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Handelsblatt Ulrich Wilhem: "Wegducken reicht nicht"

Seit Jahresbeginn ist BR-Intendant Ulrich Wilhelm auch Vorsitzender der ARD. Im Handelsblatt erklärt er, welche Reformen ihm für den Senderverbund vorschweben und warum ein Inflationsausgleich nötig ist. Das Gespräch führten Hans-Jürgen Jakobs und Hans-Peter Siebenhaar.

Stand: 08.01.2018

Handelsblatt vom 8.1.2018

Er hat Edmund Stoiber und Angela Merkel in der Politik repräsentiert, nun soll er die ARD retten: Der 56-jährige Intendant des Bayerischen Rundfunks (BR) hat sich als frisch gebackener ARD-Vorsitzender viel vorgenommen.

Herr Wilhelm, Sie sind für zwei Jahre ARD-Vorsitzender. Ist das wirklich ein Grund zur Freude?

Zunächst einmal sind es Jahre, die für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk grundlegende Weichenstellungen bringen werden. Der Vorsitz ist gleichzeitig ein faszinierendes Amt, weil sich der öffentliche Raum derzeit so grundlegend ändert.

Tatsache ist: Sie leiten einen bürokratischen Apparat.

Ja, wie jedes föderale System sind wir geprägt von zahlreichen Sitzungen, auch mit den Gremien und Ausschüssen, die uns kontrollieren. Die ARD ist kein Konzern, dessen CEO sagen kann, so machen wir‘s. Wir müssen für jeden Euro, den wir ausgeben, einen Konsens unter den neun Rundfunkanstalten erreichen.

Wie wollen Sie denn in die Annalen der ARD eingehen?

In der Rolle des ARD-Vorsitzenden ist man kein Chef, sondern Primus inter Pares auf Zeit. Ich werde aber nicht umhin kommen, auch Reformer und Modernisierer zu sein. Denn das Geld wird weniger und die Konkurrenz härter. Es geht jedoch nicht nur um Kosten und Synergien, viel wichtiger ist unser Produkt: Unsere journalistischen Inhalte müssen zu einem unverwechselbaren Profil führen.

Ihr Ministerpräsident in Bayern, Horst Seehofer, hat 2016 eine Zusammenlegung von ARD und ZDF unter einem Dach gefordert.

Wenn die 16 Bundesländer gemeinsam entscheiden sollten, einen solchen Schritt zu gehen, könnte kein Intendant das verhindern. Über eine Fusion von ARD und ZDF entscheiden nicht Intendanten, sondern das müssten alle Ministerpräsidenten und alle Landtage beschließen. Dazu wird es selbstverständlich nicht kommen, da einige Länder definitiv abgewunken haben. Schließlich haben die Landtage auch jeden einzelnen Sender und jede Plattform beschlossen.

In einem Konzern wäre leichter durchzusetzen, dass ARD und ZDF ordentlich kooperieren.

Unsere Stärke ist der Föderalismus. Und, außerdem: Es passiert doch schon viel! So produzieren wir jede zweite Woche das „Mittagsmagazin“ nicht mehr hier in München, sondern nutzen gemeinsam Technik und Studio des ZDF in Berlin. Klar, es ist noch mehr denkbar. Und das packen wir jetzt an: etwa mit gemeinsamen IT-Lösungen.

Ein ARD-Konzern könnte als Körperschaft des öffentlichen Rechts für ganz Deutschland wirken.

Das wollte bisher kein einziger Landtag. Selbst bei den kleinsten ARD-Anstalten Radio Bremen und Saarländischer Rundfunk kommt aus beiden Ländern der Ruf: An unserer Selbstständigkeit bitte nichts ändern!

Sie beschreiben gerne, was nicht geht. Uns interessiert, was geht.

Unsere wichtigste Aufgabe ist zweifellos, attraktives Programm zu machen, in Fernsehen, Hörfunk und Online. Hier haben ARD und ZDF in den letzten Jahren sogar deutlich zugelegt. Bei den Rahmenbedingungen liegt vieles nicht in unserer Hand: Wir können etwa als ARD immer nur das tun, was uns das Gesetz erlaubt, Stichwort Kartellrecht. So kooperieren wir bei der Produktionstechnik, der IT oder den Archiven, um Kosten zu senken. Die neue Audiothek der ARD wurde für die gesamte Gemeinschaft in München programmiert.

Die Deutschen zahlen im Monat 17,50 Euro für Rundfunk, egal, ob sie wollen oder nicht. Mit viel mehr Geld können Sie nicht rechnen.

Die Diskussion ist heftiger geworden. Dabei dürfen wir aber nicht vergessen, dass der Rundfunkbeitrag seit neun Jahren nicht mehr gestiegen und zuletzt sogar gesunken ist.

Sie bitten alle Deutschen zur Kasse, nicht nur jene mit TV und Radio.

Der Gesetzgeber musste auf die veränderte Mediennutzung reagieren: In der digitalen Welt kann jeder ohne Radio und Fernsehgerät auskommen und dieselben Programme im Internet verfolgen. Gleichzeitig müssen wir unserem Publikum auch mobil nutzbare Angebote machen, wie Apps, Mediatheken oder Live streams, etwa bei Klassik-Konzerten. Wofür wir als ARD werben, ist daher ein Ausgleich der allgemeinen Teuerung.

Das hat jeder neue ARD-Chef getan.

Falsch: In der Vergangenheit haben ARD-Vorsitzende und ZDF-Intendanten einen Ausgleich für programmliche Expansion und eine sogenannte rundfunkspezifische Teuerung verlangt und durchsetzen können. Heute ist der Rundfunk der einzige Teil öffentlicher Daseinsvorsorge, bei dem die Inflation nicht ausgeglichen wurde. Inflationsbereinigt zahlen die Menschen in Deutschland seit gut zehn Jahren nicht mehr Rundfunkbeitrag – und das bei einem größeren Angebot. Darüber werden wir mit den Ländern sprechen müssen.

Die Öffentlich-Rechtlichen haben 20 TV-Programme und 69 Radiosender. Vielleicht des Guten etwas zu viel?

Wir sind bereit, Dinge zurückzubauen. Das gilt auch für unsere Beteiligungen und Tochterfirmen. Doch Nordrhein-Westfalen hat sich beispielsweise aus standortpolitischen Gründen geweigert, den ARD-Kanal „Einsfestival“ mit Sitz in Köln zu streichen. Seit 2016 heißt er „One“.

Kooperieren Sie doch einfach mehr mit privaten Konkurrenten!

Ein solcher Ansatz ist richtig. Wir machen das bei der Serie „Babylon Berlin“ mit Sky und bei Olympia mit dem Discovery-Konzern. Wir müssen Win-win-Situationen erarbeiten.

Die ARD hat bereits 120 Web- und Desktopangebote.

Allzu viele Mini-Angebote im Netz bringen wenig. Beim BR setzen wir auf eine starke Mediathek und eine Nachrichten-App. Mir geht es vor allem darum, dass wir im Netz künftig nicht einfach auf US-Plattformen verschwinden, sondern die Menschen aus eigener Kraft zu unseren Angeboten führen. Dieses Interesse eint uns mit den Verlagshäusern. Vielleicht hilft eine eigene, übergeordnete Plattform unserer Qualitätsinhalte. Darüber könnten wir nachdenken.

Die Ministerpräsidenten wollen bis März weitere Reformideen von ARD und ZDF. Sie sind unzufrieden.

Die Politik muss sich entscheiden, welches inhaltliche Angebot an Rundfunk sie will. Ganz ohne Inflationsausgleich müssten wir kräftig ins Programm schneiden – zulasten unseres Publikums, das sich zu Recht beschweren würde.

Sie können nicht bestreiten, dass der Erfolg der AfD die Lage verändert. Sie will ARD und ZDF zerstören.

Keine Bange, ich bin von dieser Welt. Ich will durch Überzeugungsarbeit Standpunkte verändern. Das liegt mir am meisten.

Die Schweiz stimmt sogar über das Ende der Rundfunkgebühr ab.

Diese Diskussion gibt es schon in ganz Europa. Unsere Angebote stehen zunehmend im Wettbewerb. Die Intendanten müssen sich dieser Herausforderung stellen. Mit mehr Effizienz, mehr Mut und neuen Inhalten. Wegducken reicht nicht.

Gäbe es ein Plebiszit über Ihren Sender in Bayern, dann…

…hätten wir nichts zu befürchten. Umfragen zufolge ist der BR nach BMW die Nummer zwei unter den angesehensten Institutionen im Freistaat. Zu Globalisierung und Digitalisierung ist die engere Heimat eine starke Gegenkraft.

Sie wollen eine Art Lotse sein?

Dass wir in unserem Land mit ARD und ZDF einen freien und starken Rundfunk haben, der sich an alle Menschen gleichermaßen richtet, ist ein hohes gesellschaftliches Gut. Wohin es führt, wenn die öffentliche Meinungs- und Willensbildung vorwiegend sozialen Medien überlassen wird oder einigen Privatsendern, können wir in den USA erleben.

ARD und ZDF als der größte gemeinsame schlaue Nenner?

Wenn Sie so wollen. Aber ich halte nichts von Prahlerei. Wir sind noch nicht so gut, wie es klingt.

Bleibt nur die Frage, ob es in zehn Jahren ARD und ZDF noch gibt.

Wir erleben weltweit eine riesige Konzentrationsbewegung bei Sendern, Netz- und Telekommunikationsfirmen. Lokale Inhalte aus Wissenschaft, Kultur oder Politik kommen unter Druck. Wenn wir uns da unterscheiden wollen, brauchen wir neben dem Qualitätsangebot der Verlage auch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. In der gegenwärtigen Schwächung Europas müssen wir uns wieder stärker auf die Fundamente der Bundesrepublik besinnen.

Wir danken für das Gespräch.


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