Presse - Intendant


8

Interview im "journalist" "Mein Wunsch ist, dass der Auftrag breit und umfassend bleibt"

Seit eineinhalb Jahren führt BR-Intendant Ulrich Wilhelm den Vorsitz der ARD. Was hat er in dieser Zeit erreicht? Die ARD befindet sich in einer schwierigen Phase: Sie muss sich gegen Kritiker und Zweifler behaupten. Und sie muss ihre Legitimation gegenüber der Politik begründen. Im Juni will die Ministerpräsidenten konferenz nun die Weichen dafür stellen, wie das öffentlich-rechtliche System künftig finanziert und aufgestellt sein soll.

Stand: 06.05.2019

BR-Intendant Ulrich Wilhelm | Bild: BR / Vanessa Schütz

journalist: Weihnachten fällt für Sie dieses Jahr auf den 6. Juni.
Ulrich Wilhelm: Sie meinen die Ministerpräsidentenkonferenz?
journalist: Ja.
Ulrich Wilhelm: Es hat ja zuletzt nicht nach einer schnellen Einigung ausgesehen. Insofern stehen wir bereit, die Gespräche der Länder konstruktiv zu begleiten.

journalist: Aber Sie haben schon eine Erwartung, was der 6. Juni als Ergebnis bringen könnte. Sie haben doch bestimmt einen Wunschzettel.
Ulrich Wilhelm: Wir haben schon oft gesagt: Eine Indexierung kann ein grundsätzlich gangbarer Weg der Rundfunkfinanzierung sein, aber es kommt auf die konkrete Ausgestaltung an. Es gibt ja mehr als ein Modell. Wichtig ist, dass es am Ende fair und gut gemacht ist.

journalist: Sie wären nicht mit jeder Form einer Indexierung einverstanden?
Ulrich Wilhelm: Auch die Länder nicht. Es gibt ja Vorgaben, die das Verfassungsrecht und das europäische Recht setzen, in denen sich alle bewegen müssen – der Gesetzgeber, die KEF und wir.

journalist: Wäre die Indexierung eine Belohnung für Sie?
Ulrich Wilhelm: Nein, die Indexierung würde, wenn sie nach dem Verbraucherpreis-Index ausgerichtet wäre, eine stetige Schrumpfung bedeuten. Eine planbare und daher auch zu bewältigende zwar, aber doch eine stetige Schrumpfung, weil die rundfunkspezifische Teuerung und die Tarifabschlüsse seit langem schon über dem Verbraucherpreis-Index liegen. Wir haben dennoch gesagt: Wir rufen nicht nach anderen Indizes, wir würden uns auch auf einen Verbraucherpreis-Index einstellen können.

journalist: Wie hoch müsste denn der Basiswert für eine Indexierung ausfallen?
Ulrich Wilhelm: Der Ausgangspunkt für die kommende Beitragsperiode müsste das sein, was wir an Bedarf heute haben. Das setzt sich ja aus zwei Quellen zusammen: Zum einem die 17,50 Euro Rundfunkbeitrag, den die Bürger jetzt schon bezahlen, zum anderem dem angesparten Geld aus der Rücklage ...
journalist: … die sich aus der Beitragsumstellung ergeben hat …
Ulrich Wilhelm: ...genau, die macht monatlich 85 Cent aus und läuft zum Ende des nächsten Jahres aus. Wir verbrauchen derzeit praktisch mit Genehmigung der KEF und der Länder einen monatlichen Beitrag in Höhe von 17,50 Euro plus 85 Cent, also 18,35 Euro.
journalist: Die 18,35 Euro wären dann eine Grundlage, auf der der Index ansetzt?
Ulrich Wilhelm: Ich möchte die weiteren Beratungen der Länder nicht erschweren mit detaillierten Vorgaben, aber klar ist: So lange unser Auftrag in dieser Breite besteht und uns aufgibt, als öffentlich-rechtlicher Rundfunk in der Mitte der Gesellschaft zu sein, ein Angebot mit Information, Kultur, Bildung, Unterhaltung, Film und Sport auf allen Ausspielwegen vorzuhalten, ist die Finanzierung an dem zu messen, wofür wir von den Ländern geschaffen sind.

journalist: An diesem Auftrag möchten die Länder aber auch gerne ein bisschen herumfummeln.
Ulrich Wilhelm: Es gibt in einigen Staatskanzleien die Idee, den Auftrag zu schärfen, also dass wir die Besonderheit, das Spezifikum des Öffentlich-Rechtlichen noch stärker herausarbeiten. Also: Nicht verwechselbar sein mit Angeboten des privaten Rundfunks, obwohl ich diese Gefahr ohnehin nicht sehe.
journalist: Wie könnte solch eine Schärfung aussehen?
Ulrich Wilhelm: Ich halte nichts von kleinteiligen Vorgaben, weil sich das mit der Rundfunkfreiheit nicht vereinbaren lässt. Aber es wird offenbar überlegt, dass auf Basis eines unverändert breiten Rundfunkauftrags ein höherer Anteil unserer Programme aus den Genres Information, Kultur, Bildung, Wissen bestehen soll, als das bei der privat finanzierten Konkurrenz der Fall ist.

journalist: Das würde auf Kosten von Unterhaltung und Sport gehen?
Ulrich Wilhelm: Ich habe dagegen wiederholt eingewandt, dass es keine trennscharfe Unterscheidung der Genres gibt. Weissensee zum Beispiel ist bildend und unterhaltend zugleich. Sportberichterstattung ist ja nicht per se ein Gegensatz zu hoher Qualität und hohem Anspruch. Wir erleben oft, dass bei Sportarten, die nur noch im Pay-TV angeboten werden, wie zuletzt bei der Champions League, das Interesse einer breiten Öffentlichkeit deutlich zurückgeht. Die Breitenwirkung des Sports steht und fällt mit der Möglichkeit, im Free-TV empfangen zu werden. Unsere privaten Free-TV Mitbewerber interessieren sich aus marktwirtschaftlichen Gründen nicht für alle Sportarten gleichermaßen. Nehmen Sie die Leichtathletik, die Olympischen Spiele oder die Paralympics. Dafür könnte bei RTL oder Sat.1 weder das Programm über viele Stunden geöffnet noch in umfassende redaktionelle Kompetenzen investiert werden. Bei den Öffentlich-Rechtlichen hingegen schon. Sport ist also eine Überschrift für höchst unterschiedliche Dinge.

journalist: Sportberichterstattung heißt doch immer, dass als Aufmacher die Sportart vorne steht, an der man die Rechte hält. Das klingt mir wenig journalistisch.
Ulrich Wilhelm: Es ist umgekehrt. Wir erwerben dort die Rechte, wo wir einen öffentlich-rechtlichen Auftrag haben. Ich bin jetzt in der ARD seit acht Jahren für den Sportrechteerwerb zuständig, und da war es nie so, dass wir am Anfang gesagt haben: Wir erwerben alles auf Teufel komm raus. Wir haben ja einen gedeckelten Etat für Sport, und der ist nie ausreichend für alles, was angeboten wird. Wir schauen aber immer, ob wir mitgehen können bei den Preisen, die da aufgerufen werden. Wenn es, wie bei der Dritten Liga zuletzt, zu teuer ist, dann müssen wir Rechte aufteilen, zuletzt etwa mit der Telekom oder mit Sky. Wenn uns die Preise aber viel zu hoch waren, wie zuletzt bei den Qualifikationsspielen der Fußball-Nationalmannschaft, dann haben wir zurückgesteckt und RTL hat den Abschluss gemacht. Wir haben da nicht die Faust in der Tasche.

journalist: Mal weg vom Sport. Es kursiert ja das Vorurteil, dass große Teile des ARD-Programms nur noch aus Krimi und Quiz bestehen. Können Sie das verstehen?
Ulrich Wilhelm: Ich bin schon öfter mit meiner Meinung auf den Plan getreten, dass ich mir mehr Abwechslung zu den Krimis wünsche. Ich gehöre da zu einer Minderheit, aber keine Minderheit, die sich schämen muss. Ich würde mir mehr Vielfalt bei den Genres und eine größere Bandbreite wünschen, etwa mehr Literaturverfilmungen, Wissenschaftssendungen, mehr hochwertige Dokumentationen. Unseren Schwerpunkt Brecht fand ich eine hervorragende Geschichte ...
journalist: ... die leider kein Erfolg war.
Ulrich Wilhelm: Wir sind ja nicht nur quotengetrieben. Wenn wir so etwas machen, dann schmückt uns das. Ich verstehe natürlich die Leute, die das mit den vielen Krimis kritisch sehen. Andererseits bringt das ZDF im Vergleich zum Ersten deutlich mehr Krimis und hat damit auch mehr Erfolg. Es gibt sehr seriöse Kollegen von mir, die sagen: Gehen Sie in die Buchhandlungen, schauen Sie, welche Bücher besonders zahlreich ausgelegt sind, das sind nun mal Krimis. Die Menschen mögen das.

journalist: Aber es kann ja nicht sein, dass die ARD jetzt, wo sie die Privaten nicht mehr so stark nachmacht, plötzlich das ZDF nachmacht.
Ulrich Wilhelm: Nein, wir unterscheiden uns ja in vielem. Die ARD ist bewusst föderal gestaltet, mit vor Ort verwurzelten Rundfunkanstalten, die die Vielfalt des Geschehens in den Ländern widerspiegeln. Die ARD hat zudem den höchsten Informationsanteil im Programm. Denken Sie beispielsweise an den Rechercheverbund von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung, der immer wieder sehr harte Nachrichten setzt, oder an die vielen erfolgreichen Investigativteams der einzelnen Häuser. Da unterscheiden wir uns auch im Informationsprofil, und das ist auch gut so. Sich zu doppeln, wäre Unsinn. Eine gewisse komplementäre Aufstellung von ARD und ZDF tut gut. Auch die Sender unterscheiden sich innerhalb der ARD. Der BR gibt zum Beispiel mehr für Klassik aus als alle anderen. Wir haben das einzige 24-Stunden-Klassikprogramm des deutschsprachigen Raums, und wir leisten uns mit Bayern 2 ein hochwertiges Wortprogramm. Darin steckt der Löwenanteil des Hörfunk-Etats.

journalist: Sie sagen, die ARD hätte härtere News als das ZDF. Nun hat das ZDF gerade sein sonntägliches Heute Journal auf 30 Minuten verlängert, während die ARD am Wochenende eher zur Sparsamkeit mit News neigt.
Ulrich Wilhelm: Das Erste ist im Vergleich auch am Wochenende nachrichtenstark. Ungeachtet dessen finde ich die Verlängerung des Heute Journals rundum gut, auch als Zuschauer. Der Sonntag ist zudem ein sportintensiver Tag, und das ZDF möchte möglicherweise auch eine zusätzliche Fläche schaffen, um diesen Ereignissen Raum zu geben.
journalist: Die verlängern nur, weil sie da Sportrechte haben?
Ulrich Wilhelm: Nein, natürlich nicht. Das wäre im Übrigen kein Vorwurf, sondern gut nachvollziehbar. Wir haben ja in den Nachrichtensendungen unserer Dritten ebenfalls Sportblöcke. Das ist auch Tagesgeschehen.

journalist: Aber wäre es nicht an Ihnen, auf Stellen hinzuweisen, an denen auch die ARD mehr machen könnte? Man könnte mal die freitägliche Krimi-Einöde mit mehr Nachrichten beleben.
Ulrich Wilhelm: Ich bin ganz entschieden der Meinung, dass wir mehr Raum schaffen könnten für erklärende Formate. Immer mal wieder auch Dokumentarformate, in denen wir das Zeitgeschehen aufbereiten. Ich bin daher auch sehr begeistert, dass wir Weltspiegel extra ausgebaut haben, dass wir zu wichtigen Schauplätzen in der Welt mehr bieten als nur drei oder fünf Minuten, dass auch mal die Tagesthemen auf die Reise gehen, zum Beispiel anlässlich wichtiger Wahlen oder Ereignisse weltweit. Deutschland ist kein Land, wo an einem Ort alles erklärt werden kann. Wir haben so unglaublich viele Identitäten und regionale Mentalitäten in unserem Land, die auch möglichst viele Blickwinkel erfordern.
journalist: Aus Ihren Worten lese ich, dass Sie sich von den Ministerpräsidenten wünschen, dass die im neuen Auftrag reinschreiben, dass die ARD alles so machen soll, wie sie es bisher schon macht.
Ulrich Wilhelm: Ich denke, sie können uns vertrauen. Es bestreitet ja auch niemand, dass wir uns deutlich von dem unterscheiden, was von privat finanzierten Anbietern kommt. Dschungelcamp und ähnliches, das würden wir nicht machen. Nicht um uns abzugrenzen, sondern weil es nicht spezifisch unserem Profil entspricht.

journalist: Es ist ja auch im Gespräch, dass die Ministerpräsidenten Ihnen neben Index und neuem Auftrag eine größere Freiheit zubilligen wollen. Wie sähe diese Freiheit für Sie am besten aus?
Ulrich Wilhelm: Mein Wunsch ist, dass der Auftrag breit und umfassend bleibt. Alles andere würde auf längere Sicht zu einer Schieflage führen. Wenn alle Menschen, die die Voraussetzungen erfüllen, für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk bezahlen müssen, dann müssen wir auch allen ein Angebot von Wert machen. Würden wir per Auftragsänderung nur noch ein Angebot für Minderheiten machen, das aber ebenfalls von allen finanziert werden müsste, dann würde das irgendwann nicht mehr akzeptiert werden. Daher ist unerlässlich, dass wir die Breite der Bevölkerung ansprechen. Bisher gelingt uns das: Heute erreicht die ARD mit ihren Angeboten in Fernsehen, Hörfunk und Internet jede Woche 94 Prozent aller Menschen. Es darf auch keine Loslösung geben von einzelnen Bereichen der Unterhaltung oder des Films. Es bleibt unsere Programmautonomie und künstlerische Freiheit, wie wir die Akzente setzen. Die Gegenseite von Freiheit bleibt natürlich Verantwortung. Wir müssen am Ende immer wieder die Akzeptanz erwerben, indem wir klug programmieren.

journalist: Das geschieht nicht immer.
Ulrich Wilhelm: In welchem kreativen Beruf gelingt das schon immer?
journalist: Sie sind als ARD-Vorsitzender angetreten, da Impulse zu geben. Sie hatten ja angesprochen, dass Sie sich den einen oder anderen Krimi weniger wünschen. Jetzt sind Sie schon eine Weile dabei, und wirklich bewegt hat sich da nicht viel. Ist das so, weil die ARD so langsam ist oder weil sie als ARD-Vorsitzender so wenig bewirkt haben?
Ulrich Wilhelm: Es gibt eine dritte Möglichkeit, und die ist einschlägig: Ein ARD-Vorsitzender ist ja nicht der Chef aller Anstalten.
journalist: Was ist er denn?
Ulrich Wilhelm: ARD-Vorsitzender ist ein Ehrenamt, man ist sozusagen Primus inter Pares und führt die Geschäfte für die Dauer von zwei Jahren. Die Autonomie der einzelnen Häuser ist davon völlig unangetastet. Natürlich bemühen wir uns im Gespräch immer wieder, unsere Kreativen anzuregen. Mehr Literaturverfilmungen, mehr Vielfalt der Genres. Wo man das durchsetzen kann, ist immer das eigene Haus. Ich freue mich beispielsweise, dass der BR einen frühen verlässlichen Dokumentarfilmplatz hat. Im gemeinsamen Handeln müssen wir versuchen, uns immer wieder neu zu einigen. Aber das ist in jedem föderalen Gebilde so. Die 16 Länder haben ja auch nicht immer von Haus aus eine Meinung.

journalist: Die alte Übersetzung von ARD als „Alle reden durcheinander“ würden Sie dementsprechend bestreiten.
Ulrich Wilhelm: Ja, ich halte es für Unsinn. Hätte der Gesetzgeber eine ARD als zentrale Einrichtung gewollt, dann hätte er das ja machen können. Ein ARD-Rundfunkrat, ein ARD-Intendant, eine Anstalt des öffentlichen Rechts mit einigen Landesfenstern. Der Weg, den die Länder gegangen sind, ist der genau gegenteilige. Das ist Ausdruck der föderalen Geschichte Deutschlands, der Kulturhoheit der Länder, genau wie beim Schulsystem. Die Länder haben neun Landesrundfunkanstalten geschaffen, jede unabhängig. Wir sind ein Kind des Föderalismus.

journalist: Wie lange kann das noch gut gehen in diesem föderalen System? Gerade war die Rede davon, dass jemand in Frankreich die Rundfunkabgabe abschaffen will, weil das nur noch ein Instrument für Senioren sei. Entspricht der Altersstruktur der ARD.
Ulrich Wilhelm: Ganz und gar nicht. Zudem wird auf mir unerklärliche Weise immer wieder der Hörfunk vergessen. Ich weiß nicht, ob das Absicht ist oder Vergesslichkeit. Richtig ist: Der Hörfunk erreicht unverändert alle Kreise der Bevölkerung und über die jungen Wellen auch sehr viele junge Menschen. Zwei Drittel der 14- bis 29-Jährigen hören täglich Radio, jeden vierten aus dieser Altersgruppe erreichen wir zudem über unsere Internetangebote auf unseren eigenen und Drittplattformen. Mit seinen Radioprogrammen verzeichnet der BR die höchste Reichweite seit 1992.
journalist: Weil die ARD auch sehr, sehr viele Wellen hat.
Ulrich Wilhelm: Aber auch weil der Hörfunk mitten im Leben ist. Der Hörfunk ist Teil des Alltags von vielen Millionen Menschen. Die Anteile, die die ARD im Hörfunkmarkt hat, sind zudem deutlich gestiegen, auch bei den jungen Angeboten.
journalist: Sie haben ja Thomas Gottschalk als Moderator.
Ulrich Wilhelm: Der ist auf Bayern 1 zu hören. Ich rede von den jungen Programmen wie 1Live, SWR3, Bayern 3 oder N-Joy. Auch unsere Informations- und Kulturprogramme wie Bayern 2 sprechen mit ihren Sendungen viele junge Menschen an. Es gibt da keinen Generationenabriss. Ich versuche, Ihren Einwurf zu kontern, dass wir von vornherein ein Seniorensender sind.

journalist: Im Fernsehen sieht es anders aus.
Ulrich Wilhelm: Wenn wir die Tagesschau um 20 Uhr ausstrahlen, ist in der Tat der Altersdurchschnitt der Zuschauer bei über 60. Bei der Tagesschau-App sind die User rund 20 Jahre jünger, obwohl es da die gleichen Videos gibt. Es liegt also nicht nur daran, welche Angebote wir machen, sondern auch daran, wie wir sie verbreiten. Die Nutzer von Mediathek und Audiothek sind zum Beispiel deutlich jünger als die Nutzer derselben Angebote bei unseren linearen Kulturwellen.
journalist: Sie können ja nicht alles über Apps verbreiten.
Ulrich Wilhelm: Was meinen Sie damit?
journalist: Sobald Sie viele Texte anbieten, stehen Ihnen die Verleger auf den Füßen und beschweren sich.
Ulrich Wilhelm: Das sind Schlachten der Vergangenheit. Kern des Kompromisses ist, dass Video und Audio den Schwerpunkt unserer Angebote bilden. Das schließt Text nicht aus. Vor allem nicht, wenn es sich um Sendungsmanuskripte handelt. Aus Gründen der Barrierefreiheit sind wir sogar dazu verpflichtet, diese zugänglich zu machen.
journalist: In der Hinsicht haben Sie Frieden mit den Verlegern?
Ulrich Wilhelm: Wie gesagt: Der Blick geht nach vorne. Wir haben in einem sehr vertrauensvollen Prozess eine Einigung ausgehandelt. Und wenn es doch einmal haken sollte, gibt es eine Schlichtungsstelle, die immer wieder überprüft, ob das von uns gemeinsam Gemeinte auch in der Praxis gelebt wird. Ich hoffe, dass wir den Gemeinsamkeiten jetzt deutlich mehr Raum geben können.
journalist: Und dann kommen Ihre Spezialisten von der hauseigenen Werbevermarktungsfirma AS&S daher und sagen, den Verlegern könne man eh nicht trauen.
Ulrich Wilhelm: Das ist Unsinn, und das habe ich auch gesagt. Es besteht kein Anlass zur Abgrenzung von den Printmedien. Wir sollten nicht versuchen, uns wechselseitig abzuwerten. Ich finde jede Art von „negative campaigning“ nicht dienlich. Wir können gerne unsere eigenen Qualitäten herausstellen, aber wir dürfen dabei nicht die anderen abwerten. Wir sollten vielmehr mit den Verlegern da zusammenarbeiten, wo es Sinn macht – zum Beispiel im digitalen Bereich, wo wir den großen US-Plattformen mit ihrem Monopolcharakter begegnen. Da weiß ich mich in Übereinstimmung mit vielen Verlegern.

journalist: Im Journalismus soll man sagen, was ist, und es ist doch nicht von der Hand zu weisen, dass es hier und da bei den Verlagen hakt.
Ulrich Wilhelm: Jeder hat mit seinen Problemen zu kämpfen. Warum sollte ich die Verlage also kritisieren, die sich doch dem Markt stellen müssen?
journalist: Das heißt, Sie sind jetzt lieb zu den Verlegern, weil die sich eh selbst zerlegen?
Ulrich Wilhelm: Nein, ganz und gar nicht. Ich bin auch nicht lieb. Ich versuche vielmehr, da nüchtern ranzugehen. Wir werden den Anspruch in der Gesellschaft, dass sich Millionen Menschen für viele Themen interessieren, nur gemeinsam hochhalten können. Dass sich viele Menschen alltäglich für Politik, für Wirtschaft, für Wissenschaft, auch für Sport und andere Themen interessieren, das gelingt uns nur, wenn wir gattungsübergreifend immer wieder die Themen durchdringen und sichtbar machen. So etwas wie Bundestagsdebatten oder die Gesetzgebung in Europa verlässlich im Fokus der Öffentlichkeit zu halten, das schaffen weder wir noch die Zeitungen allein.

journalist: Sie zeichnen jetzt alles so positiv, dass ich die ARD fast gar nicht mehr wiedererkenne. Die war doch lange Zeit die Klageanstalt, die immer gejammert hat, dass sie zu wenig Geld hat und kurz vor der Insolvenz steht. Hat sich da was geändert?
Ulrich Wilhelm: Ich will mir da keinen Verdienst zuschreiben. Ich kann nur sagen, wie ich auf die Themen blicke. Natürlich brauchen wir, wenn der Auftrag nicht deutlich reduziert wird, immer auch wieder einen Teuerungsausgleich. Würde ein Teuerungsausgleich ausbleiben, müsste die Programmqualität runtergehen. Aber das will die Politik ja nicht. Unser Publikum will es nicht. Und wir auch nicht. Wichtig ist darüber nachzudenken, wie der Stellenwert des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in einer digitalen Welt sein soll. Kritiker fragen: Wenn es so unendlich viele Angebote und so viele Möglichkeiten gibt, braucht es dann noch so etwas wie Massenmedien? Oder ist das geradezu absurd in der digitalen Welt?
journalist: Sie schaffen sich als Massenmedium selbst ab?
Ulrich Wilhelm: Nein, aber die Auseinandersetzung damit finde ich wichtig. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat sich im Juli des vergangenen Jahres in seinem Finanzierungsurteil mit der Frage befasst, ob es angesichts von so vielen Angeboten überhaupt noch gerechtfertigt ist, dass es ein von allen zu bezahlendes öffentlich-rechtliches Medium gibt. Dabei ist es zu dem Schluss gekommen, dass ein Gegengewicht notwendig ist, gerade angesichts von Filterblasen im Netz, die die Vielfalt verringern. So ein Gegengewicht wollen wir freilich nicht allein sein. Da braucht es unbedingt den kuratierenden Journalismus und nicht nur Algorithmen und Teilöffentlichkeiten von lauter Gleichgesinnten, die den politischen Diskurs steuern.

journalist: Warum hat die ARD so viele Nutzer und so wenige Fans? Ich habe noch keinen Bekenntnisbutton gesehen, wo „Je suis ARD“ draufsteht.
Ulrich Wilhelm: Es gibt unglaublich viele Fans.
journalist: Woran machen Sie das fest?
Ulrich Wilhelm: Ich mache das zum einen an den vielen begeisterten Zuschriften fest. Nehmen Sie nur aus meinem Heimatland ein Programm wie Bayern 2.
journalist: Ihr Wortprogramm.
Ulrich Wilhelm: Das wird ja nicht nur genutzt als Begleitmedium ...
journalist: Jetzt sind Sie wieder beim Radio.
Ulrich Wilhelm: Ich kann auch Beispiele aus dem Ersten nennen wie TTT, die politischen Magazine und Dokumentationen oder kürzlich Charité und unsere Dritten Fernsehprogramme. Es gibt vieles, wo die Menschen mit Begeisterung sagen: Dafür zahle ich gern. Ich kriege viele Zuschriften, in denen genau solche Angebote sehr gewürdigt werden.

journalist: Haben Sie da nicht einen etwas verengten Blick auf die paar Briefe, die Sie kriegen?
Ulrich Wilhelm: Nein, wir kennen ja die Größenordnungen. Ich denke, dass eine überwiegende Mehrheit mit dem Rundfunk insgesamt zufrieden ist und ihn in einer Abstimmung, wenn wir denn eine hätten, auch stützen würde. Und die Kritiker unterscheiden sich untereinander doch erheblich. Die einen sagen: Ich möchte nur für das bezahlen, was ich nutze, angelehnt an Netflix oder iTunes. Die anderen sagen: Meine Ideologie findet sich nicht in den Angeboten, deshalb will ich nicht bezahlen müssen. Oder die marktliberale Position, die sagt, dass Lösungen in öffentlicher Trägerschaft immer klein sein müssen, weil in erster Linie der Markt gestützt werden muss. Das hat sich auch bei der Abstimmung in der Schweiz gezeigt. Dort war letzten Endes nicht nur die Wahlbeteiligung sehr hoch, sondern auch der Rückhalt für die SRG und übrigens auch der Anteil junger Menschen, die sich für deren Erhalt ausgesprochen haben.
journalist: Bräuchten wir eine solche Abstimmung auch in Deutschland, damit die Menschen Position beziehen und die Fans der ARD lauter werden?
Ulrich Wilhelm: Die Größenordnung, die sich in der Schweiz gezeigt hat, ist eigentlich ziemlich repräsentativ dafür, wie es in vielen Ländern Europas aussieht. Auch bei uns.
journalist: Sie hätten keine Furcht, sich einer Volksabstimmung, so es hier denn eine gäbe, zu stellen?
Ulrich Wilhelm: Hätten wir Furcht, dann würden wir uns sowieso nicht halten.

journalist: Ich kenne die ARD vor allem furchtsam und aus der Defensive agierend.
Ulrich Wilhelm: Wenn wir mit dem Geld der Bürger etwas erstellen und dann Furcht hätten, uns dem Urteil der Menschen zu stellen, dann würden wir doch unserer Verantwortung gar nicht gerecht werden.
journalist: Das können Sie natürlich leicht sagen, weil es diese Abstimmungen in Deutschland nicht gibt.
Ulrich Wilhelm: Man könnte auch fragen, was wäre, wenn es den Föderalismus nicht gäbe. Wir haben nun mal in Deutschland ein anderes politisches System. Und diese Verfassung hat unserem Land eine gute Entwicklung ermöglicht. Aber wir müssen natürlich auch fragen, wohin sich die Gesellschaft bewegen würde, wenn es das alles so nicht mehr gäbe. Welche Themen würden nicht mehr vorkommen? Was wäre, wenn mehr und mehr in Filterblasen diskutiert wird und sich keine Gesamtöffentlichkeit mehr fände? Jeder muss für sich entscheiden, ob als Bürger oder politische Kraft: Will ich einen solchen Preis zahlen? Ich kann das nicht nur als Intendant, sondern auch als Staatsbürger unterschreiben: Die Stabilität unseres Landes hängt auch damit zusammen, dass über Jahrzehnte ein im internationalen Vergleich qualitativ guter Journalismus gepflegt worden ist.

journalist: Was wird bleiben, wenn Sie Ende Dezember als ARD-Vorsitzender abtreten?
Ulrich Wilhelm: Nichts Epochales. Wie sollte es auch? Jeder Vorsitzende kann immer nur versuchen, auf ein paar Feldern voranzukommen. So haben wir unter anderem die digitale Aufstellung gut vorangebracht, haben aus zwei Mediatheken, Das Erste und ARD, eine gemacht und werden diese über die nächsten Jahre auch noch deutlich verbessern. Und wir haben die digitalen Strukturen im ARD-Verbund verschlankt und effizienter gestaltet.
journalist: Wenn ich die Politik richtig verstehe, möchten die auch noch einen Mediatheken-Zusammenschluss mit dem ZDF.
Ulrich Wilhelm: Da können wir uns als ARD viel vorstellen. Was mit dem ZDF schnell Konsens sein dürfte, ist, dass wir unsere Mediatheken vernetzen, bis hin zu gemeinsamen Suchfunktionen oder zum gemeinsamen Log-In. Da laufen die Gespräche mit dem ZDF noch. Mir wäre es sehr sympathisch, wenn wir verschränkte Angebote auf den Feldern Wissen, Kultur, Kinder oder auch Sport machen könnten.

journalist: Was macht Ihr BR besser als andere Anstalten? Woran können sich die anderen ein Beispiel nehmen?
Ulrich Wilhelm: Jeder macht etwas Anderes gut in der Gemeinschaft.
journalist: Das klingt jetzt sehr pädagogisch.
Ulrich Wilhelm: Es stimmt aber doch.
journalist: Aber Sie machen doch irgendetwas besser.
Ulrich Wilhelm: Worauf ich stolz bin ist, dass wir so früh ein eigenes Entwicklerteam für digitale Produkte aufgestellt haben – das war ein echtes Novum in der ARD und hat uns einen großen Schub beim Know-how gegeben. Darüber hinaus setzt der BR bewusst einen Schwerpunkt auf die Klassik mit dem weltberühmten Symphonieorchester. Wir investieren hier viel und haben in diesem Bereich eine große Kompetenz. Wir haben auch eine große Stärke als regionales Vollprogramm, mit regionaler Fiktion, mit regionaler Wissenschaft, regionaler Unterhaltung und regionaler Kultur. Der BR ist unglaublich verwurzelt in Bayern. Es heißt zu Recht oft, der BR ist die wichtigste Klammer Bayerns.
journalist: Ich dachte, das sei die CSU.
Ulrich Wilhelm: Medien und Parteien können Sie nicht vergleichen.

journalist: Sie verdienen 373.000 Euro Grundgehalt im Jahr.
Ulrich Wilhelm: Wenn Sie das sagen.
journalist: Steht auf den Seiten der ARD. Das sind 6.000 Euro weniger als WDR-Intendant Tom Buhrow. Was machen Sie schlechter als der?
Ulrich Wilhelm: Das liegt einfach daran, wie die Verwaltungsräte unsere Gehälter zumessen. Lukrative Bezahlung ist aber nicht das Wichtigste in meiner Position.
journalist: Was geben Sie Tom Buhrow, der am 1. Januar den ARD-Vorsitz übernimmt, mit auf den Weg?
Ulrich Wilhelm: Jede Unterstützung und ein gutes Miteinander. Ich glaube, dass wir beide das Thema „Aufbruch in die digitale Welt“ gut vorantreiben werden.
journalist: Und dann wird alles besser?
Ulrich Wilhelm: Wie immer im Leben: Vieles gelingt, manches gelingt auch nicht. Aber wichtig ist: Nie erlahmen, immer dranbleiben.

Der Autor

Das Interview führte Hans Hoff, freier Journalist im Rheinischen. Er arbeitet für die Süddeutsche Zeitung und dwdl.de.

Mit freundlicher Genehmigung des Verlages. Einen Hinweis zum Heft mit dem Interview finden Sie hier.


8