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Bikini Kill und Le Tigre Warum wir weiterhin Rebel Girls wie Kathleen Hanna brauchen

Wenn es eine Ikone der jüngeren Popgeschichte gab, auf die sich alle einigen konnten, dann war das Kathleen Hanna. Nun hat die Frontfrau von Bikini Kill und Le Tigre ihre Autobiografie veröffentlicht: „Rebel Girl“ erzählt neben den musikalischen Stationen von einer Jugend voll männlicher Gewalt. Das Buch ist schmerzvoll, warmherzig und witzig zugleich.

Von: Julia Fritzsche

Stand: 08.07.2024

Kathleen Hannah: Rebel Girl - My Life as a Feminist Punk (Cover) | Bild: Harper Collins / Montage: BR

Eine Szene reicht, um zu erzählen, warum es zu Songs wie „Rebel Girl“ kam: „Mein Vater hatte einen Lautsprecher unter der Motorhaube seines Vans, so dass er Frauen beim Vorbeifahren zurufen konnte: ‚Hey, du siehst gut aus, geiler Arsch!‘“ Es sind die 70er Jahre im Nordwesten der USA. Kathleen Hannas Vater ist alkoholkrank, trägt eine Waffe und ist gewalttätig.

Eines Abends spuckt Hanna ihm aus Wut das Abendessen ins Gesicht. Sie schreibt: „Ich war sicher, dass er mich umbringen würde, aber es war mir egal. Ihn mit zerkautem Essen im Gesicht gesehen zu haben war es wert. Mein erstes Performancewerk war ein echter Erfolg.“

Schmerzvoll, warmherzig und witzig zugleich

Kathleen Hanna und Bikini Kill spielen im August in Berlin

Hanna hat eine Musikerinnen-Biografie geschrieben, aber sie sagt: „Ich kann das alles nicht vom Hintergrund trennen – und der ist männliche Gewalt.“ Oft stockt einem beim Lesen von „Rebel Girl“ der Atem. Auch weil Hanna trotz all der Gewalt mit warmherziger Klugheit schreibt: „Ein Mann in Therapie war damals so wahrscheinlich wie eine Frau auf dem Mond.“ Und weil Hanna Witz hat: „Das einzige Mal im Jahr, wo mein Vater ein gigantisches Fass voll shitty Chilli machte, sprach er so lang darüber, als hätte er die Welt vom Atomkrieg befreit.“ Hanna schreibt umwerfend: Jedes Ereignis ein kurzes Kapitel von zwei, drei Seiten. Das Buch, ein Page Turner!

Frühe Leidenschaft für Musik und feministische Kunst

Hanna fängt als Jugendliche an zu trinken und dealt, unter anderem, um Geld für eine Abtreibung zu bekommen. Mit der Mutter ist es wie so oft: Sie trennt sich nicht, weil der Vater ihr sonst die beiden Töchter wegnimmt. Doch Hannas Mutter macht etwas anderes: Sie unterstützt ihre Tochter in einer frühen Leidenschaft: Sie fährt sie zum Gesangsunterricht, ins Schulmusical, zu Theaterwochenenden.

Feministische Kunst

Am College in Olympia kommt Hanna dann mit feministischer Kunst in Kontakt. Sie wird beeinflusst von der Fotografin Cindy Sherman, sie liest bell hooks, Angela Davis und Carol Gilligan. Hanna macht erste Fotos, Drucke, Fashionshows, Fanzines, Texte und gründet mit anderen Frauen eine Gallery: „Es war Wahnsinn, uns gegenseitig unsere Arbeiten zu zeigen und Kritik und Ermutigung zu bekommen“, schreibt sie.

Für die Studiengebühren arbeitet Hanna in einem Stripclub. Und in einem Frauenhaus. Manche der Frauen dort müssen sie, damit sie von ihrem Partner nicht gefunden werden, in Hütten im Wald verstecken. „Für sie war die Apokalypse der Alltag“, so Hanna.

Warum „Rebel Girl“ vom echten Leben erzählt

Hannah berät Frauen, die Ähnliches erleben wie sie. Und sie schreibt alles auf, was in ihr hochkommt. Als ein Typ im Café sie beim Schreiben sieht, lädt er sie auf eine „Spoken Work“-Bühne ein. „Feministische Inhalte führten dazu, dass sich das Publikum unwohl fühlte, aber das war mir egal. Ich betrat nun Räume wie eine Kämpferin, nicht wie ein Opfer.“

Kathleen Hanna, 1968 geboren, gilt als Symbolfigur der Riot-Grrrl-Bewegung

Hannas Emanzipationsgeschichte ist nicht linear – und deswegen so gut. Hanna gibt zum Beispiel zu, dass sie zu Punk kam, weil ein Freund – ebenfalls gewalttätig – von Rock auf Punk wechselte. Sich von Typen und deren Geschmack abhängig machen – wie viele weiblich sozialisierte Menschen kennen das! Hanna schreibt so ehrlich, dass es wehtut.

Doch mehr als es wehtut, empowert es. Hanna lernt feministischen Punk kennen. Die Künstlerin Kathy Acker sagt ihr, sie solle ein Band gründen, denn bei Spoken Word würden die Leute immer zum Rauchen rausgehen. Hanna lernt Tobi Vail kennen. Die hört Yoko Ono, Slits, Pandoras, Go-Between und Raincoats.

Bikini Kill

„‚Kannst du ein Instrument spielen?‘- ‚Nein‘ – ‚Willst Du in meine Band?‘ - ‚Ja‘“: 1990 gründen Hanna, Vail und eine weitere Freundin, Kathi Wilcox, Bikini Kill. Auf Konzerten spricht Hanna zwischen den Songs über Feminismus und Gewalt gegen Frauen. Viele Männer rufen „Halt‘s Maul“, doch viele Frauen kommen und sagen „Du verstehst uns“ oder „Ich habe eine Gruppenvergewaltigung durch das Footballteam erlebt“. Manchmal spricht sie nach Konzerten noch stundenlang mit den Frauen. „Ich merkte, dass es wirklich machtvoll ist, Frauen an Orten zu beraten, wo sie ohnehin abhingen, anstatt in Krisenzentren.“

Wie Kathleen Hanna zum Riot Grrrl wird

Und so kommt es. Bikini Kill prägt die Riot-Grrrl-Bewegung der 90er. In der feministische Punkszene verwirklichen sich Frauen nicht nur, sie diskutieren über Sexismus und weiße Privilegien in der Szene. Sie prägen damals feministische Slogans, die bis heute gelten. Immer wieder ruft Hanna auf Konzerten die Frauen im Publikum nach vorne: „All girls to the front!“  Sie werden dafür Männerhasser genannt und umgekehrte Sexisten. „Aber das störte uns nicht, denn es gab immer fünf oder sechs Girls, die nach vorne kamen, und wir spielten für sie.“ 

1997 löst sich Bikini Kill auf. Und Hanna macht unmittelbar weiter, mit Le Tigre, Electropunk und weiteren queerfeministischen Interventionen ins Popbusiness. „Klamme Rockclubs wurden zu hellen Partys, wo Girls und Gays und Außenseiter*innen in einem Meer aus Freiheit und Freude tanzten. Kunstgalerien, die bis dahin nur weiße männliche Mittelmäßigkeit ausgestellt hatten, wurden Orte für aufregende feministische Gemeinschaftsarbeiten“, erzählt Kathleen Hanna.

Unendlich verletzlich

Seit 2019 sind „Bikini Kill“ wieder auf Tour. Doch Hanna hadert weiter mit dem Leben und den politischen Umständen: „Eine Frau in der Öffentlichkeit zu sein ist voll von männlicher Gewalt.“ So stirbt in Deutschland jeden dritten Tag eine Frau, getötet durch Partner- oder Ex-Partner. Und in den USA könnte bald erneut ein Mann Präsident werden, der ungestraft erzählt, wie er Frauen „an die Pussy fasst“.

Hanna zeigt sich in ihrem Buch unendlich verletzlich. Doch das sind wir alle.