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Risiko Einsamkeit Einsamkeit macht krank: Wege aus der Isolation

Millionen Menschen in Deutschland sind einsam. Menschen ohne Partner, besonders Frauen über 80, sind doppelt so oft betroffen wie Männer. Wer und was kann helfen, den oft tückischen Teufelskreis der Einsamkeit zu durchbrechen?

Von: Agnieszka Schneider

Stand: 31.03.2024

Doris Scheffler lebt seit vier Jahren alleine in ihrer Wohnung in Augsburg. Für die 78-Jährige eine schwierige Situation. Die gelernte Kunst-Erzieherin genoss früher die Gesellschaft vieler Menschen. Noch mit 57 geht sie in den Schuldienst, arbeitet gerne mit Jugendlichen. Um im Alter nicht alleine zu sein, zieht sie mit ihrer Freundin zusammen, die aber vier Jahre später verstirbt. An den Festtagen ist der Verlust besonders schmerzlich.

"Das ist irgendwie so bodenlos, so und fühlt sich dann gar nicht geborgen. Irgendwie. Ich kann kein treffendes Gefühl dafür sagen. Es ist einfach ungut. Das Gefühl der Einsamkeit, zu wissen, es ist wirklich echt niemand da, wenn es drauf ankommt,  das ist grauenvoll, das ist einfach nicht gut. Ich kann das gar nicht in Gefühl packen."

Doris Scheffler

Am Klinikum für Psychiatrie und Psychotherapie der LMU in München finden einsame Menschen Unterstützung, ambulant wie stationär. Dr. Matthias Reinhard beschäftigt sich mit Entstehung, Risikofaktoren und Therapieansätzen im Zusammenhang mit Einsamkeit.

"Einsamkeit hat zahlreiche Konsequenzen auf verschiedenen Ebenen. Was wir immer wieder finden, ist sozialer Rückzug, zum Beispiel, dass man aus dem Kontakt geht. Aber auch immer wieder zu finden ist in gewisser Weise ein provokantes, ein abwertendes Verhalten anderen Menschen gegenüber. Wir finden Schlafstörungen, wir finden Grübeln, wir finden auch so etwas wie Suizidgedanken bei manchen Betroffenen. Einsamkeit führt häufig zu körperlichen Erkrankungen, erhöhtem Blutdruck, Stress zum Beispiel, erhöhter Herzinfarkt- und Schlaganfallrate und zu früherer Sterblichkeit. Unsere Idee ist natürlich, wenn wir Einsamkeit adressieren und auch in einer gewissen Weise beheben, dass auch diese körperlichen Folgen der Einsamkeit sich normalisieren und besser werden."

Dr. Matthias Reinhard, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, LMU München

Einsamkeit macht krank

Studien belegen einen engen Zusammenhang zwischen Gesundheit und einem guten sozialen Umfeld. Gundula Kubicki hatte sich im August 2021 ein Bein gebrochen. Im Dezember kamen noch ein Schlaganfall und Gleichgewichtsstörungen dazu. Die 81-Jährige befürchtet, dass sich ihr Gesundheitszustand weiter verschlechtert. 2014 zog sie aus dem Sauerland nach Landshut, in die Nähe ihrer jüngeren Schwester. Sie wünschte sich, mit der Familie öfter etwas zu unternehmen, doch die Schwester pflegt ihren kranken Mann und hat nur wenig Zeit.

"Was wir inzwischen gerade in Langzeitstudien beobachten können, ist, dass die Einsamkeit oft auch einer Depression vorausgeht. Das heißt, aus dieser Einsamkeit entwickelt sich dann zusätzlich depressive Symptome. Man wird zunehmend antriebsarmer, niedergestimmter, man zieht sich sozial zurück. Man unternimmt weniger, erlebt auch weniger positive Dinge dadurch in der Einsamkeit. Und das ist das, was auf Dauer dann depressiv machen kann."

Dr. Matthias Reinhard, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, LMU München

Hilfe gegen Einsamkeit: Hausbesuchsdienst in Landshut

Dagegen will der Malteser Hilfsdienst etwas unternehmen. Seit Anfang 2022 wird in Landshut ein Hausbesuchs-Dienst für Senioren aufgebaut. Mit Unterstützung der Stadt Landshut wurden etwa 3.200 alte Menschen schriftlich über dieses Angebot informiert. 84 von ihnen haben sich daraufhin gemeldet.

"Diejenigen, die sich bei uns gemeldet haben, haben uns wirklich dann auch genau diese Situation rückgemeldet, dass sie eigentlich nicht wissen, wohin sie sich wenden sollen, dass sie sich alleine fühlen, dass sie schwer aus dieser Situation herauskommen. Und da ist natürlich der Hausbesuchsdienst ein wunderbarer Dienst, um diese Situation verändern, einen Anschluss herzustellen an die richtigen Ansprechpartner und damit dann die Lebenssituation verbessern zu können."

Natalie Dietzsch-Albrecht, Projektkoordinatorin Miteinander-Füreinander, Landshut

Projekt Miteinander-Füreinander und lokale Initiativen

Präventiv gegen die Einsamkeit zu wirken, ist das Ziel des bundesweiten Projektes „Miteinander-Füreinander“. Zwar traut sich Gundula Kubicki noch nicht, an externen Angeboten teilzunehmen; doch der erste Schritt gegen die Einsamkeit ist getan. Neben dem Hausbesuchsdienst der Malteser hat die Stadt Landshut noch mehr zu bieten: Im Seniorentreff findet täglich ein abwechslungsreiches Programm statt. Im dortigen Café spielt man alle zwei Wochen Rommé. Die Idee dazu hatte die 84-jährige Helga Heider.

"Es ist nicht schön, wenn man alleine rumsitzt und wenn man keine Verwandten hat. Zum Glück habe ich meinen Sohn, wo ich hingehen kann. Aber man muss selbst auch etwas tun."

Helga Heider

Mit Eigeninitiative zum Mehrgenerationenhaus

Eine ungewöhnliche Idee gegen die Einsamkeit hatte Walter Kanzok aus Bamberg. Er war gerade 60 Jahre alt, als seine Frau 2008 verstarb. Die erwachsenen Kinder waren schon ausgezogen und er war plötzlich allein in einem großen Haus. In Gesellschaft befreundeter Paare fühlte er sich wie das fünfte Rad am Wagen und zog sich zurück.

Aber mit Mitte 60 wird Walter Kanzok zum Bauherren eines generationenübergreifenden Wohnprojekts. Zwei Jahre nach der Grundsteinlegung ziehen die Bewohner des 11-Parteien Hauses ein. Für Walter Kanzok beginnt ein neuer Lebensabschnitt - mit 22 Personen: mit Familien, Paaren und Alleinstehenden. Die Struktur des Hauses bietet eine lebendige Nachbarschaft, draußen wie drinnen. Im Gemeinschaftsraum des Tocklerhofs kommen jeden Tag alle Generationen zusammen.    

"Gerade die unterschiedlichen Generationen machen es aus, dass man sich sehr unterstützen muss. Ich passe auf die Kinder auf, dafür kaufen andere wieder ein oder machen Besorgungen oder man bringt mich irgendwohin. Es sind so viele Möglichkeiten, wo man sich unterstützt. Und das macht aus, dass es einfach lebenswert ist, hier zur zu wohnen in diesem Haus."

Walter Kanzok

Hilfe und Therapie gegen Einsamkeit: Worauf kommt es an?

"Letztendlich ist der erste Schritt für mich auch immer festzustellen, in welchen Beziehungen lebt ein Mensch überhaupt. Gibt es soziale Kontakte, oder gibt es da eigentlich niemanden? Und der erste Schritt ist, einen Menschen auch wieder in Kontakt zu bringen mit anderen. Ein Beispiel für Schritte, die man therapeutisch gehen kann, ist: Wenn es Menschen gibt, wie Familie, Freunde, Arbeitskollegen von früher, wo man sagen kann, da könnten wir was reaktivieren, da könnten sie wieder in Kontakt kommen, heißt es, sich zu fragen, kann ich etwas an der Qualität der Beziehungen verbessern."

Dr. Matthias Reinhard, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, LMU München

Erhöhte Sterblichkeit durch soziale Isolation

Zahlreiche internationale Studien bestätigen, dass soziale Isolation die Sterberate erhöht. Leben ohne Partner und Angehörige stellt Senioren vor große Herausforderungen. Die Bereitschaft zur direkten Kontaktaufnahme mit Menschen nimmt im Alter ab. Zudem ist Einsamkeit oft mit Scham verbunden. Deshalb unternehmen viele ältere Menschen nichts dagegen.

Verein Silbernetz: Telefonieren gegen die Isolation

Zu einem ersten Schritt hilft der Berliner Verein „Silbernetz“. Hier können ältere Menschen ein kostenloses Telefon-Gespräch wahrnehmen, jeden Tag von 8 bis 22 Uhr. Die Gründerin des Vereins, Elke Schilling, schaute sich dieses Modell von den Briten ab. Im September 2018 wurden die Leitungen freigeschaltet. Täglich bis zu 180 Anrufer in ganz Deutschland nutzen die Hotline mittlerweile.

"Unsere Dreistufigkeit ist das, was uns einzigartig macht.
In Deutschland ist es einmal die Hotline, also unser Silbertelefon mit der Nummer 0800 4 70 80 90.

Zum Zweiten sind das unsere Silbernetz-Freundschaften: Das sind die Ehrenamtlichen, die einmal in der Woche ihren von uns vermittelten älteren Menschen, der sich das wünscht, anrufen für ein persönliches Gespräch. Die älteste Freundschaft ist inzwischen fünf Jahre alt, so alt wie Silbernetz.

Und das Dritte ist unsere Silberinfo, weil viele alte Menschen wirklich nicht wissen, was es bei ihnen vor Ort an Möglichkeiten gibt, wieder herauszukommen aus der Isolation, Kontakte zu finden, aber auch Angebote für Pflege und Gesundheit. Denn das ist in Deutschland kompliziert und wenn überhaupt oft nur über das Internet möglich. Und da haben aber viele nicht. Die Hemmschwelle, Angebote anzunehmen, ist oft hoch. Denn oft schon haben einsame Menschen Ablehnung und Ignoranz erfahren. Die Angst vor der nächsten Enttäuschung ist groß. Einsamkeit wird damit schnell zum Teufelskreis. Das Gute ist: Bei uns kann jeder wieder das Sprechen zurückgewinnen, sich wieder seiner selbst vergewissern."

Elke Schilling, Silbernetz e.V., Berlin

Die 81-jährige Eveline Harder aus Berlin hat früher neben ihrem Beruf Kommunikationsseminare gegeben und Kunstausstellungen organisiert. Jetzt fühlt sie sich alleine. Aber als Ehrenamtliche am Silbertelefon hat sie jetzt eine neue Aufgabe. Seit der Pandemie klingelt das Telefon oft. Besonders an Weihnachten sind die Menschen sehr einsam – da ist die Hotline rund um die Uhr geschaltet.

"Ab 2 Uhr geht es dann los, richtig los. Dann sind sie aufgewacht, können nicht mehr schlafen. Es gehen ihnen 1000 Gedanken durch den Kopf und dann rufen sie an. Oder das Fernsehprogramm ist zu Ende, oder aber die Flasche ist leer und die Verzweiflung nimmt zu."

Eveline Harder

Seit dreieinhalb Jahren hat die Seniorin eine Telefon-Patenschaft – sie spricht mit einem einsamen Mann aus Berlin. Sie machen Gedankenreisen, unterhalten sich über Literatur – alle zwei Wochen immer für zwei Stunden. Das Gefühl, gebraucht zu werden, hilft auch Eveline Harder, den Momenten der Einsamkeit zu entkommen.

Einsamkeit hat oft alte Wurzeln

Einsamkeit ist ein Gefühl, das sich nicht eindeutig messen lässt. Mithilfe von Fragebögen und mündlichen Befragungen versuchen die Einsamkeitsforscher an der LMU in München das Phänomen besser zu definieren und die Ursachen zu finden. Ein Ansatz können Erlebnisse aus der Kindheit sein.

"Was wir hier machen, ist zum Beispiel auch Biografie-Arbeit. Das heißt, wir lassen uns die Biografien der betroffenen Menschen schildern. Gab es so etwas wie Einsamkeitserleben auch schon in der Kindheit?"

Dr. Matthias Reinhard, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, LMU München

Einsamkeit: Problem der gesamten Gesellschaft

Einsamkeit ist ein gesamtgesellschaftliches Problem. In einigen europäischen Ländern ist Einsamkeit schon länger als Risikofaktor anerkannt. Zunehmend wird das auch von offizieller Seite in Deutschland wahrgenommen. Das Bundesfamilienministerium hat im November 2022 eine Sensibilisierungskampagne zum Thema Einsamkeit gestartet und daneben auch ein Projekt für digitale Kompetenz im Alter auf den Weg gebracht.

"Damit wir das Problem für Deutschland besser einordnen können, deswegen haben wir das Kompetenznetz geschaffen und bündeln auch das, was es derzeit an Forschung gibt. Und wir sind dabei, tatsächlich neue Studien zu entwickeln, um mehr darüber zu erfahren. Erstens, was Einsamkeit genau ausmacht und vor allen Dingen, wie wir Menschen wieder aus der Einsamkeit heraushelfen können.
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Wenn ich eben dann ein Smartphone bedienen kann und dann mit meinen Enkeln oder Kindern, die jetzt gerade nicht hier wohnen, per WhatsApp oder anders den Kontakt halten kann, dann ist das einfach ein super Zugewinn an Lebensqualität. Deswegen helfen wir da. Wir haben einen Digitalpakt aufgelegt, und damit unterstützen wir 300 Erfahrungsorte in ganz Deutschland. Da können Menschen hingehen und vor Ort spannende Informationen bekommen."

Lisa Paus, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Dass es möglich ist, zurück zu einem erfüllten sozialen Leben zu finden, bestätigt auch der Psychotherapeut Dr. Matthias Reinhard.

"Ich denke, solche Ideen wie gemeinsames Spazieren, gemeinsames Kartenspielen, Nachmittage, wo man gemeinsam zusammenkommen kann, Dinge unternimmt, das ist schon ein erster Schritt. Aber die Reiseaktivität wiederum, dass man unter Menschen ist, das ist, glaube ich, noch nicht ausreichend, um die Einsamkeit anzugehen. Sondern es geht noch einen Schritt weiter, dass man bei solchen Treffen dann auch ins Gespräch kommt über Dinge, die einen wirklich bewegen, über die Einsamkeit, über das Alleinsein, dass man auch darüber auch spricht mit den Menschen."

Dr. Matthias Reinhard, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, LMU München


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