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Interview mit dpa BR-Intendant: "Noch im Prozess der Überlegungen" - dritte Amtszeit?

Für den Bayerischen Rundfunk stehen im zweiten Halbjahr große Weichenstellungen an. Kandidiert Intendant Ulrich Wilhelm erneut? Steigt der Rundfunkbeitrag? Wie verteilen sich die Einsparungen bei den Öffentlich-Rechtlichen zwischen ARD und Landesanstalten?

Von: Roland Freund, dpa

Stand: 26.05.2020

Ulrich Wilhelm, Intendant des Bayerischen Rundfunks | Bild: © BR / Markus Konvalin

München (dpa) - Der Bayerische Rundfunk steckt im Umbruch: digitaler Wandel, Sparzwänge, personelle Fragen. Die zweite Amtszeit von Intendant Ulrich Wilhelm neigt sich dem Ende zu. Fortsetzung offen.

dpa: Die vergangenen zwei Jahre als ARD-Vorsitzender haben Zeit und Kraft gebunden. Was müssen Sie nun mit voller Energie als Intendant für den Bayerischen Rundfunk (BR) angehen?

Ulrich Wilhelm: Am meisten Aufmerksamkeit wird weiterhin die Digitalisierung fordern, die jetzt durch Corona noch einmal einen gewaltigen Schub erlebt hat. Dass wir den Menschen in allen Lebenslagen auf allen Geräten hochwertige Angebote des BR zur Verfügung stellen, das ist eine Daueraufgabe. 

dpa: Stichwort Daueraufgabe - im Januar 2021 endet Ihre zweite Amtszeit als BR-Intendant. Streben Sie eine dritte an?

Ulrich Wilhelm: Ich bin noch im Prozess der Überlegungen. Zehn Jahre in einem öffentlichen Amt sind immer eine lange Zeit. Auf der anderen Seite ist die Aufgabe nach wie vor hochspannend, und sie erfüllt mich mit großer Freude. Hier muss ich genau abwägen und zu einer Entscheidung kommen.

dpa: Und wie viel Zeit bleibt noch für diese Überlegungen?

Ulrich Wilhelm: Ich gehe davon aus, über den Sommer bis zur Sitzung des Rundfunkrats im Oktober. Das entspräche zeitlich dem, was auch in anderen Anstalten üblich ist.

dpa: Der Rundfunkbeitrag soll nach einer Empfehlung, der die Länder noch zustimmen müssen, zum nächsten Jahr steigen, erstmals seit 2009. Von heute 17,50 auf 18,36 Euro monatlich. Die Öffentlich-Rechtlichen müssen dennoch sparen. Im ARD-Programm oder bei den Länderanstalten? 

Ulrich Wilhelm: Wir werden dies in beiden Feldern tun müssen, weil die Teuerungsrate nicht ausgeglichen wird, auch wenn 2021 eine Beitragserhöhung kommt. Ich selber trete auch in Zukunft nicht für eine einseitige Einsparung bei den gemeinsamen Programmen ein, sondern für einen Gleichklang, also dass wir bei regionalen wie bei nationalen Angeboten gleichermaßen sparen. Anders ist die Last für viele Sender nicht zu bewältigen. Wir werden das aber nur einstimmig entscheiden können. Und diese Beschlüsse stehen im späten Sommer an.

dpa: Konkret: Wo muss bei der ARD gespart werden und wo beim BR?

Ulrich Wilhelm: Das wird bei der ARD viele Etats betreffen: Alles wird auf dem Prüfstand stehen, die Gemeinschaftsaufgaben, die Film-Tochter Degeto, die Sportrechte. Aber umgekehrt geht es auch nicht ohne eine Reihe von Kürzungen in den dritten Programmen, im Hörfunk, bei den Klangkörpern, bei dem vom BR allein finanzierten Bildungskanal ARD-alpha. Wir haben beim BR seit Jahren überproportional bei Verwaltung und Technik gespart und Tarifabschlüsse unter dem Niveau des öffentlichen Dienstes verhandelt. Bis zuletzt haben wir versucht, das Programm zu schonen. Das kommt nun an seine Grenze. 

dpa: Wann fallen dazu die Entscheidungen?

Ulrich Wilhelm: Wir werden das für den BR erst bis zur Dezembersitzung des Rundfunkrats ausarbeiten können. Ich sehe den Schwerpunkt der Kürzungen eher in den Jahren 2022 bis 2024. Wegen der Abstimmungen in den Landtagen werden wir wohl erst im Dezember Klarheit zur Beitragserhöhung haben. Das Jahr 2021 wird sicher auch noch von den Auswirkungen von Corona geprägt sein. 

dpa: Das nächste Jahr bringt auch eine entscheidende Phase beim großen Neubau des BR in Freimann im Münchner Norden.

Ulrich Wilhelm: Dort, an unserem traditionellen Fernseh-Standort, werden wir, abgesehen von den Korrespondenten, alle redaktionell tätigen Kolleginnen und Kollegen vereinen - mit kurzen Wegen für alle. In den nächsten Jahren werden rund 1 000 Kollegen vom Funkhaus am Münchner Hauptbahnhof dorthin umziehen, inklusive der Hörfunkwellen. Der zentrale Bau soll Ende 2021 fertig sein, die Ausstattung mit allen Studios und der Übertragungstechnik dauert noch einmal etwa zwei Jahre. Aktuell liegen wir voll im Kosten- und Zeitplan. 

dpa: Das Funkhaus mit 18 Stockwerken ist ein Wahrzeichen mitten in München. Was passiert damit? 

Ulrich Wilhelm: Die wunderbare Adresse "Rundfunkplatz 1" werden wir nie aufgeben: Hier ist der Rundfunk in Bayern in den 1920er-Jahren entstanden. Auch künftig werden wir das Stammhaus nutzen, etwa für die Verwaltung, Veranstaltungen, Konferenzen unserer Aufsichtsgremien oder als Sitz des BR-Studios Oberbayern. Insgesamt werden wir uns Mitte des Jahrzehnts in der Innenstadt aber verkleinern. Für die Teile des Standorts Funkhaus, die wir dann selbst nicht mehr belegen, wollen wir intensive Gespräche mit der Landeshauptstadt führen, um städtebaulich reizvolle Lösungen zu finden. 

dpa: Der BR hat zuletzt sein Korrespondentennetz in ganz Bayern ausgeweitet - warum? 

Ulrich Wilhelm: Fundierte regionale Berichterstattung ist Kernauftrag und Kernkompetenz des BR. Um dies zu stärken, haben wir in den vergangenen Jahren Reporterkapazitäten in die Regionen verlagert und sind nun in 28 Orten mit Korrespondenten vertreten. Während früher für jedes Thema ein Fernsehteam aus München, Nürnberg oder Würzburg losfahren musste, sind wir heute direkt vor Ort und sofort in der Lage, für alle Ausspielwege zu berichten. Oftmals haben wir Mitarbeiter dafür gewonnen, die aus dem jeweiligen Gebiet kommen - was die Berichterstattung zusätzlich stärkt. 

dpa: Viele bayerische Verleger und Privatsender sehen diese öffentlich-rechtliche Offensive kritisch. Was antworten Sie ihnen?

Ulrich Wilhelm: Trotz räumlicher Nähe bewegen wir uns auf unterschiedlichen Spielfeldern: Denn anders als die privaten Medien vor Ort wollen wir als öffentlich-rechtliches Haus keine lokale Berichterstattung für ganz Bayern leisten - und dürfen dies im Übrigen auch gar nicht. Die Stärke der Zeitung, des lokalen Rundfunks, der örtlichen Onlineseiten auf diesem Gebiet ist unerreicht. Dagegen liegt unser Augenmerk auf der Berichterstattung aus der Region für Bayern oder für ganz Deutschland. In dieser Verzahnung leisten wir gemeinsam gute Arbeit.
Wir bemühen uns um einen dauerhaften, konstruktiven Dialog und bieten Kooperation an, wo immer das denkbar ist. 

dpa: Eine wichtige Entscheidung steht für das weltweit renommierte BR-Symphonieorchester an. Nach dem Tod von Chefdirigent Mariss Jansons im Dezember suchen Sie einen Nachfolger. Wer wird es? 

Ulrich Wilhelm: In der Liga der Spitzendirigenten gibt es bei jeder Verpflichtung einen erheblichen Vorlauf. Das war seinerzeit auch bei Mariss Jansons so. Mir ist eine sorgfältige interne Abstimmung mit den Musikern des Symphonieorchesters wichtig. In der Zeit der Vakanz laden wir spannende Gast-Dirigenten ein. Unser Symphonieorchester hat beste Referenzen in der ganzen Welt - viele wollen hier dirigieren. Durch die Pandemie kamen viele Konzerte nun leider nicht zustande. 

dpa: Ab wann könnte es wieder einen Chefdirigenten geben? 

Ulrich Wilhelm: Dirigenten von Weltrang sind meist langfristig gebunden und können daher nicht kurzfristig wechseln. Ich gehe aber davon aus, dass im Laufe der nächsten zwölf Monate eine Entscheidung gelingt. Dann haben wir eine klare Perspektive bis zum Vertragsbeginn.

dpa: Wie hat der BR auf Corona reagiert? Flexibilität ist für ein so großes Haus eine Herausforderung.

Ulrich Wilhelm: Viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind regelrecht über sich hinausgewachsen, ich bin sehr beeindruckt. Es war ein Kraftakt, dass wir schon am ersten Tag der Schulschließungen in Bayern mit «Schule daheim» ein wichtiges Lernangebot unterbreiten konnten. Wir haben blitzartig eine Rubrik für Kinder in der Mediathek eingeführt.
Mit der «BR KulturBühne» im Netz konnten wir aus dem Stand Künstlern und Kultureinrichtungen ein digitales Publikum bieten. Der jüngste Zuwachs ist «BR Wissen», wo unsere vielfältigen Wissens-Angebote nun online gebündelt sind - und angereichert mit neuen Produktionen.
Was den Arbeitsalltag im BR angeht: Wir haben selbst nicht geglaubt, dass wir so viele Menschen im Homeoffice technisch verkraften. Es sind seit Wochen weit über 2 000. Das wird das Arbeiten im BR dauerhaft verändern. Ich kann dieses Kompliment nur allen Medien machen. Alle haben sofort reagiert und sich auf die neue Situation bestmöglich eingestellt.

dpa: In der Corona-Krise haben Qualitätsmedien ein deutliches Reichweitenplus erzielt. Ist das ein Strohfeuer oder nachhaltig?

Ulrich Wilhelm: Es wird nach der Krise sicher zu einer Normalisierung kommen. Gerade bei jüngeren Jahrgängen ist es aber, glaube ich, eine nachhaltige Erfahrung. Uns nutzen nun viele Menschen, die traditionell nicht unbedingt zu unserem Publikum gehören. Wir verzeichnen eine Verjüngung im Hörfunk und TV und gewaltige Online-Zuwächse in allen Altersgruppen. Ich gehe davon aus, dass ein Teil dieser Menschen uns auch zukünftig gewogen bleibt.

dpa: Was wird durch Corona in Gesellschaft und Medien anders?

Ulrich Wilhelm: Es hat sich bewahrheitet, dass nicht immer der Markt allein gerechte Lösungen schafft. Ich erwarte eine Renaissance öffentlicher Güter und der Rolle des Staates. Dazu gehört auch, dass wir uns bei der digitalen Infrastruktur eine reine Abhängigkeit von US-Plattformen nicht leisten können. Das ist Daseinsvorsorge - so wie öffentliche Straßen und Schulen. Ich hoffe, dass viele Regierungen erkennen, dass hier etwas passieren muss. 

dpa: Aber wer hat in Europa angesichts der Krise noch die Kraft und auch das Geld dafür? 

Ulrich Wilhelm: Gemessen an den Riesensummen, die jetzt zur Stabilisierung der Wirtschaft fließen, geht es hier um relativ kleine Beträge. Was Europa, neben gezielter Regulierung, als Anschub in die Hand nehmen müsste, um im Bereich der digitalen Infrastruktur und Plattformen unabhängiger zu werden, das haben Wissenschaftler auf einen niedrigeren einstelligen Milliardenbetrag geschätzt. Eine solche Summe wäre bestens angelegt. 

dpa: Was erwarten Sie hier von Berlin und besonders von der EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands im zweiten Halbjahr?

Ulrich Wilhelm: Ich erhoffe mir, dass die Bundesregierung für Denkanstöße offen ist. Sie passen hervorragend zur Merkel-Macron-Initiative. Wir werden in den nächsten Wochen ein Papier mehrerer Institutionen vorlegen - unter anderem aus Medien, Technologie, Infrastruktur, aber auch aus der Wissenschaft. Die entscheidende Frage ist: Nimmt Europa den Kampf überhaupt auf? Aus meiner Sicht brauchen wir europäische digitale Souveränität gerade jetzt.

ZUR PERSON:

Der gebürtige Münchner Ulrich Wilhelm (58) ist seit 2011 BR-Intendant. Neben Bayern ist Berlin für ihn zur zweiten Heimat geworden. Der Jurist und Journalist war vor dem Wechsel an die BR-Spitze Regierungssprecher von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).


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