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Polizeiruf 110: "Das Gespenst der Freiheit" Statement von Redakteurin Cornelia Ackers

Stand: 25.07.2018

Cornelia Ackers (Redakteurin, "Zwei Herren im Anzug", "Polizeiruf 110: Das Gespenst der Freiheit", Bayerischer Rundfunk). | Bild: BR/Johanna Schlüter

"München, ein Ort am Rande der Großstadt, Nowhereland: Nicht der Platz, wenn man jung ist, um von einem anderen, besseren Leben zu träumen….

'Das Gespenst der Freiheit' erzählt von einer Gruppe junger Menschen, die diese Träume für sich abgeschafft haben. Sie dröhnen sich in einem zum Club umfunktionierten Flachbau zu. Das blonde Mädchen, auf das nicht nur ihr Freund, der Halbiraner Farim steht, nennen sie Glupschi. Den Soundtrack auf ihrer Reise zum Mittelpunkt der Bewusstlosigkeit liefert ein Gassenhauer namens 'Ein Hoch auf die Erinnerung'. Wo eine Gesellschaft ihre driftenden Kinder abgeschrieben hat und die Großstadttristesse zwischen SB-Bäckereien und Bahnunterführung verwahrlosten Jugendlichen Identität und Intensität verweigert, organisieren sie sich diese in Orgien entfesselter Gewalt.

Abseits von Bild und Plot-Klischees entfaltet Bonny sein Drama um die Verschiebung von Normalität ins Monströse. Regisseur Jan Bonny weiß wie kaum ein anderer diesen Momenten deutscher Anti-Poesie bittere Geschichten um Entwurzelung und Exzess abzuringen. Seine von gleichsam fiebriger Nüchternheit geprägte Inszenierung verschließt sich Pathos und Psychologisierung in eben dem Maße, wie Kommissar von Meuffels es tut.

In diesem tristen Nirgendwo vermittelt ein wie verpuppt scheinender Hanns von Meuffels im dunklen Anzug mit weißem Hemd und handgenähten Schuhen wegen Mordes an einem angeblichen Triebtäter muslimischer Herkunft. Er durchschaut die ihre Aggressionen in rechtsradikale Hetze und Übergriffe abführenden Gewalttäter. Wie dem Beamten Röhl vom Verfassungsschutz gelingt es jedoch auch ihm nicht, Kontrolle über den Fall zu gewinnen. Und so beginnt ein Kampf zwischen dem Polizisten und dem Verfassungsschützer um Farim, der in sich selbst und seiner Biografie jene Unklarheit und Zerrissenheit verkörpert, die dem ganzen Abgrund innewohnt.

'Das Gespenst der Freiheit' verhandelt Grenzen und deren Überschreitung. Die Grenzen von Anstand und Menschenwürde werden in ein moralisches Niemandsland verschoben, in dem die staatlichen Institutionen und einer ihrer Vertreter ihre Daseinsberechtigung durch ein Verhalten am Rande der Legalität unterstreichen wollen. Und in dem der Funktionär dieser Staatsmacht seine Hilflosigkeit zu Resignation und Zynismus ausformt. Dieses Drama hinterfragt wohlfeile Klischees. Die Rechten, das sind nicht nur die Glatzen aus Ostdeutschland und Dortmund; das kann heute ein junger Mann mit persischen Eltern und großer falscher Sehnsucht sein. Die Aufrechten, das sind nicht die Ordnungshüter. Und nein, es wird nicht alles gut. Am Ende bleiben zwei Sieger: das Irrationale, das sich die Wirklichkeit zur Beute gemacht hat und die Gewalt, die in die Normalität verschoben wurde. Es mögen keine schönen Bilder sein, die Bonny für den so fortschreitenden wie kollektiven Kontrollverlust findet, der sich längst in unsere eigene Wirklichkeit geschraubt hat. Aber sie brennen sich ein, in uns und unseren Hang zur Verdrängung.

Und so reiben wir Zuschauer uns die Augen und müssen uns fragen, was unsere Gesellschaft – und damit wir alle – bereit sind, für die Verteidigung unserer Freiheit zu tun. Das Gespenst ist eben nicht immer nur bei den anderen."

BR-Redakteurin Cornelia Ackers


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