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BR-Thementag "Jede Nachhilfestunde ist eine Ohrfeige für die Schulpolitik"

Ein Drittel aller Schüler nimmt nach Angaben des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands (BLLV) in den Ferien Nachhilfe. Grund hierfür sind nach Informationen von Verbandspräsident Klaus Wenzel nicht Noten wie fünf und sechs, sondern Zensuren von drei und vier. Das allein erzeuge schon Druck, so Wenzel. "Jede Nachhilfestunde, die genommen werden muss, ist eine Ohrfeige für die Schulpolitik", spitzt Wenzel seine Kritik anlässlich des BR-Thementages "Was Schüler leisten" zu. Unter dieser Überschrift berichtet der Bayerischen Rundfunk am 12. September in Hörfunk, Fernsehen und Online.

Stand: 10.09.2012

Logo | Bild: BR

10 September

Montag, 10. September 2012

Pressekontakt: Pressestelle@br.de

Wichtiger Bestandteil des Thementages ist eine Podiumsdiskussion, bei der fünf Experten aus Bildung, Schule und Wissenschaft um 20.15 Uhr auf BR-alpha über das Thema Leistungsdruck diskutieren.

Wenzel kritisiert in der Podiumsdiskussion, dass Schüler immer weniger als Person wahrgenommen werden: "Das Kind wird reduziert auf einen Datenträger, auf ein Notenbündel, und dann nennt man so etwas Bildung. Das dürfen wir nicht weiter zulassen." Bildung sei mehr als Mathematik und Deutsch, Bildung sei ja auch Herzensbildung und hätte auch mit Werten und Einstellungen zu tun, so der Verbandspräsident.

Leistungsdruck: Ursachen und Auswirkungen

Woher der Leistungsdruck kommt, muss nach Meinung von Matthias Fack, Präsident Bayerischer Jugendring (BJR), differenziert betrachtet werden: "Es ist wie ein bunter Blumenstrauß, der Druck erzeugt: Dazu gehören die Eltern, aber vor allem auch Bilder der Gesellschaft, die momentan auf Kinder und Jugendliche wirken. Die Schulen ihrerseits haben den Druck, ihren Job gut zu machen und Kinder und Jugendliche gut auf das Leben vorzubereiten."

"Aussortieren im Mittelpunkt"

BLLV-Präsident Wenzel sieht entscheidende Defizite im deutschen Schulsystem: "In den erfolgreichen Schulsystemen wird nach der Diagnose eine Therapieplan aufgestellt. Bei uns heißt es: ‚Du hast Defizite, also musst Du da raus.‘ Das ist ein völlig anderer Ansatz. (…) Bei uns steht das Aussortieren der Kinder im Mittelpunkt."

"Freizeit keine relevante Rolle mehr"

Kinder- und Jugendpsychiater Dr. Nikolaus von Hofacker ist der Meinung: Spätestens ab der dritten Klasse steige der Druck auf die Kinder massiv an, und die Kinder leiden erheblich. Freizeit spiele für viele diese Kinder keine relevante Rolle mehr.

Es ist ein "Halbtagsjob", den die Kinder machen, um die Hauptfächer Mathe, Englisch und Deutsch zu bestehen, so die Meinung von Prof. Dr. Thomas Rauschenbach, Direktor Deutsches Jugendinstitut.

Dabei fange laut Matthias Fack der Druck nicht erst mit der Einschulung an, sondern bereits im Kindergarten mit der Vorverlagerung von Schulischem, damit Kinder und Jugendliche möglichst schnell aus Bildungseinrichtungen rauskämen und der Wirtschaft zur Verfügung stünden.

"Wirtschaft übt Druck aus"

Helmut Wöckel, Vorsitzender Freie Elternvereinigung in der Evang.-Luth. Kirche in Bayern, sieht auch die Wirtschaft als ein Ursache für Leistungsdruck: "Die Wirtschaft hat die Hand im Spiel und übt Druck aus, wenn das Hausaufgabenheft zum Terminkalender wird."

Lösungsansätze

Was Lösungsmöglichkeiten betrifft, plädiert Dr. Nikolaus von Hofacker für mehr Freiheiten für die Lehrer. Dr. Thomas Rauschenbach sieht als einzige Chance die Ganztagsschule, „weil wir da einen Hebel haben, Schule neu zu denken und neu zu erfinden (…) Räume zu schaffen, wo nicht nur Unterricht ist, wo nicht nur Bewertung ist, sondern wo Anerkennungskulturen ganz anderer Art reinkommen.“ Der Präsident Bayerischer Lehrer- und Lehrerinnenverband ist der gleichen Meinung: „Wir brauchen gut ausgestattete, rhythmisierte, auch gut finanzierte Ganztagsschulen.“

"Es braucht Revolution von unten"

Allerdings meint von Hofacker: „Von der Politik darf man sich nicht all zu viel erwarten, weil sie ist Teil des ganzen Problems. Es braucht eine konzertierte Aktion von Lehrern und Eltern, die sich zusammentun und ihrer Unzufriedenheit in geballter Form zum Ausdruck bringen und durch den Zusammenschluss Macht ausüben. (…) Es braucht eine Revolution von unten.“ Schließlich gibt er den Eltern den Rat, den Druck rauszunehmen: „Je mehr Druck sie machen, umso mehr sinkt die Lernmotivation und die Leistungsbereitschaft.“

Zitate frei unter Hinweis auf BR-Thementag.

"Kinder unter Druck?"

Die gesamte Diskussion ist zu sehen am BR-Thementag: "Was Schüler leisten" am Mittwoch, 12. September 2012, 20.15 Uhr auf BR-alpha

Es diskutieren:
- Matthias Fack, Präsident Bayerischer Jugendring (BJR)
- Dr. med. Nikolaus von Hofacker, Kinder- und Jugendpsychiater
- Prof. Dr. Thomas Rauschenbach, Direktor Deutsches Jugendinstitut e. V.
- Klaus Wenzel, Präsident Bayerischer Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV)
- Helmut Wöckel, 1. Vors. Freie Elternvereinigung in der Evang.-Luth. Kirche in  Bayern e.V. (FEE)

Moderation: Isabella Schmid


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