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Interview Produzent Georg Tschurtschenthaler und Regisseur Andreas Pichler

Stand: 19.04.2024

Herr Tschurtschenthaler, Herr Pichler, erzählen Sie bitte etwas zur Entstehungsgeschichte dieses Films.

Andreas Pichler: Ich lebe in Südtirol, in der Nähe des Trentino, und habe im Laufe der Jahre immer wieder sehr unmittelbar mitbekommen, was dort mit den Bären passiert. Als der als "Ausbrecherkönig" bekannte Bär "M49" 2020 zum zweiten Mal aus dem Trentiner Tierpflegezentrum Casteller ausgebrochen ist, wurde das in Italien medial sehr stark aufgegriffen. "M49" war bei weitem nicht so gefährlich wie "JJ4", der später Andrea Papi tötete, aber die Richtung, in die die öffentliche Diskussion ging, war damals schon stark absehbar. Für mich war das der Punkt, an dem ich diesen Film unbedingt machen wollte. Bei diesem Thema schwingen so viele Dinge mit, das wollte ich erzählen.

Georg Tschurtschenthaler: Wir haben schon in der Vergangenheit bei verschiedenen Projekten zusammengearbeitet und als Andreas mir von seiner Idee erzählte, war auch mir sofort klar, dass diese Geschichte eine Parabel ist für die gesamtgesellschaftlichen Themen, die uns aktuell alle so beschäftigen: Mensch vs. Natur, Stadt vs. Land, Fleischesser vs. Vegetarier – all diese Konflikte sind hier vereint. Ausschlaggebend für unsere Beteiligung war dann aber tatsächlich, dass Andreas als allererster Filmemacher überhaupt exklusiven Zugang zur Bären-Einheit der Forstbehörde des Trentino bekommen hat. Damit war klar, dass wir mit diesem Film nicht ÜBER etwas erzählen, sondern die Geschichte von innen heraus darstellen können. Und das macht hier wirklich einen Unterschied.

Wie hat die Arbeit am Film dann konkret begonnen?

Pichler: Ich bin an die Forstwache des Trentino herangetreten, die für das Bärenmanagement zuständig ist, und habe erst einmal sehr viel Zeit damit verbracht, sie davon zu überzeugen, dass ich sie filmisch begleiten kann. Sie sind gegenüber Medien generell sehr verschlossen, die meisten der Forstwächter, die wir in unserem Film zeigen, standen davor noch nie vor einer Kamera. Entsprechend hat es ziemlich lange gedauert Vertrauen aufzubauen und schließlich auch von politischer Seite die Zusage für diesen Film zu erhalten.

Tschurtschenthaler: Wobei du sehr hartnäckig warst und sie erst einmal wochenlang ohne Kamera begleitet hast.

Pichler: Richtig, ich war am Anfang ohne Kamera dabei. Wir haben nicht gleich losgelegt, sondern zunächst vor allem viel gesprochen. Damit sie auch ein Gefühl dafür bekommen, auf was sie sich einlassen. Wenn man so will, war das ganz klassische Dokumentarfilm-Arbeit, denn letztlich muss man immer zuallererst eine Vertrauensbasis schaffen. Es gab schon vorher ähnliche Anfragen an die Forstbehörde, die aber immer abgelehnt wurden. Dass sie mir und uns das Vertrauen geschenkt haben, lag vielleicht auch daran, dass wir aus der Region stammen und eine gewisse Sensibilität für dieses komplexe Thema mitbringen. Aber ohne dieses hohe Maß an Hartnäckigkeit wären wahrscheinlich auch wir vor verschlossenen Türen gestanden.

Die Arbeit am Film hat also schon lange vor dem Tod Andrea Papis im vergangenen Frühjahr begonnen. Wie hat dieser dann beeinflusst, was Sie erzählen?

Pichler: Die Themen waren schon zu Beginn unserer Arbeit alle da, die Atmosphäre aber noch nicht so aufgeheizt, wie sich das mit dem Tod Andrea Papis am 6. April 2023 entwickelte. Und natürlich hat sich mit diesem Ereignis auch unser Schwerpunkt verändert. Unser Fokus ging weg vom "Ausbrecherbär M49", der zu Beginn unseres Drehs die Gemüter erregte, hin zu "JJ4", der immer mehr in den Mittelpunkt geriet. Wobei es gerade im Frühjahr und Sommer des letzten Jahres nicht ganz einfach für uns war, da man nicht genau wusste, was passieren würde, und wir die Ereignisse vor Ort tagesaktuell verfolgt haben.

Tschurtschenthaler: Der erste Todesfall durch einen Bären im Alpenraum in jüngerer Zeit ist natürlich eine Zäsur, der wir in unserem Film Rechnung tragen mussten. Wobei uns in der sich seit dem Tod Papis zuspitzenden Diskussion immer wichtig war, alle Beteiligten ausführlich zu Wort kommen zu lassen. Aus ihrer jeweils eigenen Perspektive und mit ihren eigenen, auf allen Seiten nachvollziehbaren Argumenten. Der Film stellt das Thema in all seiner Komplexität dar. Einfach zu sagen "alle Bären müssen weg" oder "kein einziger Bär darf getötet werden" ist hier keine Option. Auf eine solch komplexe Frage gibt es keine einfache Antwort – und Fragen wie diese wird es immer und in allen Bereichen geben. Fragen, die man unterschiedlich sehen kann und für deren Lösung es notwendig ist, miteinander zu sprechen und einen Kompromiss zu suchen. Wir alle müssen lernen, uns zu bewegen, die einen gegen die anderen wird auf Dauer nicht funktionieren. Es ist ein Grundanliegen dieses Films, einen Raum zu öffnen, in dem alle gehört werden, und in dem eine Lösungsmöglichkeit sichtbar wird. Auch wenn es schwer erscheint.

Hat sich durch die Ereignisse im Frühjahr 2023 möglicherweise auch Ihr Zugang zu den Bären-Förstern verändert?

Pichler: Um mit ihnen im Gespräch zu bleiben, hatte sicherlich die Vertrauensbasis einen großen Anteil, die wir in den Jahren zuvor zu ihnen aufgebaut hatten. Sie bleiben immer professionell, sachlich und pragmatisch, das merkt man im Film. Aber natürlich waren und sind sie in einer sehr schwierigen Situation. Ihre grundlegende Aufgabe ist, dass die Bärenpopulation im Trentino gedeihen kann und die Bevölkerung zu schützen. Nun werden sie auf der einen Seite von der eigenen Bevölkerung beschuldigt, zu wenig getan oder die Kontrolle verloren zu haben und auf der anderen Seite von den Tierschützern, dass sie Bärentöter sind. Einige von ihnen leben in den betroffenen Dörfern und bekommen diese Stimmung hautnah mit, das ist wirklich schwierig und ein immenser Druck, dem sie vor allem nach dem Tod Andrea Papis ausgesetzt waren – einige von ihnen haben sogar Morddrohungen erhalten. Aber sie sind ein gutes Team und stärken sich gegenseitig, ich habe großen Respekt vor ihrer Arbeit.

Zur von Ihnen angesprochenen Gesamtheit des Themas gehören neben den Mitarbeitern der Forstschutzbehörde auch viele andere Beteiligte: die Bevölkerung vor Ort, Landwirte, die Politik.

Pichler: Richtig, neben den Bären-Förstern haben wir mit vielen anderen gedreht, die von der Ausbreitung der Bären betroffen sind. Wobei hier der Zugang in den meisten Fällen sehr viel einfacher war. Es gibt immer und auf allen Seiten diejenigen, die ungern reden möchten, dafür aber auch ganz viele, die das sehr gerne tun. In unserem Fall waren das etwa die Tierschützer, aber auch die Landwirte waren erfreulich offen. Die Politik ist mit dem vormaligen Präsidenten der Region Trentino vertreten. Der aktuelle wiederum hatte kein Interesse, vor die Kamera zu treten, wir haben ihn natürlich angefragt.


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