Presse - Intendant


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PNP-Interview "Ich fürchte, wir haben uns an Ekel-TV gewöhnt"

Interview mit BR-Intendant Ulrich Wilhelm in der Passauer Neuen Presse vom 19. Oktober 2011. Das Gespräch führte Alexander Kain.

Stand: 02.11.2011

Bevor Sie Intendant des BR wurden, waren Sie Regierungssprecher von Bundeskanzlerin Angela Merkel in Berlin. Hätten Sie uns besser erklärt, was beim Euro schief läuft und warum es in der Koalition knirscht?

Ulrich Wilhelm: Das Ringen um den richtigen Weg aus der Finanzkrise ist geprägt von vielen unterschiedlichen Interessenlagen der einzelnen Euro-Mitgliedstaaten. Das auszugleichen und den notwendigen Zusammenhalt nicht aufs Spiel zu setzen, ist sehr schwierig. Mir hat es Spaß gemacht, die Dinge darstellen zu helfen, als ich in Berlin selbst in der Mitverantwortung war. Jetzt habe ich eine andere Position und kann deshalb die inneren Vorgänge nicht seriös bewerten.

Immer in der ersten Reihe, immer mit dabei, wenn Entscheidungen getroffen werden – sehnen Sie sich manchmal an die Seite von Merkel zurück?

Wilhelm: Es war eine spannende Zeit mit einer ungemein interessanten Aufgabe, sehr lehrreich, ich habe viele Eindrücke gewonnen, die mich Zeit meines Lebens begleiten werden. Und genauso gerne mache ich jetzt meine Aufgabe in München. Die Position des BR Intendanten passt sehr gut zu meinem Lebenslauf als gelernter Journalist und Jurist – übrigens habe ich unter anderem in Passau studiert.

Als neuer Intendant haben Sie begonnen, den BR umzubauen. Das Stichwort lautet „Trimedial“. Was darf man sich darunter vorstellen?

Wilhelm: Trimedial leitet sich ab von den drei Verbreitungswegen, auf denen wir unser Angebot senden: Hörfunk, Fernsehen und Online. Der gesamte Medienmarkt weltweit ist in einem gigantischen Umbruch, dem größten seit der Erfindung des Buchdrucks. Eine der Hauptursachen ist das Internet, das explosionsartig wächst und die Mediennutzung völlig verändert. Alle Medienunternehmen, von Zeitungen bis Filmwirtschaft, stellen sich darauf ein. So auch der BR: Wir wollen durch stärkere trimediale Zusammenarbeit unsere Kräfte bündeln und unsere Stärken noch besser ausspielen.

Was heißt das für den BR konkret? Es wird sich kaum um den Ausbau der Internet-Abteilung handeln, oder?

Wilhelm: Wir werden unsere angestammten Fernseh- und Radiomarken weiter entwickeln und attraktiv halten. Aber wir müssen auch die wachsende Bevölkerungsgruppe bedienen, die nicht mehr Radio und Fernsehen nutzt, sondern vorrangig das Internet. Denn alle zahlen Gebühren – künftig: Beiträge - und haben das Recht auf Teilhabe an unseren Angeboten.

Zu hören ist, dass im Zuge der Umorganisation viele Ihrer Mitarbeiter aus dem Münchner Funkhaus an den Standort München-Freimann umziehen. Was passiert da? Und was heißt das für die Zuschauer und Zuhörer?

Wilhelm: Wenn wir es gutmachen, dann werden die Zuhörer und Zuschauer am Ende hoffentlich bemerken, dass sie eine noch intensivere Hintergrundberichterstattung bekommen, noch höhere Qualität und größere Schnelligkeit. Wie genau wir die Veränderung organisieren, werden wir in den kommenden Monaten innerhalb des BR festlegen. Das sind interne Prozesse, wie sie auch Zeitungen  kennen mit Änderungen beimZuschnitt von Ressorts.

Nun, der BR gehört den Menschen in Bayern. Da dürften viele schon ein Interesse haben, was in ihrem Sender passiert.

Wilhelm: Wir wollen über die nächsten Jahre die Redaktionen, die bei der Planung und Recherche an den gleichen Themen arbeiten deutlich stärker zusammen bringen – wenn es um das Aktuelle geht sind das beispielsweise unter anderem die Kollegen von der Rundschau und von unserem Hörfunkprogramm B5-aktuell. Dadurch schöpfen wir Kapazitäten für Tiefe, Schnelligkeit und Aufbereitung. Mit der bisherigen örtlichen Verteilung ist das nicht zu erreichen - Hörfunk und Fernsehen sind zehn Kilometer voneinander entfernt. Das Zusammenbringen geht natürlich nicht von heute auf morgen. Wir werden in den nächsten fünf Jahren in Freimann, wo unser Fernsehen beheimatet ist, ein Aktualitätenzentrum einrichten, für die Kollegen, die für Radio, Fernsehen und Online aktuell arbeiten. Sie werden die Teile ihrer Arbeit, die sie besser gemeinsam erledigen, auch gemeinsam machen, am Ende aber in der Informationsvermittlung ihre Spezialisierung auf Radio, Fernsehen und Online behalten.

Wir werden also am Ende nicht denselben Bericht im Radio hören, im TV sehen und Online  lesen?

Wilhelm: Nein, es bleibt der bei der Vielfalt und den unterschiedlichen Perspektiven.

Sie wollen Ihre Online-Aktivitäten vertiefen – mit Gebührengeldern. Treten Sie da nicht in Konkurrenz zu den Medienunternehmen, die sich am Markt finanzieren müssen? Oder beschränken Sie sich darauf, TV und Radio-Beiträge online zu stellen?

Wilhelm: Zunächst gibt es eine Reihe von Gemeinsamkeiten zwischen dem Bayerischen Rundfunk und den regionalen Zeitungen. Beide zusammen bieten eine verlässliche Informationsgrundlage für die Menschen. Darauf ruht unsere Demokratie – schließlich geht es bei der öffentlichen Meinungsbildung darum, Entwicklungen beurteilen zu können. Wir unterscheiden uns in der Finanzierung, aber wir wachsen ein Stück zusammen, was die Angebote anbelangt: Zeitungen kommen im Internet ohne Bewegtbilder nicht mehr aus, wir brauchen im Netz auch Texte zur Vermittlung. Wir dürfen dabei im Internet nicht werben und wir sind auch im Lokalen nicht so stark verankert – das ist die ganz große Stärke und Unverwechselbarkeit der Zeitungen: die beste Lokalberichterstattung, die sich denken lässt. Wir hingegen haben mit dem dichtesten Korrespondentennetz aller Medien in Bayern den Fokus auf die landesweite Berichterstattung. Am Ende gilt: Beide brauchen wir die  junge Generation – Zeitungen können sich den Generationenabriss nicht leisten, und wir auch nicht, weil unser gesetzlicher Auftrag als öffentlich-rechtliches Medium ist, die Gesamtheit der Bevölkerung zu erreichen. Die Kunst wird sein, uns wechselseitig nicht die Existenzgrundlage zu nehmen, sondern zu kooperieren.

Wie erklären Sie uns, dass die öffentlich-rechtlichen Sender sich mit vielen hundert Millionen Euro Gebührengeldern am Wettbewerb um Sportrechte beteiligen? Öffentlich-rechtliche  Sender müssen nicht nach Quote schielen. Sollten Sie das nicht den Privatsendern überlassen?

Wilhelm: Man muss genau differenzieren. Öffentlich-rechtliche Sender haben den  gesetzlichen Auftrag, eine Grundversorgung auch im Bereich des Sports anzubieten. Es gibt bei weitem nicht für jedes sportliche Großereignis ein privates Angebot. Nehmen wir die Olympischen Spiele: Weder RTL noch ProSieben/Sat.1 könnten ihr Hauptprogramm zwei Wochen freischaufeln für eine umfassende Live-Berichterstattung über alle Sportarten,  auch weniger populäre Randsportarten. ARD und ZDF tun genau das , deshalb gibt es keine relevanten Mitbieter.Oder nehmen Sie den DFB-Pokal mit einer Vielzahl an Vereinen, die eine regionale Strahlkraft haben. Die Begegnungen der vielen Amateurmannschaften im Pokal, wir bringen ausführliche Zusammenfassungen im Hauptprogramm. Den Privaten wäre das so nicht möglich, weil sie jede Programmminute refinanzieren müssen. Hier könnte man nur Spiele sehen wie Bayern gegen Dortmund, aber nicht den gesamten Cup. Öffentliche Kritik gab es an der Champions League, deren Übertragungsrechte jetzt beim ZDF liegen. Ansonsten wollten die privaten Hauptprogramme wie RTL und SAT 1 nie die gleiche Art Programm machen wie wir, sondern allenfalls einzelne Highlights zeigen.

Aber wenn es dann um die Übertragung von Ski-Weltcup-Rennen vom Arber geht, dann ist kein Geld da. Da bleibt man lieber in den Alpen. Das widerspricht doch dem, was Sie eben sagten.

Wilhelm: Die ARD bildet mit ihren Programmen regelmäßig rund 100 verschiedene Sportdisziplinen ab – also nicht nur Fußball, sondern gerade auch viel Wintersport. Wir versuchen, das Regionale sehr stark wahrzunehmen. Wir setzen in den „Blickpunkt-Sport“-Sendungen gezielte Akzente zu regionalen Sportereignissen. Wir sind vielfach vor Ort. Und wir haben übrigens 100 Sportseiten in unserem Videotext-Angebot Bayerntext ...

... aber es geht doch nicht um die Vermeldung von Ergebnissen, sondern um die Übertragung, etwa vom Arber.

Wilhelm: Die Ski-Weltcup-Austragungsorte legt  nicht der Bayerische Rundfunk fest, und noch nicht einmal der DSV alleine, sondern die FIS. Wir können beim neuen Vertrag mit dem DSV noch nicht sagen, welche Orte die FIS festlegen wird.

Aber für Ostbayern wäre schon gut, wenn Sie sagten: Wenn am Arber etwas stattfindet, dann werden wir übertragen.

Wilhelm: Das hat der BR im August in Briefen an  Bezirkstagspräsident Löffler und Landwirtschaftsminister Brunner bereits deutlich gemacht, dabei bleibt es. Ich glaube, dass der Arber als Wintersportort attraktiv ist.

Kommen wir von der Information zur Unterhaltung: Wie gehen Sie mit der Kritik um, Sendungen wie „Dahoam is Dahoam“ und „mia sanmia“ seien nichts anderes als das, was die Privaten auch machen – nur halt bayerisch?

Wilhelm: Die Angebote unterscheiden sich in der Qualität. "Dahoam is Dahoam" ist in Bayern die erfolgreichste tägliche Serie im deutschen Fernsehen und hat bundesweit das treueste Publikum. Leute, die sich "GZSZ" oder "Verbotene Liebe" nicht ansehen würden, schauen sich "Dahoam is Dahoam" an. Und bei „mia san mia“ führen wir ganz bewusst nicht Laien öffentlich vor. Wir schauen im Gegenteil mit besonderer Sympathie auf die Helden unserer Sendungen - auf ihre Stärken, nicht ihre Schwächen.

Sie werden also nicht auch noch eine bayerische Gerichts-Soap obendrauf setzen?

Wilhelm: (lacht) Mit dem "Königlich bayerischen Amtsgericht" gab es ja einmal eine wirklich Standards setzende Gerichtsshow aus Bayern – leider vom ZDF. Der BR hat dann das sehr beliebte "Cafe Meineid" gemacht. Ich will unseren Programm-Machern nicht vorgreifen, die sich so etwas ja vielleicht überlegen.

Das "Königlich bayerische Amtsgericht" war Kult, ebenso wie "Irgendwie und Sowieso". Derzeit ist dergleichen nicht zu sehen, oder?

Wilhelm: Ich finde schon. "Irgendwie und Sowieso" hat ja in den 80ern Franz Xaver Bogner gemacht – der für uns gerade die Fortsetzung von "München 7" gedreht hat. Und wenn ich dann an "Hubert und Staller" denke oder an die von uns erfundenen Heimatkrimis wie zum Beispiel "Erntedank" mit dem Allgäuer Kult-Kommissar Kluftinger etwa, dann muss ich sagen, entstehen derzeit tolle Dinge.

Edmund Stoiber, dem Sie in seiner Zeit als Ministerpräsident ebenfalls als Pressesprecher gedient haben, hat sich alsBeirats-Vorsitzender von ProSieben.Sat.1 zu Wort gemeldet und beklagt, es werde in Deutschland keine Medienpolitik mehr betrieben.Wie sehen Sie das?

Wilhelm: Der rechtliche Rahmen der Medienpolitik muss in der Tat in immer kürzeren Zeiträumen angepasst werden, weil neue digitale Entwicklungsschübe, etwa aus den USA oder durch die globalen Medienunternehmen, die Märkte laufend verändern. Darauf muss die Politik reagieren. Die Abläufe beschleunigen sich, und Medienpolitik wird in der Tat wichtiger.

Sie sprechen von Entwicklungsschüben aus den USA. Was genau sehen Sie?

Wilhelm: Die Übertragungsgeschwindigkeiten im Internet werden kontinuierlich besser werden, die Vielfalt der Angebote nimmt weiter zu. Programme im Netz werden durch den Einsatz von Rechnern maßgeschneidert für Werbekunden und für die Wünsche der Zuschauer. Also, wenn  ich fünf Krimis angeklickt habe, lernt der Rechner, dass mich das besonders interessiert und filtert dann von vornherein Angebote nach diesem Interesse. Das verändert auf Dauer die Gesellschaft, weil es die Vielfalt verkürzt und neue Impulse vorenthalten werden. Beim Durchblättern einer Zeitung kann ich zum Beispiel Artikel entdecken, die mich eigentlich nicht interessiert haben. Wenn ich sie aber sehe und lese, stelle ich fest, dass sie doch interessant waren. Und bei einem Vollprogramm wie dem BR erlebt man ebenfalls eine Vielfalt, die Anregungen auch für Anderes, Unerwartetes vermittelt. In den letzten zehn Jahren haben wir in Deutschland so etwas wie Ekel-TV erlebt.

Ist das wieder abgeebbt – oder haben wir uns nur daran gewöhnt?

Wilhelm: Ich fürchte, dass wir uns nur daran gewöhnt haben.

Sie kennen die Szene: Müssen wir uns darauf einstellen, dass da mehr auf uns zukommt?

Wilhelm: Ich glaube ja. Was in denUSA bei einer Reihe von Kanälen wie Fox oder Talk-Radios ebenfalls zu beobachten ist: , sie polarisieren und tragen so zur Spaltung  der Gesellschaft bei. Hier müssen wir dagegenhalten, denn die Gesellschaft ist ohnehin auch bei uns in Gefahr, in immer mehr Einzelteile zu zerfallen. Man spricht von Parzellierung der Gesellschaft, wenn das Große, Verbindende immer schwächer wird. Die Stabilität in der deutschen Gesellschaft hat auchmit einer sehr gut ausdifferenzierten Medienlandschaft zu tun. Das müssen wir uns erhalten.

Im Frühjahr war über den Bau eines neuen Konzerthauses für das BR- Symphonieorchester in München diskutiert worden. Zuletzt wurde es still um das Thema. Ist es vom Tisch?

Wilhelm: Keineswegs. Es gibt wachsende Unterstützung bei vielen Musikbegeisterten in Bayern. Derzeit gibt es vorbereitende Gespräche. Ich hoffe, dass die Arbeitsgruppe, die Kunstminister Wolfgang Heubisch eingesetzt hat, in den nächsten Wochen ihr Ergebnis vorlegen wird.

Zahlen dann die Gebührenzahler in Hof, Passau und Aschaffenburg für ein Konzerthaus in München?

Wilhelm: Zumeinen haben private Mäzene ihre Unterstützung angekündigt, ein Gutteil müsste von der öffentlichen Hand kommen. Der BR selbst kann kein Konzerthaus bauen, sondern nur die programmbezogenen Leistungen finanzieren – also etwa Ausstattung und Studiotechnik.

Das schwäbische Augsburg soll ein eigenes Regionalstudio bekommen. Niederbayern hingegen wird aus der Oberpfalz, dem Studio Regensburg, mitversorgt. Wird sich daran etwas ändern?

Wilhelm: Augsburg ist die drittgrößte Stadt in Bayern, hat aber - anders als etwa Regensburg oder Würzburg mit den Studios – nur ein Korrespondentenbüro. Derzeit laufen Gespräche, ob es eine Aufwertung gibt. Zu Regensburg: Der BR macht dort seit Jahren erfolgreich Programm für Niederbayern und die Oberpfalz. Die Resonanz ist weit überdurchschnittlich. Wir haben ganz klare Schwerpunkte für Niederbayern im Programm – im ersten Halbjahr zum Beispiel im Bayerischen Fernsehen über 200 Beiträge allein in „Schwaben und Altbayern“ und der „Abendschau“. Niederbayern ist eines unserer stärksten Sendegebiete.

Gespräch: Alexander Kain


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