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Campus Reportage Studieren als Arbeiterkind - Lukas' Weg geht weiter

Der Traum vom Studium und sozialen Aufstieg – für viele Arbeiterkinder bleibt das noch immer ein Traum. Lukas hat es geschafft. "Campus Reportage" hat bereits seinen Weg vom Abitur zum Romanistikstudium begleitet. Ein neuer Film zeigt nun, wie es seitdem für ihn weitergegangen ist.

Von: Martin Hardung

Stand: 31.07.2022

Der Traum vom Studium und sozialen Aufstieg – für viele Arbeiterkinder bleibt das (noch immer) ein Traum: Im internationalen Vergleich ist der Bildungserfolg von Kindern in Deutschland immer noch stark vom Bildungsstand der Eltern abhängig. Von 100 Kindern aus nichtakademischen Familien nehmen nur 27 ein Studium auf. Von 100 Akademikerkindern studieren hingegen 79.

Lukas in Brüssel.

Arbeiterkinder – das sind per Definition „Kinder oder Jugendliche mit Zugehörigkeit zu einer sozialen Schicht, die über geringeres Einkommen, Ansehen und Bildungschancen verfügen“. Lukas ist einer von ihnen. Seinen Weg haben wir bereits vor drei Jahren vom Abitur zum Studium begleitet – denn er hat es geschafft: Er ist als Arbeiterkind aufs Gymnasium gegangen und hat ein deutsch-französiches Abitur hingelegt. Damit ist er seinem Traum nähergekommen, in die französische Sprache und Kultur einzutauchen, auch beruflich.

Lukas' Mutter ist von Beruf Sekträrin.

Seine Eltern – Vater Metzger, Mutter Sekretärin – haben ihn auf seinem Weg unterstützt, sind aber skeptisch, als sich Lukas nicht für ein Studium mit greifbarem, praktischem Berufsziel entscheidet, sondern ausgerechnet für Romanistik. Was fängt man damit an? Eine unsichere berufliche Zukunft scheint programmiert. Doch Lukas folgt seinem Traum, er glaubt daran, dass es auch mit Romanistik zu schaffen ist, auf die Karriereschine zu gelangen: „Du musst nur dranbleiben, jede Chance ergreifen, im Ausland studieren und Praktika machen, dann wird sich irgendwo eine Tür öffnen im Bereich Wirtschaft oder Kultur“, glaubt er. Realistisch oder doch ein wenig naiv?

Wie ist Lukas Lebensweg seither weitergegangen?

Nach einem Jahr Studium in Regensburg hat er sich für ein Auslandsemester in Frankreich beworben und beginnt auch mit einem Praktikum bei der EU in Brüssel, in der Auslandsvertretung Bayerns. „Super spannend!“ findet Lukas.

Lukas bei seinem Praktikum in Brüssel.

Campus Magazin Reportage zeigt am Beispiel von Lukas, wie es ist, trotz statistisch geringerer Chancen auf eine Bildungskarriere, ein Studium aufzunehmen. Die Reportage begleitet Lukas auf seinem Weg vom Abitur in den neuen Lebensabschnitt an der Uni in Regensburg: Bewerbungsmarathon um einen Studienplatz, Abnabelung von zu Hause, erste Schritte ins Studentenleben und bei der Jobsuche. Zwei Jahre später ist Lukas mitten im Studium, mit allem was dazu gehört, wie Studiensemester und Praktika im Ausland. Lukas hat sich für Französische Studien entschieden, einem Fach ohne klar definiertem Berufsbild. Erst einmal gewöhnungsbedürftig für seine Eltern, doch Lukas ist dabeigeblieben und ein gutes Stück vorangekommen. Er studiert, was ihn interessiert, hängt sich rein und vertraut darauf, genügend Fachwissen und Fähigkeiten zu erwerben, um dann auch auf dem Arbeitsmarkt Fuß fassen zu können. Es ist ein Weg mit Unsicherheiten und Herausforderungen, für den sich Lukas entschieden hat.

Lukas mit Kolleginnen in Brüssel.

Fragen wie: Wie komme ich an eine Uni? Ist ein Studium überhaupt etwas für mich? Wo erhalte ich finanzielle Unterstützung? Wie schaffe ich es mit meinem Studienabschluss in die Arbeitswelt? Fragen, die Eltern in Nichtakademikerfamilien oft nicht beantworten können. Lukas hat Antworten darauf gefunden und sein Beispiel macht Mut: Auch ohne familiäre akademische Vorbilder und meist ohne Rücklagen auf dem Konto, können es Arbeiterkinder schaffen, im Leben viel weiter zu kommen, als ihr sozialer Status es eigentlich vorzeichnet. Wie das gelingen kann, zeigt diese Reportage.

Auslandstudium in Nizza, fast wie im Urlaub?

Sommer, Sonne, Palmen. Die ersten zwei Wochen seines Auslandsstudiums in Nizza erschienen Lukas fast wie Urlaub, doch dann begann auch hier der Alltag. Lukas musste sich umstellen auf das französische Unisystem und das war für ihn anfangs „wie ein Schock“…, verschulter als in Regensburg und mit Prüfungen während des ganzen Semesters.

"Die ersten zwei Wochen dachte man sich, ich bin hier im Urlaub. Aber dann hat man realisiert: Oh, ich muss hier Prüfungen schreiben, ich muss die bestehen... Man muss das durchziehen…Das war eine gute Erfahrung. Man lernt flexibel zu sein und manche Dinge einfach zu akzeptieren und zu machen."

(Lukas)

Urlaubsfeeling im Auslandssemester. Lukas am Strand in Nizza.

Neben dem Studium hat Lukas in Nizza eine ganze Reihe neuer Erfahrungen gemacht: Das erste Mal WG-Leben, „Alltag auf Französisch“, neue Kontakte und Freundschaften. Am Ende waren die acht Monate viel zu schnell vorbei und Lukas tat sich zum ersten Mal richtig schwer, Abschied zu nehmen. Doch für Trennungsschmerz blieb ihm nicht viel Zeit.

Praktika in Brüssel: ein Highlight im Studium

Nach nur zwei Wochen in Regensburg ging es schon wieder weiter zur nächsten Auslandsetappe. Jetzt nach Brüssel. Dort hatte er sich für ein dreimonatiges Praktikum bei der Bayerischen Landesvertretung beworben und im Anschluss dazu auch noch für ein Praktikum bei der Deutsch-Belgisch-Luxemburgischen Außenhandelskammer.

Lukas erhält die ersten spannenden Einblicke in die Welt der Politik.

In Brüssel ging Lukas auf Tuchfühlung mit der Politik. Als Praktikant der Bayerischen Landesvertretung bekam er Zugang zum EU-Parlament, er durfte Ausschusssitzungen protokollieren und dabei ganz selbstständig arbeiten. Bei der Landesvertretung nahm er an den wöchentlich stattfindenden politischen Veranstaltungen teil. Dabei wurden verschiedenste Themenfelder, wie etwa aus den Bereichen Wissenschaft, Bildung oder Kultur behandelt. Während seines Praktikums fand er auch oft Aspekte, die ihn selbst betrafen, wie Studieren im Ausland oder Erasmus.

"Es gab bestimmt Momente, da hab´ ich einen Auftrag bekommen, wo ich dachte, ich kenn mich da nicht aus, da fühl ich mich nicht so ganz wohl in meiner Rolle. Da hab` ich mich ein bisschen klein gegenüber den anderen Leuten gefühlt, die da so waren. Das hab´ ich aber auch gelernt, da hin zu gehen. Man hat ja schon Kenntnisse..."

(Lukas)

Für Lukas die ersten Schritte auf dem politischen Parkett und in ungewohnten Kreisen. Ein gutes Training im Kontakten und Smalltalk, von dem er noch profitieren wird, wenn ihn sein Weg tatsächlich in die Bereiche Politik und Öffentlichkeitsarbeit führt, so wie er es jetzt plant.

Lukas bei einer Veranstaltung in der Bayerischen Landesvertretung in Brüssel

"Ich hab´ da meinen Platz gehabt. Am Anfang gibt’s aber schon Momente, da ist man überfordert. Die Events haben mit Lobby zu tun, mit vielen Institutionen. Man trifft viele Praktikanten von anderen Institutionen und die politischen Themen sind breit gefächert, bei der Bildung zum Beispiel, wie wird der neue Finanzrahmen gestaltet. Bei mir hatte es viel mit Bildung, Weiterbildung, Fremdsprachen Lernen zu tun gehabt. Also was tut die EU für die Jugend?"

(Lukas)

Bei seinem zweiten Praktikum in der Außenhandelskammer sammelte Lukas erste Erfahrungen in Öffentlichkeitsarbeit und redaktionellem Arbeiten. Er führte Interviews, pflegte die Homepage und schrieb Artikel für das hauseigene Magazin.

Diese ersten Einblicke in die berufliche Praxis bei seinen Praktika waren für Lukas das Highlight seines bisherigen Studiums. Denn hierbei wurde ihm klarer, wo seine Stärken liegen und wohin es beruflich gehen kann.

Wie finanziere ich mein Auslandstudium und Praktika im Ausland?

Unbezahltes Praktikum

Lukas hat es geschafft, sich seine Zeit im Ausland weitgehend über Zuschüsse und Stipendien zu finanzieren. Nicht nur für die Studiensemester im Ausland, sondern auch während seiner – unbezahlten – Praktika erhielt Lukas AuslandsBAföG. Für seine Studiensemester in Frankreich bekam er zusätzlich von der Deutsch-Französischen Hochschule 300 Euro im Monat. Ein Stipendium, das jeder erhält, der diesen Studiengang absolviert, unabhängig von den Noten und ohne spezielle Bewerbung. In Frankreich bekommt dazu grundsätzlich jeder Student rund 90 Euro Wohngeld vom Staat, auch ausländische Studierende.

Sich selbst organisieren, Connections knüpfen

Anders als bei manchen Kommilitonen, konnten Lukas´ Eltern ihrem Sohn nicht zu einem Praktikumsplatz über den eigenen Freundes- und Bekanntenkreis verhelfen oder ihm Tipps dazu geben. Nicht-Akademikerkinder müssen sich eigenverantwortlich um jeden Schritt, jede Etappe im Studium selbst kümmern und entsprechende Infos einholen.

Lukas beim Networking in Brüssel mit Kolleginnen der Deutsch-Belgisch-Luxemburgischen Handelskammer.

Lukas empfindet das heute nicht mehr als Nachteil. Im Gegenteil, er glaubt, dass ihm das Sich-selbst-organisieren-Müssen, zu mehr Eigenständigkeit und Selbstbewusstsein verholfen hat.

Verbindungen knüpfen, das ist gerade bei Fächern wie Französische Studien oft wichtig, wenn es darum geht, nach dem Studium Zugang zum Arbeitsmarkt zu finden. Lukas´ Familie nimmt Anteil an seinem Werdegang, die Eltern stehen voll hinter ihm. Aber er geht jeden Schritt aus eigener Kraft. Das macht ihn unabhängiger und gibt ihm zusätzlich Energie, den eingeschlagenen Weg erfolgreich weiter zu gehen.

Arbeiterkinder: im Bildungssystem benachteiligt?

Lukas am Jardin du Mont des Arts, einem seiner Lieblingsplätze in Brüssel.

Das Bildungssystem ist für alle gleich, die Startbedingungen nicht. Die Barrieren sind oft im Kopf, bei den Eltern und den Abiturienten selbst. Eine der Hauptgründe sind die „Bildungsschwellen“, die bereits in der Schule bestehen. Im Vergleich zu Kindern von Akademikerfamilien, besucht nur rund die Hälfte der Kinder von Nichtakademikerfamilien das Gymnasium.

Doch auch wenn ein Kind den Sprung ans Gymnasium geschafft hat, gibt es weitere Hürden im „Bildungstrichter“: Die Angst, Schulden zu machen ist oft größer, als das Bewusstsein oder die Bereitschaft, ein Studium als Investition in die Zukunft zu sehen. Viele Eltern aus Arbeiterfamilien bestärken ihre Kinder darin, doch lieber eine „solide Ausbildung“ zu machen, anstatt lange zu studieren. Arbeit wird als Beitrag zur Leistungsgesellschaft wertgeschätzt, Lernen eher nicht.

Oft sind jedoch nicht die finanziellen Hürden der Hauptgrund, warum Arbeiterkinder nicht den Weg an die Hochschule schaffen, sondern das kulturelle Umfeld und das Selbstbild der Kinder. Hochschule und Akademikerkreise erscheinen oft als „fremde Welt“, zu der es schwer ist, einen Zugang zu finden: Wie komme ich an eine Uni? Ist ein Studium überhaupt etwas für mich? Wo erhalte ich finanzielle Unterstützung? Wie schaffe ich es mit meinem Studienabschluss in die Arbeitswelt? Fragen, die Eltern in Nichtakademikerfamilien oft nicht beantworten können.

Fest steht, im europäischen Vergleich, werden die Bildungschancen in Deutschland noch immer „vererbt“ und das hat Folgen. Laut Statistik ist das Risiko, Geringverdiener zu werden, in der Arbeitslosigkeit zu landen oder zu erkranken deutlich höher, wenn man aus einer "Arbeiterfamilie" kommt.

Hilfreiche Links:

  • arbeiterkind.de - Zahlreiche Tipps und Infos rund um das Studium
  • sbb-Stipendium - Ein spezielles Stipendium für alle mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung
  • Hochschulkompass - Online-studienberatung mit vielen Infos über Studiengänge und andere Themen rund ums Studium
  • studis-online.de - Artikel, Links und Foren für Studieninteressierte und Studenten

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