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BR-Musikerinnen und -Musiker in der Pandemie Wie sich Musik auf Abstand anfühlt

Die Corona-Pandemie stellt seit einem Jahr auch die Arbeit beim Symphonieorchester, beim Münchner Rundfunkorchester und beim Chor des Bayerischen Rundfunks auf den Kopf. Hier berichten drei Musikerinnen und Musiker, wie aus Symphonien Quartette werden und wie neue Intimität und ein neuer Blick auf Kultur entstehen.

Von: Zusammengestellt von Anna Scholder

Stand: 06.04.2021

Probe des BR-Chors im Herkulessaal mit 3 Meter Radius zum Nachbarn | Bild: BR / Alexander Heinzel

Auch ein Ausnahmezustand kann zum Alltag werden

"Im Laufe des vergangenen Jahres haben wir uns an Vieles gewöhnt, das uns zunächst abwegig erschien. Masketragen, Virologen-Podcasts anhören, Aushilfslehrer für unsere Kinder spielen … Und Abstand halten! Was privat schon sehr schwer fällt, bringt uns als Orchester erst recht an Grenzen.
Als wir im Juni letzten Jahres nach langer Zwangspause wieder zumindest in kleiner Besetzung zusammenkommen durften, füllten wir mit zwölf Bläsern und einem Kontrabass fast das gesamte große BR-Studio aus. Aufeinander reagieren, Klangmischung, Intonation und rhythmisches Zusammenspiel waren dadurch extrem schwierig. Dank der BR-Aerosolstudie, an der auch Symphonieorchester und Chor beteiligt waren, konnten die Abstände inzwischen etwas reduziert werden, eine große Einschränkung für unsere Arbeit stellen sie nach wie vor dar.
Kleine Orchesterbesetzungen, Kammermusik und neue Formate wie die 'Watch this Space'-Reihe sind also das Gebot der Stunde. Und Flexibilität: Veränderte Einreisebestimmungen machen Umbesetzungen bei Solistinnen und Solisten, Dirigentinnen und Dirigenten nötig, diese ziehen wiederum Programm- und Probenplanänderungen nach sich. Auch wann wieder mit Publikum gerechnet werden darf, ist schwer abzusehen. Davon abhängig ist das Zustandekommen einiger Projekte und, wie viele Konzerte wir wöchentlich spielen. Für unser Management und für Familien ohne verlässliche Kinderbetreuung durch Schulen und Kitas, eine große Herausforderung.
Trotz all dieser Schwierigkeiten sind wir froh, in diesen Zeiten überhaupt als Musiker arbeiten zu dürfen – anders als viele freischaffende Kolleginnen und Kollegen, die um ihre Existenz bangen müssen. Über Hörfunk und Livestream erreichen wir auch jetzt ein großes Publikum. Und so sehr wir uns dieses im Saal zurückwünschen – die 'Geisterkonzerte' haben eine sehr besondere, vielleicht intimere Atmosphäre. Vor leerem Saal zu spielen, aber zu wissen, dass die Musik ausgestrahlt wird und da draußen viele Menschen erreichen und berühren wird, empfinde ich als sehr tröstlich in diesen schwierigen Zeiten."

Bettina Faiss, Klarinettistin im Symphonieorchester des BR

Der neue Blick auf Kultur – und die Sehnsucht nach Glück

Timo Janzen, Bariton im Chor des Bayerischen Rundfunks | Bild: privat

"Vor ziemlich genau einem Jahr konnten wir im ausverkauften Prinzregententheater unser letztes Konzert – gemeinsam mit vielen Kolleginnen und Kollegen – bestreiten.
Wir stehen tatsächlich dicht an dicht, dass allein das Einatmen genügt, um sich musikalisch einig zu sein, die eigene Stimme im Vollklang wahrzunehmen, aber eingebunden zu sein im Gesamtklang und zudem mit dem Publikum interagieren zu können – und beim Schlussakkord schon motiviert zu sein für die anstehenden Proben für das nächste Highlight. Ein wunderbares, normales Gefühl!
Plötzlich aber ist alles anders – nichts ist noch so, wie es ewig weiterzugehen schien. Lockdown, Videokonferenzen, Versuche, Arbeit überhaupt möglich zu machen: Aus Mahler-Sinfonien werden Quartette vor Pflegeeinrichtungen und di Lasso-Sätze.
Singen, unsere geliebte Tätigkeit und bis dato gesundheitsfördernd und eine Wohltat für den eigenen Körper und die Seelen der anderen, steht unter kritischster Beobachtung. Da heißt es, die Abstände abstrus zu vergrößern: Ich singe solistisch, soll aber chorisch klingen!
Trotzdem gelingen famose CD-Aufnahmen, denen ich die Anstrengung aller Beteiligten nicht anmerke. Auch entwickelt sich bei vielen eine enorme Sensibilität, da sich niemand mehr verstecken kann. Dadurch entsteht Intimität, die technisch durchaus fordernd ist – und doch: Ich vermisse brutal die Zusammenarbeit mit 'meiner' Gesamtgruppe – und natürlich mit unseren Orchestern. Ich sehne mich danach, wieder ein Publikum in andere Welten entführen zu können, weg von Maßnahmen, Verboten und Einschränkungen: Dieses Sich-Aufeinander-Einlassen, das musikalische Entdecken und das emotionale Öffnen, das zu großen Momenten in unseren Live-Konzerten und nur so zu mitmenschlicher Kultur wird, das fehlt mir!
Ich hoffe, dass einige meiner freien Kolleginnen und Kollegen, die inzwischen andere Jobs machen müssen, wiederkehren können, denn auch sie brauchen wir wieder, um zu alter Größe zu gelangen. Wir Sänger haben gelernt, aus sehr wenig viel zu machen und geben die Hoffnung auf Achtsamkeit für kulturelle Bedürfnisse und Belange nicht auf!"

Timo Janzen, Bariton im Chor des BR

Viel mehr Verantwortung für jeden Ton

"Wir hatten das große Privileg, schon sehr früh wieder in eine Art geregelten Betrieb als Orchester zu gehen: Es entstanden sehr schöne CD-Aufnahmen und Livestreams. Mit Pop Up-Konzerten kleinerer Formationen auf verschiedenen Marktplätzen im Sendegebiet konnten wir die Menschen auch direkt erreichen.
Das sowieso schon sehr vielfältige Repertoire des RO wurde noch um ausgesprochen spannende Nebenlinien erweitert, es gibt noch sehr viel zu entdecken.
Mit einer schnellen großen Spende aus unserer Orchesterkasse an die #Musikernothilfe gleich zu Beginn des ersten Lockdowns im März haben wir versucht, die Not der Freischaffenden etwas lindern zu helfen. Unsere Motivation ist sehr hoch, denn wir spüren die Sehnsucht der Menschen nach Kultur. Bereit zu sein, jede neue Möglichkeit des Austausches mit dem Publikum zu finden, ist ein großer Ansporn. 
Ein Konzert lebt von der Interaktion mit dem Publikum im Saal, die Magie der unmittelbaren Teilhabe daran ist unersetzlich. Geisterkonzerte als Dauerzustand sind für mich nicht vorstellbar. Wir hatten gerade Drehtage für einen 'Tatort'. In einer Konzertsituation wurde vom Publikum applaudiert. Es war eine aufregende, schöne Erfahrung, endlich wieder Beifall im Konzertsaal zu erleben!
Mit den neuen Abstandsregeln auf der Bühne umzugehen, ist für mich persönlich gar nicht so schwer; als Kontrabassist bin ich diese Distanzen gewöhnt. Der unbefangene persönliche Austausch, mal eben den Kopf mit Kolleginnen und Kollegen zusammenzustecken ist natürlich schwierig bis unmöglich geworden. Das ist in der Tat etwas, was mit fehlt.
Es übernimmt nun jeder individuell sehr viel mehr persönliche Verantwortung für jeden einzelnen Ton. Es ist schwieriger, als eine Gruppe zu agieren. Die Herausforderung für den Dirigenten und uns Musiker ist es, einen gemeinsamen Klang zu finden und zu organisieren, der diese Distanzen überbrückt. Trotz der kleineren Besetzungen klingt alles recht breit, das zu fokussieren ist sehr spannend."

Peter Schlier, Kontrabassist im Münchner Rundfunkorchester


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