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Einsatz bei Olympia '72 Vom Sheriff zum Krisenmanager

Das olympische Fieber hatte auch den Polizisten Walter Renner gepackt. Wenn er nicht Bereitschaftsdienst hatte, verfolgte er die Spiele, bejubelte im Stadion drei Goldmedaillen für Deutschland. Doch dann kam der Diensteinsatz bei der Geiselnahme. Seine Arbeit war für ihn nie wieder die gleiche.

Von: Julia Mahncke

Stand: 23.02.2012 | Archiv

Polizei-Panzer im Olympischen Dorf | Bild: picture-alliance/dpa

Als Walter Renner mit 18 Jahren bei der Stadtpolizei München anfing, waren Dienstfahrzeuge noch nicht mit Funkgeräten ausgestattet. Bei seinen ersten Gängen auf Streife, die er allein unternahm, hatte er zwanzig Pfennig in der Hosentasche. Damit er anrufen konnte, wenn was war. "Alle halbe Stunde hat man sich mal zur Kontrolle getroffen, um zu gucken, ob alle noch leben", erzählt der Mann mit dem sanften Lächeln im Gesicht.

Von Anfang an wurde ihm beigebracht, selbstständig zu handeln. Der junge Polizist sammelte Erfahrungen mit gefährlichen Situationen: "Wenn es hieß, da ist ein Einbrecher im Geschäft, musste ich mich halt geschickt verhalten, damit der mich nicht übertölpelt. Mit der Zeit lernt man das alles." Die Beamten mussten mit wenig Mann für Ordnung sorgen. Wo heute 100 Polizeiautos unterwegs sind, fuhren damals 14 Wagen durch die Stadt München.

Polizeiauto 1967 | Bild: Eberhard Dersch/www.polizeioldimer.de

Polizeiauto von 1967

Auf die Olympischen Spiele freute sich der heute 74-Jährige sehr. Gespannt verfolgte er die Vergabe und dann die Vorbereitungen in der Stadt. Auf Streife beobachtete er von einem Hügel aus, wie ein 400 Meter langes Drahtseil, das die Dachkonstruktion des Stadions tragen sollte, hochgezogen wurde. Zentimeter für Zentimeter. "Ich habe damals einen Ingenieur mit weißem Helm gefragt, ob das auch funktioniert. ,Ich bin genauso gespannt wie Sie', hat der zu mir gesagt."

Der Lebenseinsatz

Von der Geiselnahme erfuhr Renner am Morgen des 5. Septembers über das Radio und meldete sich sofort bei seiner Dienststelle. Damals war er Zugführer, eine Mannschaft von etwa 30 Polizisten stand unter seiner Leitung. Mit seinem Team schottete er das israelische Quartier in der Conollystraße ab, in dem palästinensische Terroristen neun Athleten festhielten, um so ihre Landsleute aus israelischen Gefängnissen freizupressen. „Wir haben gar nicht gewusst, wie viele Leute da drin sind. Aber die Handgranaten und Schusswaffen haben wir natürlich gesehen“, erzählt der pensionierte Beamte in besonnenem Ton. Er kann sich an alle Vorgänge erinnern, nur nicht daran, wie lange sie jeweils gedauert haben. Sein Zeitgefühl schaltete sich an jenem Tag aus.

Terrorist im olympischen Dorf

Die Polizisten hatten kaum Informationen, kommunizierten über Handzeichen. Die damaligen Funkgeräte taugten nichts, wenn Gebäude im Weg waren. Ein Dutzend Mal verhandelten verschiedene deutsche Vertreter mit den Terroristen. Die planten auszureisen. Renner flog mit dem Hubschrauber in Richtung Flugplatz, von dem aus die Terroristen mit den Geiseln nach Kairo fliegen wollten. „Auf dem Platz wurde dann wild geschossen. Deswegen setzte uns der Pilot einen Kilometer vom Flugplatz entfernt in der Dunkelheit ab. Er wollte nicht weiter. Von da haben wir uns vorgearbeitet. Zwischendurch trafen wir einen Panzerwagen, bei dem wir ein paar Informationen bekamen.“ Die Stadtpolizei München, eine kleine eigenständige Einheit mit dem Oberbürgermeister von München als Chef, war nicht vorbereitet gewesen. Auf acht Terroristen schossen nur fünf Scharfschützen. Absprachen waren nicht möglich. Am Ende starben 17 Menschen.

Was nach der Ernüchterung bleibt

Die nächsten 48 Stunden nach dem Einsatz schlief Renner nicht. Danach fand er zurück in den Alltag. Trotzdem war alles anders. "Wir hatten gelernt, alleine so gefährliche Situationen zu regeln. Und da meint man irgendwann einmal, man ist der Weltmeister. Man kann das immer und ist für jede Situation gewappnet. Am 5. September habe ich gelernt, dass wir gar nichts können. Das Schlimmste war das Gefühl der Ohnmacht. Wir hatten null Chance. Keinen Einfluss. Keine Möglichkeit. Das war ein großer Lernschritt."

Ein Jahr später bewarb Walter Renner sich für den Psychologischen Dienst und wurde genommen. Er hatte bei den Verhandlungen mit den Terroristen erlebt, wie wenig eine unorganisierte und unerfahrene Gruppe von Menschen erreichen kann. Der Beamte bildete die Spezialeinheiten, die als Konsequenz aus den Vorfällen gegründet wurde, unter anderem in Verhandlungstechnik aus. 15 Jahre blieb er beim Psychologischen Dienst. Sein Einsatz bei der Geiselnahme während der Olympischen Spiele hat Walter Renner verändert. Er blieb das einschneidenste Erlebnis seiner Dienstzeit.


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