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Hitler-Prozess Der Richter und die fatale Hitler-Show

Der Prozess, in dem Adolf Hitler für seinen gescheiterten Putsch vor Gericht steht, beginnt im Februar 1924. Die Anklage lautet auf Hochverrat.

Stand: 17.01.2012 | Archiv

24 Tage dauert das Verfahren vor dem "Volksgericht München", bevor am 1. April 1924 das Urteil verkündet wird.

George Meyer-Goll als Richter Neithardt

Rein rechtlich gesehen hätte der Richter auch die Todesstrafe verhängen können, zumindest aber hätte dem landfremden Adolf Hitler nach seiner Haftentlassung die Ausweisung aus Deutschland gedroht. Stattdessen verurteilt Landsgerichtsdirektor Georg Neithardt den überführten Hochverräter Adolf Hitler zu fünf Jahren Haft – von denen der Anführer des Putsches lediglich neun Monate tatsächlich im Gefängnis in Landsberg absitzt.

Der Richter sympathisiert offen mit den Putschisten und schreitet nicht ein, als der Putschist Hitler den Gerichtssaal zum öffentlichen Forum für mehrstündige Propagandareden gegen die "Novemberverbrecher" in Berlin, die parlamentarische Demokratie und die Weimarer Verfassung macht. "Ich habe natürlich das Bestreben und erkenne an, dass es im Interesse der Angeklagten liegt, möglichst vor breiter Öffentlichkeit zu verhandeln. Das Gericht wird dem selbstverständlich, soweit es möglich ist, Rechung tragen", so Neithardt zu Beginn der Hauptverhandlung.

Was sollte vertuscht werden?

Titelseite des Satiremagazins "Simplicissimus" vom 17. März 1924

Der Richter - der Hitler schon bei früheren Prozessen recht milde behandelt hatte - ist bewusst ausgewählt worden. Allerdings nicht zum Schutz Hitlers, sondern um die Verstrickung der hohen Staatsbeamten Gustav von Kahr, Otto von Lossow und Hans von Seißer in die Ereignisse zu verschleiern. Dass auch der Staat und einige seiner herausgehobenen Vertreter einiges zu verbergen haben, macht es Hitler leicht, sich zum Opfer eines "Verrats" zu stilisieren. Den Prozessbeobachtern und Journalisten ist bald klar, dass der Justiz nicht wirklich an einer Aufklärung der Vorgänge gelegen ist. So wird der Prozess das Top-Thema der bayerischen Presse im März 1924 - mit durchschlagender Wirkung auf den Landtagswahlkampf, der gerade im Gange ist.

Die Juristen beim Hitler-Prozess

Dr. Georg Neithardt, der Richter

Geboren am 31. Januar 1871 in Nürnberg. 1919 wird er Leiter des Volksgerichts München I. Bereits im Prozess gegen Eisners Mörder Anton Graf Arco-Valley 1920 fällt er ein sehr mildes Urteil. Am 14. Mai 1920 legt er den Eid auf die Verfassung Bayerns und die Weimarer Reichsverfassung ab. Als Stellvertretender Direktor beim Landgericht München I leitet Neithardt vom 26. Februar bis 1. April 1924 den Hitler-Prozess. Von 1933 bis 1937 ist er Präsident des Oberlandesgerichts München, am 1. Mai 1937 geht er in Ruhestand. Neithardt stirbt am 1. November 1941 in Rottach-Egern.

Dr. Ludwig Stenglein, der Staatsanwalt

Geboren am 27. Dezember 1869 in Regensburg. 1898 tritt er in den bayerischen Justizdienst ein und macht nach dem Hitler-Prozess Karriere: 1926 wird Stenglein Landgerichtspräsident in Bamberg, 1928 Landgerichtspräsident beim Landgericht II und 1933 Senatspräsident am bayerischen Obersten Landesgericht. Am 1. Januar 1934 wird Stenglein pensioniert. Er stirbt am 12. November 1936 in Köln.

Dr. Hans Ehard, Staatsanwalt

Hans Ehard mit seiner Frau Sieglinde 1960

Geboren am 10. November 1887 in Bamberg. Ehard ist beim Hitler-Prozess Untersuchungsführer und Staatsanwalt. Zur Zeit des "Dritten Reiches" arbeitet er als Präsident eines Zivilsenats am Oberlandesgericht München. 1945 ist Ehard bayerischer Justiz-Staatssekretär, von 1946 bis 1954 und 1960 bis 1962 bayerischer Ministerpräsident. 1962 wird er bayerischer Justizminister und bleibt dies bis 1966. Ehard stirbt am 18. Oktober 1980 in München.

Dr. Lorenz Roder, Hitlers Verteidiger

Geboren 1881. Roder arbeitet als Rechtsanwalt in München. Im Hitler-Prozess verteidigt er Hitler, Pöhner und Frick. 1938 wird Roder zum Justizrat ernannt. Im Entnazifizierungsverfahren wird er 1948 als Minderbelasteter eingestuft. Roder stirbt 1958.

Dr. Wilhelm Hoegner, Jurist

Dr. Wilhelm Hoegner

Geboren am 23. September 1887 in München. Der als Staatsanwalt tätige Jurist Hoegner tritt 1919 der SPD bei und vertritt seine Partei von 1924 bis 1933 im Bayerischen Landtag. 1928 veröffentlicht er anonym eine Schrift über die Hintergründe des Putsches mit Auszügen aus den Prozessakten. 1930 wird Hoegner außerdem Reichstagsabgeordneter. Nach 1933 emigriert er. Von 1945 bis 1946 und von 1954 bis 1957 ist Hoegner Bayerischer Ministerpräsident. Bis 1970 bleibt er Mitglied des Bayerischen Landtags. Hoegner stirbt am 5. März 1980 in München.

Desaster bei der Wahl

Der Prozess wird zum Propaganda-Fest der Rechten - und die anschließende Landtagswahl am 6. April 1924 zum Desaster für die republikanischen Kräfte: Die großen Verlierer sind die SPD und die katholische Bayerische Volkspartei (die allerdings noch stärkste Fraktion bleibt). Gewinner sind die nationalen Rechten, darunter mit mehr als 17 Prozent die Extremisten vom Völkischen Block. Der hat sich nach dem Verbot der NSDAP gegründet. Seine Anhänger bekennen sich offen zu Hitler und wollen das parlamentarische System "von innen zerstören".

Privilegierter Häftling Hitler

Die Haftzeit in Landsberg am Lech verlebt Adolf Hitler mehr als Pensionsgast denn als Strafgefangener. Unzensiert darf er Post verschicken, ungehindert zahlreiche Besucher empfangen. Die Zeit nutzt er, um eine erste Version von "Mein Kampf" zu verfassen. Hitler verlässt Landsberg schließlich 3 Jahre, 333 Tage, 21 Stunden und 50 Minuten vor Ablauf der Strafe – mit einer weit größeren Anhängerschar als je zuvor. Den Putsch 1923 hatte er verloren, den Prozess 1924 gewonnen.

Epilog: Der "Führer" wird zum Staatenlosen

Hitlers Ausweisung aus Deutschland scheiterte daran, dass auch Österreich den Agitator nicht im Lande haben wollte. Österreichs Behörden bestanden darauf, dass Hitler Deutscher sei, weil er der deutschen Reichswehr im Krieg gedient hatte. Hitler setzte dann selbst allen Ausweisungsversuchen ein Ende: 1925 bat er  - erfolgreich - um die Entlassung aus dem österreichischen Staatsverband. Die Abschiebung war damit passé. Hitler konnte sich auf seinen Plan B konzentrieren: die Eroberung der politischen Macht in Deutschland – nun auf (zumindest formal) legalem Wege.


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