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Podcast „arm&trotzdem“ „Es ist sehr anstrengend, Armut zu verbergen“

Armut ist ein Tabuthema. In den Köpfen der Mittelschicht findet Armut anderswo statt, weit weg. Dabei ist auch in Deutschland jeder sechste Mensch davon betroffen. Der Podcast "arm&trotzdem" möchte das Schweigen brechen und davon erzählen, was eine Kindheit bedeutet, in der auf jeden Stift gespart werden muss.

Von: Oliver Buschek

Stand: 18.10.2023

Stefanie Kim und Falk Schacht, Podcast-Hosts von "arm&trotzdem" | Bild: N-JOY/Benjamin Hüllenkremer

In Deutschland leben 14,1 Millionen Menschen in Armut oder sind davon bedroht. Das ist jeder sechste. Was es bedeutet, in einer armen Familie aufzuwachsen, darüber sprechen Falk Schacht und Steffi Kim mit Gästen wie Moderatorin Janin Ullmann und Politikerin Sarah-Lee Heinrich. Kim und Schacht wissen wovon sie reden, sie haben es selbst erlebt.

Zündfunk: Wie ist es zu Eurem Podcast „arm&trotzdem“ gekommen?

Steffi Kim: Jedem ist dieses Thema unangenehm. Aber wenn jeder sechste in Deutschland von Armut betroffen ist, dann wird es vielleicht ja mal Zeit, dass wir dieses Thema aufmachen und einen Raum schaffen, wo wir unterschiedliche Perspektiven darstellen. Weil wir selbst erlebt haben, dass es wahnsinnig viele Vorurteile gegenüber Armut gibt.

Falk und Du, Ihr kanntet euch schon lange, habt aber lange Zeit gar nicht gewusst, dass der jeweils andere auch in Armut aufgewachsen ist - man spricht da nicht so gerne drüber.

Wir sind quasi die lebenden Beispiele dafür: Falk und ich kennen uns seit über 20 Jahren, er ist wie ein Bruder für mich. Um dann nach 17 Jahren festzustellen, wir haben vielleicht noch eine andere Gemeinsamkeit außer, dass wir in der Medienbranche arbeiten und Hip-Hop mögen: Wir sind beide in Armut aufgewachsen. Das war für uns ein ganz krasser Durchbruch. Und dann haben wir die Puzzleteile zusammengeschoben und festgestellt, hey, wenn wir zwei, die so gut miteinander befreundet sind, trotzdem noch Hemmungen haben, darüber zu sprechen - wie geht es denn dann anderen? Und was können wir dagegen tun? Und so kam dann auch dieser Podcast zustande.

Woran hast Du als Kind gemerkt, dass Ihr arm seid?

Ich glaube, ich habe das gar nicht wirklich verstanden. Denn Begriffe wie Sozialwohnung oder, dass Eltern eigentlich für ein Kind da sind, das kannte ich ja nicht. Erst später im Kindergarten, dachte ich, oh krass, es gibt Eltern, die bringen ihre Kids zum Kindergarten und holen die auch vom Kindergarten ab. Also, die haben die Zeit, um das zu machen. Erst später habe ich verstanden, es ist nicht zwingend normal, dass Klamotten Löcher haben. Oder auch: Ich hatte sehr verfaulte Zähne, die Vorderzähne waren schwarz. Da gibt es auch ein sehr unschickes Kindergarten-Porträt von. Das habe ich damals mit einer wirklich naiven Unbekümmertheit als normal empfunden. Aber je älter ich wurde, desto mehr habe ich verstanden, dass das nicht normal ist.

War Armut etwas, das du verstecken musstest?

Das ist ein roter Faden von Menschen, die von Armut betroffen sind. Man wird zu einem unglaublich guten Schauspieler oder einer unglaublich guten Schauspielerin, denn es ist schon sehr anstrengend, Armut zu verbergen. Gerade im Schulkontext, wo es dann schon mit den Marken anfängt, wo es darum geht, das schönere Heft oder unterschiedliche Stifte zu haben. Es sind wirklich Banalitäten. Wenn man in der Mittelschicht aufwächst, übersieht man das sehr leicht, glaube ich. Aber wenn man für jeden Stift wirklich sparen muss, das sind einfach so Parameter, wo man merkt, mein Leben ist anders als das Leben von anderen Mitschülern.

Ihr habt für den Podcast mit vielen anderen gesprochen, die eben auch die Erfahrung von Armut gemacht haben. Gab es da viele Gemeinsamkeiten?

Unternehmerin und Influencerin Hatice Schmidt

Wir haben erschreckend viele Parallelen festgestellt. Und das war zum einen natürlich sehr traurig und zum anderen aber auch sehr erleichternd, weil es einem so die Scham nimmt, weil man weiß, man ist nicht allein. Das macht schon was mit einem, also auch ich als gestandene Erwachsene und Mutter einer Teenie-Tochter. Es gab Momente, die haben mich ganz schön umgehauen. Also insbesondere die Folge mit Hatice. Das ist einfach heftig.

Hatice Schmidt ist Beauty-Influencerin und Unternehmerin, heute 37 Jahre alt. Sie erzählt, dass sie, nachdem sie von der Familie ihrer Freundin Sabine mit zum Italiener genommen wurde, dass sie dafür Schläge von ihrer Mutter bekommen hat. Essengehen war eine nicht zu duldende Verschwendung. Armut erzeugt einen enormen Druck.

Absolut, und zwar in jeglichen Lebensbereichen, die in Statistiken halt eben nicht aufgefangen werden können. Und diese Lebensgeschichten zwischen den Zahlen in der Statistik, die werden zu wenig erzählt. Es arbeiten in den Medien kaum Menschen, die Armut durchlebt haben. Deswegen ist es meistens schwierig, dieses Thema überhaupt anzufassen und dafür ein tieferes Verständnis zu entwickeln. Es war das schönste Kompliment von unseren Gästen, dass sie gesagt haben, mit euch konnten wir ganz anders darüber sprechen. Weil Falk und ich ähnliche Dinge durchlebt haben, sind wir nicht ins Klischee abgerutscht.

Auf einer allgemeinen Ebene wird in der Öffentlichkeit ja sehr viel über Armut gesprochen. Aber wird auch genug dagegen getan?

Da widerspreche ich Dir vorsichtig. Ich finde, in den Medien wird heute nicht viel darüber gesprochen. Und es wird meines Erachtens nicht genug gegen getan. Ich dazu würde gerne zwei Zahlen gegenüberstellen: Keinem anderen Land in der EU geht es laut Bruttoinlandsprodukt besser als Deutschland. Wenn man sich jetzt aber die Zahl anschaut, auf welchem Platz steht denn Deutschland, wenn es darum geht, soziale Ausgrenzung, Personen, die von Armut bedroht sind, da wird man natürlich denken, hey, das ist ja in Deutschland relativ unwahrscheinlich. Laut der Statistik der EU sind wir jedoch auf Platz 20. Das heißt, wir sind hochbedroht von Armut. Und diese Diskrepanz der Zahlen, dass in einem so reichen Land jedes fünfte Kind von Armut betroffen ist oder sein kann, zeigt das definitiv nicht genug dagegen getan wird.

Den Podcast „arm&trotzdem“ gibt es in der ARD Audiothek.