Am Obersalzberg lebten nicht nur NS-Funktionäre - sondern auch deren Familien. Hitler nutzte sie für seine Inszenierung.
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Wie lebten die Kinder der NS-Täter am Obersalzberg? Und wie blickten sie später auf diese Zeit zurück?

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"Täterkinder": Wie Hitler Kinder zur Inszenierung einsetzte

"Täterkinder": Wie Hitler Kinder zur Inszenierung einsetzte

Malerische Idylle und zugleich Kulisse des NS-Schreckens: Am Obersalzberg ließ sich Hitler eine inoffizielle Machzentrale errichten. Im "Führersperrgebiet" lebten auch viele Kinder. Mit ihrer Hilfe konnte Hitler sich als Familienmensch präsentieren.

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Oberbayern am .

Vom Eingang der Dokumentation Obersalzberg schweift der Blick über schneebedeckte Gipfel, Baumwipfel und sanft abfallende Hänge. Hier, in der oberbayerischen Idylle, lag zur NS-Zeit das sogenannte "Führersperrgebiet". Hier traf die NS-Führung wichtige Entscheidungen zu Verfolgung, Krieg und Völkermord. Hier inszenierte sich Hitler als Mann des Volkes, auch, indem er – der selbst keine Familie hatte – sich mit den zahlreichen Kindern seiner Gefolgsleute umgab.

Auch mehrere NS-Familien lebten am Obersalzberg

Matthias Irlinger, Bildungsreferent in der Dokumentation Obersalzberg, führt durch die Ausstellung. An einem 3D-Modell des Führersperrgebiets lässt er die Häuser von Bormann, Speer und Göring aufleuchten. Sie alle wohnten in unmittelbarer Nähe zu Hitler. Martin Bormann galt als dessen rechte Hand, Speer war Chef-Architekt und später Rüstungsminister des Dritten Reiches.

Irlinger zählt auf, wie viele Kinder am Obersalzberg lebten, zumindest zeitweise: Neun hatte allein das Ehepaar Bormann, die Speers weitere sechs, Hermann Göring eins. War die Familie des Reichspropagandaleiters Joseph Goebbels zu Besuch, kamen weitere sieben Kinder hinzu.

Hitlers Propaganda: Ein Familienmensch, ein Kind- und Naturfreund

Irlinger bleibt vor einem Schwarz-Weiß-Fo­to stehen. Es zeigt eine Geburtstagsgesellschaft in der großen Halle des Berghofs, von Hitlers Privatresidenz. Um Hitler versammelt stehen 17 Erwachsene; davor und dazwischen stehen, sitzen und liegen noch einmal ebenso viele Kinder.

Bildrechte: Dokumentation Obersalzberg, Foto: Julia Ley/BR
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Umringt von Kindern: Ein Ausstellungs-Foto zeigt, wie Hitler am 20. April 1943 seinen 54. Geburtstag im Berghof auf dem Obersalzberg feiert.

Das Bild entsteht am 20. April 1943. "Das heißt, wir befinden uns in einer absoluten Hochphase des Zweiten Weltkriegs, der Holocaust tobt", sagt Irlinger. "Menschen werden massenhaft ermordet und Hitler feiert hier seinen 54. Geburtstag mit glücklichen Kindern. Zeitgleich wird das Warschauer Ghetto geräumt und viele, viele Kinder werden dort ermordet."

Ein Leben außer Reichweite des Krieges

Auf dem Berghof lebten die Kinder der NS-Größen ein privilegiertes Leben. Es gab ein Bunkersystem, einen Kindergarten, eine Schule, sogar ein Kino ließ der Führer für sie errichten. War Hitler ein Kinderfreund - zumindest, wenn es sich um "arische" Kinder handelte? Dazu sind unterschiedliche Aussagen überliefert. Sicher ist: Die Kinder von Bormann, Goebbels, Speer waren für ihn nützlich. Blond und kräftig entsprachen sie genau dem Ideal der NS-Ideologie. In unzähligen Fotos dienten die Kinder als Statisten für Hitlers Inszenierung als zärtlich-strengem Vater der Deutschen.

"Täterkinder" - aber keine Täter

Die Münchner Historikerin Helena Schwinghammer hat sich in ihrer Masterarbeit mit dem Leben der Kinder auf dem Obersalzberg beschäftigt. Schwinghammer spricht von "Täterkindern", aber nur im Sinne "Kinder von Tätern". Ihr ist wichtig, dass die Kinder selbst keine Täter waren. Dafür seien sie zu jung gewesen.

Was sie mehr interessiert: Wie haben sich die Kinder später mit dem Erbe der Eltern auseinandergesetzt? Die Antwort: ganz unterschiedlich. Einige hätten die Zeit auf dem Obersalzberg romantisiert. In Memoiren und Interviews berichteten sie von einer intakten Familienwelt und behaupteten, die Familien der NS-Täter hätten weitgehend isoliert voneinander gelebt. Gerade die Mütter hätten gar nicht gewusst, was dort wirklich vor sich ging.

Es ist eine Erzählung, die Schwinghammer kritisch sieht: So würde ausgeblendet, dass die Politik direkt vor ihrer Haustür geschah und dass sie selbst Teil des politischen Netzwerks auf dem Obersalzberg waren. "Die reine unpolitische Mutter, die damit eigentlich gar nichts zu tun hatte, das kommt immer vor in den Erzählungen von diesen Kindern", sagt Schwinghammer. Das Bild sei durch die historische Forschung in vielen Fällen aber widerlegt. Denn "wir wissen zum Beispiel, dass Gerda Bormann eine absolut überzeugte Nationalsozialistin war".

Doch nicht alle gingen unkritisch mit der eigenen Vergangenheit um. Martin Bormann Junior etwa wurde später katholischer Priester. In seinen Erinnerungen versuchte er, die idyllische Kindheit zumindest im Nachhinein in den Kontext des Krieges einzuordnen. Und die Handlungen des von ihm geliebten Vaters kritisch zu hinterfragen.

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