Presse - Intendant


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Straubinger Tagblatt "Menschen brauchen Qualitätsmedien"

Intendant Ulrich Wilhelm im Straubinger Tagblatt (Dienstag, 24. Juli 2012) über Fernsehen und Zeitungen als Partner zur Meinungsbildung in der Demokratie, Interview: Dr. Gerald Schneider

Stand: 27.07.2012

Er zählte zu den sympathischsten Gesichtern der Regierung. Zwischen 2005 und 2010 erklärte Ulrich Wilhelm als Sprecher die Entscheidungen der Bundesregierung. Seit Februar 2011 ist Wilhelm Intendant des Bayerischen Rundfunks (BR). Im Gespräch mit unserer Zeitung äußert er sich zu den Herausforderungen, denen auch die öffentlich-rechtlichen Sender angesichts stagnierender Einnahmen gegenüberstehen. 

Der Medienwandel schreitet stetig voran. Wie stellt sich der Bayerische Rundfunk auf diese Veränderungen ein? 

Wilhelm: Wir wollen für alle Teile der Bevölkerung ein gutes Programm anbieten. Das ist auch unser gesetzlicher Auftrag. Zugleich erleben wir einen tiefgreifenden Wandel in der Art, wie Menschen Medien nutzen. Wer Hörfunk und Fernsehen wie seit Jahrzehnten nutzen will, wird das selbstverständlich weiter können. Gleichzeitig gibt es eine wachsende Zahl von Menschen, die ganz selbstverständlich Medien dynamisch nutzen: Sie warten beispielsweise nicht mehr, bis um 20 Uhr die Tagesschau kommt, sondern rufen sie im Internet auf, nutzen die Tagesschau-App, sie hören Radioberichte über Podcasts, wechseln sehr schnell zwischen unterschiedlichen Onlineangeboten hin und her. Dieser Bevölkerungsgruppe, die ja auch Gebühren zahlt und unser Programm damit finanziert, müssen wir ebenfalls attraktive Inhalte bieten. Das heißt, wir müssen mit unseren begrenzten Mitteln einerseits das Bestehende pflegen und zusätzlich neue Medienkanäle bedienen. Das ist unser Programmauftrag: für die gesamte Bevölkerung eine verlässliche Grundversorgung über die wichtigsten Themen des öffentlichen Lebens sicherzustellen. 

Erklären Sie uns doch Ihr Projekt BRhoch3. 

Wilhelm: Ziel ist es, unsere journalistische Kompetenz, bislang weitgehend getrennt in Hörfunk, Fernsehen und Online, stärker zu bündeln und unsere Angebote dadurch zu stärken. Das heißt zum Beispiel, dass Hörfunk-, Fernseh- und Onlinekollegen im Aktuellen stärker gemeinsam recherchieren und planen und dadurch Ressourcen frei werden für eine intensivere Hintergrundberichterstattung und nachhaltige, attraktive Angebote auf allen Ausspielwegen. 

Regionalzeitungen bezeichnen Sie als Partner. Wie definieren Sie diese Partnerschaft? 

Wilhelm: Menschen brauchen Qualitätsmedien, die Geschehnisse umfassend aufbereiten und einordnen. Weder die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanbieter noch die Qualitätszeitungen können die Grundversorgung und die Basis der öffentlichen Meinungsbildung alleine leisten. Die Zeitungen haben zwar ungleich größere Möglichkeiten, Hintergründe facettenreich auszuleuchten und zu kommentieren. In der Berichterstattung erfassen sie das Geschehen auch in den kleinsten Gemeinden. Umgekehrt erreichen Sender wie Das Erste, ZDF oder der BR eine große Zahl von Menschen und können so noch stärker Aufmerksamkeit für wichtige Themen schaffen. Wir sind also enge Partner in einer Verantwortungsgemeinschaft für die Meinungsbildung in der Demokratie. 

Es gibt aber auch Irritationen. Vor Kurzem ist die Tagesschau-App mit dem Grimme Online-Award ausgezeichnet worden. Welche Bedeutung hat dieser Preis angesichts der Proteste vonseiten der Zeitungsverlage, die der ARD vorwerfen, sie würde gebührenfinanziert den Verlagen Konkurrenz machen und sogar gegen die App klagen? 

Wilhelm: Ich sehe hier keine einheitliche Linie aller Verleger. Die Klage wurde von acht Verlagen eingereicht. Das Bundesverfassungsgericht hat dem öffentlich rechtlichen Rundfunk ganz bewusst seit Jahrzehnten eine Entwicklungsgarantie gegeben und ausdrücklich festgestellt, dass auch ARD und ZDF den Weg ins Internet gehen dürfen. Wenn wir von allen bezahlt werden, müssen wir auch für alle da sein. Ganz sicher wollen wir keine elektronische Zeitung machen. Es ist eine Frage des rechten Maßes und diese Frage lösen wir nicht auf dem Klagewege, sondern durch Verständigung. Ich werde mich selbst dafür einsetzen und bin auch zuversichtlich, dass wir in den kommenden Monaten zu einer Lösung kommen. Wir sind Partner, werden im öffentlichen Diskurs gebraucht und sollten gemeinsam einen Modus finden, wie wir uns gut ergänzen können. 

Sehen Sie den Qualitätsanspruch bei den öffentlich rechtlichen Anstalten in dem Maße erfüllt, wie Sie sich das wünschen? Ein Vorwurf an ARD und ZDF lautet ja, auch sie würden es den Privatsendern gleichtun und zu viele seichte Serien, Billigproduktionen und Sportübertragungen senden. 

Wilhelm: Qualität ist unser Maßstab, an ihm orientiert sich unsere tägliche Arbeit. Jeder Sender probiert regelmäßig auch neue Formate aus. Dabei entstehen oft, sicher aber nicht immer, ganz besondere Sendungen. In unserer Ausrichtung unterscheiden wir als BR uns ganz erheblich von privaten Anbietern: Bayern 2 und BR KLASSIK sind zum Beispiel zwei ausgeprägte und hochwertige Kulturprogramme im Hörfunk. Mit BR-alpha haben wir als einziger Sender in Deutschland einen eigenen Bildungskanal. Auch in unseren fiktionalen Produktionen bieten wir bundesweit anerkannte Qualität. Beispiele sind unser Tatort oder Polizeiruf, die zudem oft gesellschaftlich relevante Themen aufgreifen. Daneben setzen wir in unserer Heimatkrimireihe mit großer Liebe zum Detail auf regionale Identität. Die Heimat, das Regionale hat generell ein hohes Gewicht und wird von den Bayern geschätzt. In diesem Zusammenhang könnte ich eine ganze Reihe von Hörfunk- und Fernsehsendungen aufzählen. Auch im Bereich des Sports haben wir eine andere Gewichtung als Privatsender: Bei den Olympischen Spielen berichten wir zum Beispiel jeweils einen gesamten Tag lang über die gesamte Bandbreite des Wettkampfgeschehens, auch über weniger populäre Sportarten. Das würden kommerzielle Sender, die sich ausschließlich über Werbung refinanzieren müssen, in dieser umfassenden Form nicht machen können. 

Der Bayerische Rundfunk schreibt rote Zahlen. Während die Einnahmen weitgehend gleich geblieben sind, steigen die Kosten. Wie wollen Sie angesichts dessen die Qualität im Programm sichern? 

Wilhelm: Wir hatten 2011 weniger Gebühreneinnahmen als 2009, gleichzeitig sind in den vergangenen Jahren die Ausgaben für Personal, Technik, Energie gestiegen. Wir bauen nun Rücklagen ab. Ihr Volumen ist allerdings begrenzt. Die Gebühr ist seit 2009 unverändert und auch 2013 und 2014 wird es keine Beitragserhöhung geben. Wenn Kosten branchenüblich steigen, der Haushalt aber eingefroren bleibt, muss mit Bedacht auch darüber nachgedacht werden, ob wir alle unsere Angebote im gleichen Umfang wie bisher aufrechterhalten können. Ziel bleibt es, unsere hohe Qualität zu sichern. Da hochwertige Programme auch am meisten kosten, haben wir uns keine leichte Aufgabe gestellt. 

Vor Kurzem haben Sie in einem Beitrag in der FAZ ein Plädoyer für mehr Europa abgelegt. Was hat Sie dazu bewogen, sich als Intendant so dezidiert zu einem aktuellen politischen Thema zu äußern? 

Wilhelm: Als gelernter Journalist wurde ich vor einigen Wochen von der FAZ eingeladen, im Rahmen einer Serie von Gastbeiträgen zum Euro einen Beitrag zu verfassen. Ich habe Europarecht studiert und befasse mich seit dieser Zeit intensiv mit dem Thema. Wichtig war mir, die Probleme der Eurozone nicht lediglich zu benennen oder zu erklären, was alles nicht geht, sondern einen möglichen Weg aus der Krise zu skizzieren. 

Sie waren lange Regierungssprecher von Angela Merkel. Vor Kurzem hat Bundespräsident Joachim Gauck an die Regierung appelliert, sie solle ihre Politik den Bürgern besser erklären. Sehen Sie da auch Defizite? 

Wilhelm: Der Bundespräsident hat deutlich gemacht, dass in der Frage Europas den Bürgern viel erklärt werden muss. Es ist in dieser Situation Sache aller Akteure – Regierungen, EU-Institutionen, Finanzinstitute, Wirtschaft – ihr Vorgehen immer wieder zu erläutern. In unserer Rolle als Medien sind wir gefordert, die Menschen nicht zu überfordern, sondern tagtäglich die Lage einzuordnen. Die Ereignisse sind so schwer zu durchschauen, dass all jene, die sich vertieft mit der Materie befasst haben, in einer besonderen Verpflichtung stehen und das sind ganz entscheidend auch die Medien. 


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