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Vor dem Hitlerputsch Chaos in der "Ordnungszelle Bayern"

Published at: 17-1-2012 | Archiv

Eine Reichsbanknote über Fünf Billionen Mark vom November 1923 und andere Banknoten über 20 Milliarden Mark, 500 Milliarden Mark 1923 von der Deutschen Reichsbank ausgegeben | Bild: dpa / A. Engelhardt

Bayern im Herbst 1923: Die junge Republik ist in der vielleicht schwierigsten Krise seit dem Kriegsende. Das Geld ist wertlos. Die Wirtschaft zusammengebrochen. Bewaffnete Milizen bedrohen den Staat. Ein neuer Winter steht bevor, das heißt frieren, das heißt hungern. Und die Angst geht um: die Angst vor den Kommunisten, die vom Sowjetstaat träumen, und bereits Revolutionen in Bayern, Sachsen und Thüringen angezettelt hatten. Die Angst vor den Franzosen, die das Gebiet links des Rheins besetzt halten und ausbeuten. Am stärksten aber ist die Angst vor dem Chaos, in das die junge Republik zu stürzen droht, die Angst vor einem Bürgerkrieg.

Bewaffnete Verbände übten versteckt in bayerischen Wäldern den Umsturz.

In dieser Mischung aus Angst, Wut und Not entscheiden sich viele Bürger für das vermeintlich kleinere Übel: für die Anhänger der alten Monarchie, für die Befürworter eines autoritären Staats, gestützt auf des Kaisers alte Eliten und das Militär. Noch sitzen diese an vielen Schaltstellen in Behörden, Polizei und Offizierscorps. Eine der stärksten Bastionen der Rechten ist Bayern. Hier halten sich viele der bewaffneten nationalen Verbände auf. Einer ihrer Führer hat sich als besonders gerissener und skrupelloser Agitator hervorgetan: Adolf Hitler. Sein Vorbild: Mussolini und dessen "Marsch auf Rom". Sein Ziel: die Diktatur. Dass er seinen Umsturz, seinen "Marsch auf Berlin", von Bayern aus plant, hat seine Gründe.

Rechte Justiz und Paramilitärs

Die radikale linke Revolution von 1918/19 hat große Teile der Bevölkerung geschockt und in die Arme der Republik-Gegner geführt. Seit 1920 regieren konservative und nationale Parteien das Land. Paramilitärische Verbände, die damals die Revolution niederschlugen, trainieren in bayerischen Wäldern heimlich für den Kampf: junge Männer, ohne Zukunft aus dem Krieg heimgekehrt, bereit, für die Ziele der Rechten zu kämpfen, manche sogar bereit zu morden.

Der deutschnationale Justizminister und seine Leute schauen bei politischen Verbrechen von Rechts weg - und sind gleichzeitig brutal im Umgang mit allen, die politisch links stehen. Was die Rechte als "Ordnungszelle Bayern" verkauft, ist tatsächlich ein zutiefst parteiisches Justizsystem.

Umsturz-Gerüchte erschüttern das Vertrauen

Nazis gab es auch außerhalb Bayerns: Brigade der SA 1923 in Braunschweig

Auch der vermeintlich zu nachgiebige Kurs des Reiches gegen Frankreich, das auch die bayerische Pfalz besetzt hält, verbittert die Menschen; Separatisten kämpfen mit Frankreichs Hilfe für die Abspaltung, besetzen Regierungsgebäude. Es kursieren Gerüchte über bevorstehende Umsturzversuche. Im Spätsommer 1923 spitzt sich die Lage immer mehr zu.

In dieser Situation erklärt Bayern den Ausnahmezustand; die Regierung beruft Gustav Ritter von Kahr als Generalstaatskommissar. Der agiert neben dem Ministerrat und kann als eine Art kontrollierter Diktator unabhängig vom Parlament handeln. Er ist nun der mächtigste Mann in Bayern, Mitglied der im Parlament stärksten Kraft, der Bayerischen Volkspartei. Nach dem Kapp-Putsch 1920 war er für gut ein Jahr Ministerpräsident gewesen. Er hat erstklassige Kontakte zu den bewaffneten rechten Gruppen - und zu den Anhängern der Wittelsbacher-Monarchie.

Pläne für eine Militärdiktatur

Ausgabe des Völkischen Beobachters aus dem Jahr 1933

Kahrs Ernennung fällt zeitlich zusammen mit linken Umsturzversuchen in Sachsen und Thüringen. Die Reichsregierung verhängt den militärischen Ausnahmezustand über ganz Deutschland. Kahr macht im Gegenzug den bayerischen Reichswehr-Kommandanten Otto von Lossow zum Landeskommandanten: der Versuch, die bayerischen Divisionen unter Kontrolle zu bekommen. Tatsächlich verweigert Lossow Befehle aus Berlin (etwa, das Verbot der Nazi-Zeitung "Völkischer Beobachter" durchzusetzen). Gleichzeitig hat Kahr Kontakt zu Generalen in der Reichshauptsstadt, die ein Militärregime etablieren wollten.

Doch Anfang November beschwört Kahr die bewaffneten "Nationalen Verbände", nicht eigenständig vorzugehen. Hitler sieht seine Felle davonschwimmen. Fällt der Umsturz aus? Oder findet er gar ohne ihn statt? Er beschließt, das Gesetz des Handelns in die Hand zu nehmen. Als Kahr, einige Minister und hohe Beamte am Abend des 8. Novembers, dem Jahrestag der Revolution, eine Versammlung im Bürgerbräukeller abhalten, sieht der Möchtegern-Mussolini seine Stunde gekommen.


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