrer Generation zutraut.


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