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Interview im Kurier "Ein großer Wurf, so wie Airbus einst die Antwort auf Boeing war"

Ulrich Wilhelm, ARD-Vorsitzender und Intendant des Bayerischen Rundfunks, war Gast bei den Österreichischen Medientagen. Dem "Kurier" gab er ein Interview über US-Konzerne, Europa und die Aufgaben der Öffentlich-Rechtlichen..

Von: Christoph Silber

Stand: 25.09.2018

Ulrich Wilhelm, Intendant des Bayerischen Rundfunks | Bild: BR/Johanna Schlüter

KURIER: Ist es nicht müßig, über die TV-Welt der Zukunft aus Sicht Europas zu diskutieren? Es spielt im Konzert der Tech-Giganten keine Rolle.

Ulrich Wilhelm: Für unser Publikumspielt Europa sehr wohl eine zentrale Rolle. Die Mehrheit unserer Zuschauer, Hörer und User will nach wie vor Inhalte, die in ihrer Lebenswirklichkeit spielen – regionale, nationale, europäische Inhalte. Die regionale Verankerung ist doch die große Stärke der ARD und des öffentlich-rechtlichen Rundfunks insgesamt. Wir „Ein großerWurf, so wie Airbus einst die Antwort auf Boeing war“ haben schon immer vor allem auf lokalen und regionalen Content und auf Eigenproduktionen gesetzt, weil wir es als unsere Aufgabe sehen, nah an den Menschen zu sein. Natürlich müssen wir gleichzeitig auf die Konkurrenz aus Überseemit ihrer riesigen Finanzkraft reagieren, etwa im Bereich serielles Erzählen, müssen hochwertige Eigenproduktionen stemmen, komplexe Geschichten erzählen. Eine Serie wie „Babylon Berlin“, die am 30. September im Ersten startet und auf Weltniveau spielt, zeigt, dass wir bereits reagiert haben.

KURIER: Sie haben den Vorschlag einer europäische Plattform lanciert.

Ulrich Wilhelm: Alle, mit denen ich spreche, erkennen dieHerausforderung: Europa ist in Gefahr, die digitaleHoheit über sein kulturelles Erbe zu verlieren. Im Moment landet jeder, der imInternet eine große Zielgruppe erreichen will, zwangsläufig bei Google, Apple, Facebook und Amazon. Diese dominanten US-Plattformen spielen nach ihren Regeln. Wir haben in Europa nicht mehr selbst in der Hand, welcher Inhalt mit welcher Relevanz sichtbar wird, wir haben die Kontrolle an US-Firmen abgegeben.

KURIER: Was ist die Antwort darauf?

Ulrich Wilhelm: Wir brauchen eine europäische digitale Infrastruktur – eine Plattform von Aualitätsangeboten im Netz, an der sich die Öffentlich-Rechtlichen, die privaten Rundfunkanbieter, die Verlage, aber auch Institutionen aus Wissenschaft und Kultur und viele andere beteiligen können. Deutschland und Frankreich könnten die Initiatoren sein, weitere Länder hinzukommen. Am Ende sollte ein großer Wurf stehen, so wie Airbus einst die Antwort auf Boeing war.

KURIER: Die politische Meinungsbildung findet heute oft nach dem Prinzip statt, wer am lautesten schreit, hat recht. Social Media ist zum Hort von Fake News, Hass und Manipulation geworden. Kann Öffentlich-Rechtlicher Rundfunk, der als „Staatsfunk“ diskreditiert wird, hier noch etwas leisten?

Ulrich Wilhelm: Diese Zunahme von Hass und Manipulation im Netz ist auchmeine Beobachtung. Sie erfüllt mich mit großer Sorge. Am Ende geht es um den gesellschaftlichen Zusammenhalt, in Deutschland wie Europa. Heute gilt: Je zugespitzter und emotionaler ein Inhalt im Netz ist, desto stärker verbreitet er sich.Das führt zu Radikalisierung und Polarisierung. Die Folgekosten sind umso größer, je mehr Europa zerrieben wird. Demokratie braucht, wenn es darauf ankommt, eine ungeteilte, integrierte Öffentlichkeit statt immer mehr Teilöffentlichkeiten und Filterblasen, in denen sich nur die jeweils eigene Weltsicht bestätigt. Hier liegt die gemeinsame Aufgabe aller Qualitätsmedien, und die spezielle Aufgabe des solidarisch finanzierten öffentlichrechtlichen Rundfunks. Und hier liegt auch das Potential einer europäischen Qualitätsplattform, wie ich sie skizziert habe.

Übernahme des Interviews mit freundlicher Genehmigung des Verlags.


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