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Die Idee Was steckt hinter der Initiative "Choosing Wisely"?

Medizinisch unnötige Behandlungen sollen dadurch vermieden werden – zum Wohl des Patienten und der Gesundheitsversorgung.

Von: Uli Hesse

Stand: 25.02.2020

An einer Tür einer Hausarztpraxis ist der Schriftzug «Sprechzimmer 1» zu lesen. | Bild: dpa-Bildfunk/Benjamin Ulmer

Ungewöhnlich an dieser Initiative ist, dass sie von der Ärzteschaft ausging, die sich gegen eine Überversorgung aussprechen, obwohl sie bei privaten Leistungen davon sogar profitieren. Der Grund: Überflüssige Behandlungen können Patienten schaden, belasten das Gesundheitssystem mit zusätzlichen Kosten, untergraben das Vertrauen der Patienten und verstärken den Ärztemangel.

"Es ist revolutionär, dass Dienstleister – Ärzte – sagen, wir machen zu viel."

Prof. Dr. David Klemperer

Viele Ärzte wie Patienten unterstützen daher die Initiative – solange sie dadurch nicht in ihrer Wahl eingeschränkt werden oder starke finanzielle Einbußen hinnehmen müssen. Allerdings gibt es in manchen Bereichen auch eine deutliche Unterversorgung.

Mehr ist nicht immer besser

Überversorgung bedeutet zum Beispiel, dass:

  • zu viele Medikamente verschrieben werden
  • Ärzte sogenannte Individuelle Gesundheitsleistungen (IGe-Leistungen) empfehlen, die zumeist allein dem Einkommen der Ärzte nützen aber nicht dem Patienten
  • unnötige Diagnoseverfahren eingesetzt werden
  • operiert wird, obwohl es unnötig ist.

Patientenwohl im Mittelpunkt

"Choosing Wisely" will medizinisch unnötige Behandlungen und Diagnoseverfahren vermeiden, ohne Patienten bestimmte Leistungen zu verweigern, die nachgewiesenermaßen heilen und nützen.

Dadurch soll zum einen die Gesundheitsversorgung verbessert werden, indem nur noch Leistungen finanziert werden, die es wert sind. Zum anderen sollen Patienten vor überflüssigen Behandlungsrisiken, Operationen und schweren Sorgen geschützt werden.

Ärzteinteressen

Amerikanische Fachgesellschaften haben ihre jeweiligen "Top Five" an häufigen überflüssigen Maßnahmen zusammengestellt. Allerdings fällt auf, dass sie keine wirklich lukrativen Diagnose- und Behandlungsformen einsparen wollen; und dass nicht alle Vorschläge evidenzbasiert sind, also wissenschaftlich mit Studien abgesichert sind.

"Bis heute werden die Themen, die der Ärzteschaft wirklich weh tun würden, eher nicht angesprochen."

Prof. Dr. David Klemperer

Deutsche Ärzteinitiativen haben daher diese Listen weiterentwickelt – allerdings mit Einschränkung. Denn auch sie bevorzugen Einsparungen, die ihnen keine finanziellen Nachteile bringen. Kardiologen wollen beispielsweise nicht auf überflüssige Stents bei stabilen koronaren Herzkrankheiten verzichten und Gynäkologen wollen weiterhin die IGe-Leistung Früherkennung von Eierstockkrebs anbieten.

Unterversorgung

Trotz der vielen überflüssigen Behandlungsangebote gibt es auch Bereiche, in denen nicht genügend diagnostiziert und behandelt wird. Ein Beispiel sind psychosomatische Behandlungsformen bei länger anhaltenden Kreuzschmerzen.

Ein weiteres Beispiel für Unterversorgung ist die kognitive Verhaltenstherapie bei leichten Depressionen, die besser als Antidepressiva wirkt.

Patienten mit stabiler koronarer Herzkrankheit erhalten manchmal nicht die optimale Medikation, um ihr Leben zu verlängern und die Symptome zu mildern. Denn ein Stent lindert zwar die Symptome, aber verlängert nicht das Überleben. Und viele Patienten mit Stent erhalten nicht alle Medikamente, die zur Lebensverlängerung notwendig sind.


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