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Meinung Der neue Beatles-Song zeigt, dass KI nur eine Verkaufsmasche ist

Der neue Beatles-Song „Now And Then” suhlt sich in Marketing-Superlativen: Unser letztes Lied! Überwindet den Tod! Mit KI! Der Song ist rührend. Aber auch das jüngste Beispiel, wie KI als Verkaufsmasche herhält. Ein Kommentar.

Von: Paula Lochte

Stand: 10.11.2023

Paul McCartney (l-r), Ringo Starr, John Lennon und George Harrison von den Beatles (Aufnahme von 1967) | Bild: dpa-Bildfunk

„One, two, three.“ Noch einmal innehalten, bevor es losgeht. Klavier, Gitarren. Und dann ist da tatsächlich seine Stimme. Spätestens bei „I miss you“ ist es um mich geschehen. Denn wie könnte man ihn nicht vermissen: John Lennon. 

Der Song berührt etwas in mir. Dabei wollte ich „Now And Then“ eigentlich schlecht oder zumindest egal finden, weil mir die Marketing-Superlative so auf den Geist gehen, mit denen er angepriesen wird. „The Last Beatles Song“ – dieser Endgültigkeits-Superlativ prangt unter dem Songtitel. Er bewirbt das Musikvideo zum Song. Ebenso den Kurzfilm zum Song. Fehlt nur noch der Kinofilm zum Song. 

Die Verkaufsmaschinerie ankurbeln kurz vor Weihnachten 

„Der letzte Beatles-Song“ – treffender wäre eigentlich der letzte John-Lennon-Song. Geschrieben hat ihn Lennon nämlich Ende der 1970er, als sich die Beatles bereits aufgelöst hatten. Aber selbst, wenn man darüber wohlwollend hinwegsieht, bleibt ein mulmiges Gefühl. Dieses: „Nur noch heute, nicht verpassen, letzte Chance: kaufen, kaufen, KAUFEN!“ Tatsächlich kletterte der Song auf den ersten Platz der deutschen Singlecharts und wurde mit der umsatzstärksten Woche einer internationalen Single seit langem belohnt.

Und wenn das Käuferherz schon höherschlägt, warum nicht auch gleich das blaue und das rote Album der Beatles mit in den Einkaufswagen packen? Die sind am Freitag nämlich in neuer Edition, erweitert und „im neuen Stereo-Mix“ in verschiedensten Auflagen erschienen. Kosten? Bis zu 190 Euro. Da fallen das passende T-Shirt und die Tragetasche doch preislich schon gar nicht mehr ins Gewicht. Wie praktisch, ist ja auch bald Weihnachten.  

„Now And Then“ klingt wie ein Videocall mit John Lennon 

Paul McCartney weiß also sehr genau, was er tut, als er im Sommer in einem Interview den „letzten“ Song der Beatles ankündigt, dazu noch garniert mit dem Buzzword Künstliche Intelligenz: „Durch KI konnten wir Johns Stimme aus der alten Demo-Aufnahme extrahieren“, schwärmt er. Ringo Starr geht später sogar noch weiter und sagt: „Fast, als wäre John Lennon wieder mit uns im Raum.“ 

Yoko Ono übergab die Demo-Kassette von John Lennon mit „Now And Then“ 1994 an die anderen Beatles

Den Tod überwinden – das ist die menschliche Sehnsucht schlechthin. Auch deshalb versetzt die Neuer-Song-dank-KI-Nachricht so viele in Aufregung. John Lennon, der für viele ja ohnehin wie ein moderner Wiedergänger von Jesus war, kommt durch diesen Song zurück zu den Beatles – und damit zu uns. Das zumindest ist das Versprechen.  

Das Ergebnis aber ist in Wahrheit viel unspektakulärer: „Now And Then“ klingt nicht, als stünde John Lennon mit uns in einem Raum. Eher wie ein Videocall aus dem Jenseits. Seine Stimme wirkt etwas gepresst, blechern. Aber das ist auch gut so: Wer sehnt sich schon nach einen KI-Stimm-Klon wie im neuen Pumuckl-Film oder beim Enkeltrick 2.0, bei dem Betrüger mittels KI die Stimme eines Angehörigen simulieren? 

Wie viel KI steckt im neuen Beatles-Song?  

Eine Veröffentlichung voller Superlative: "Now And Then" – der letzte Song!

Und wegen des KI-Hypes stellen sich jetzt viele die Frage: Wie viel Künstliche Intelligenz steckt im neuen Beatles-Song? Was KI im Beatles-Song aber leistet, ist nicht wirklich spektakulär. Wir hätten es früher schlicht „Filter“ genannt: Eine Software hat John Lennons Stimme, wie sie auf einem alten Demo-Tape überliefert ist, vom Klavier entkoppelt. Die Software wurde für den 2021 erschienenen Beatles-Film „Get Back“ entwickelt, um aus alten verrauschten Aufnahmen doch noch etwas rauszuholen. Also einzelne Stimmen und Instrumente herauszufiltern.  

Das ist cool. Aber wieso das ganze Brimborium? Ja, die Software lernt dazu. Der Grund, warum das Ganze als Sensation verkauft wird, ist aber vor allem: um mehr zu verkaufen. Künstliche Intelligenz ist aktuell das, was barbusige Frauen in der BILD-Zeitung mal waren: Kaufanreiz. Ein bisschen KI hier, ein bisschen Nacktheit dort – schon wirkt, egal was, irgendwie sexy, moderner, aufregender. Sogar die katholische Kirche versucht sich jetzt an KI-geschriebenen Predigten, um die angestaubte Institution wieder ein bisschen mehr glänzen zu lassen.  

Die Pop-Apostel machen es nicht anders. Dabei hat „Now And Then“ in seiner emotionalen und musikalischen Nostalgie etwas Rührendes, zu dem man einfach stehen könnte. Ich glaube, auch ohne KI-Werbetrommel hätte sich der Song in unseren Ohren eingenistet. In meinen darf er jedenfalls gerne bleiben.