Bayern 2 - Zeit für Bayern


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Bayern genießen Steine - Bayern genießen im März

Zwischen den bayerischen Stämmen gibt’s nicht wenig Möglichkeiten zu Missverständnis. Das liegt zuallererst an den Fragen der Verständigung mittels des jeweiligen Dialekts.

Von: Gerald Huber

Stand: 29.02.2024 | Archiv

Nichts ist in Stein gemeißelt, weil selbst Steine erweichen können und schließlich steter Tropfen jeden Stein höhlt. Alte Weisheiten haben immer recht. Wir haben das bei Bayern genießen, wie Sie wissen, schon häufig unter Beweis gestellt. Weils nix gibt, was es nicht gibt; und nicht selten genau das Gegenteil dessen, was einem auf Anhieb dazu einfällt, das Interessante an einem Thema sein kann. Selbst wenns auf den ersten Blick so genussfeindlich daherkommen mag, wie das heutiges Motto. Wir werden Ihnen wieder demonstrieren, wie weich wir Ihnen die Steine klopfen können.

Unsere Genuss-Themen aus den bayerischen Regionen rund ums Motto „Stein(e)“

Oberbayern: Steif: Traditionsrezept Gstöckelte Milch in Oberbayern. Von Sarah Khosh-Amoz
Niederbayern: Steigend: Der wachsende Fels im niederbayerischen Usterling. Von Birgit Fürst
Oberpfalz: Starr: Der Sterz in der Oberpfalz. Von Uli Scherr
Mittelfranken: Still: Wanderung zur Steinernen Stadt im Nürnberger Land. Von Sabine Göb
Oberfranken: Ständig: Die Märbelmühle im Coburger Naturkundemuseum. Von Susanne Roßbach
Unterfranken: Stark: Der Warzenstein bei Untereschenbach in Mainfranken. Von Valentin Beige
Schwaben: Strahlend: Sterne im Christentum. Von Barbara Leinfelder


Still: Wanderung zur Steinernen Stadt im Nürnberger Land

Passens auf – Scht-! Gell, da hams jetzt gschaut. Wenn einer scht- macht, dann hält jeder ein, steht alles still. Scht-!ist die ultimative Aufforderung zur Stille und zum Stehenbleiben. Und es ist alles andere als ein Zufall, dass diese letzten beiden Wörter Stille und Stehenbleiben tatsächlich mit scht-! anfangen. Genauso wie der Stein, der steht, wie er fällt. Still, unbeweglich, starr, steif bleibt er liegen. Die Geschichte der uralten, aus der, ja genau, Steinzeit stammenden Wortwurzel st- ist ungeheuer spannend, weil ungeheuer vielfältig. Dazu gehört der Stern, im Gegensatz zu Planeten und anderen Himmelskörpern unbeweglich, ein Fixstern eben; der starke, sture, unbesiegbare Stier; und letztlich auch das Sterben. Wer gestorben ist, wird über kurz oder lang auch gstarrat, starr, fest. In fast allen europäischen Sprachen findet sich dieses feste scht- oder st-. Griechisch stereos heißt fest, steif, räumlich – unser Wort für Raumklang – Stereophonie kommt daher. Und wir denken gleich auch an unsern Ster Holz, den Festmeter oder Raummeter. Lateinisch stare heißt stehen; davon stammen zahlreichen Wörter und Fremdwörter im Deutschen vom Stau bis zur Stadt. Überall signalisiert das scht-! was Festes, Starkes, Stehendes, Bestehendes. Die Stadt hat ihren Namen daher, dass sie eine feste Stätte ist – im Gegensatz zum Lager umherziehender Nomaden. Die Stadt ist der Punkt, an dem der Mensch sesshaft wird und seine Kultur gegen die Natur stellt. So gesehen hat die Stadt mit dem Stein in ihren tiefsten Wurzeln miteinander zu tun. Die allerersten Städte waren aus Stein und nie wird es eine Stadt ohne Stein geben. Doch es gibt eine Steinerne Stadt mitten in der Natur, eine natürliche Stadt. Im Grenzgebiet zwischen Oberfranken und der Oberpfalz. Vom Bahnhof Neuhaus an der Pegnitz kann man sich auf den Weg machen zu der Stadt aus Felsenstein in der Fränkischen Schweiz.

Stark: Der Warzenstein bei Untereschenbach in Mainfranken

Es ist wirklich seltsam: Scht-! und Aaahh! gehören zusammen. Bei scht! wird es still; stad, wie wir in Bayern oft sagen. Von lateinisch stare=stehen. Wenn alles statisch stillsteht, tritt tatsächlich Stille ein. Und: Wer nichts mehr hört, sieht vielleicht umso mehr. Und dann Aaah! steht er, ja tatsächlich, stumm und staunend vor den Wundern der Natur. Steine sind die allerersten Wohnsitze der Götter. Die ältesten Kultsteine sind 15 - 17 000 Jahre alt. Es handelt sich um von Hand aufgestellte Steine, ähnlich den berühmten Hinkelsteinen, manchmal von Hand behauen. Heilige Steine haben sich gehalten durch alle Jahrtausende, sie kommen in jeder Religion und jeder Kultur vor. Bei den alten Griechen war es der dem Apollon geweihte steinerne Omphalos, der berühmte Nabel der Welt in Delphi. Die Kaaba in Mekka, ein seit Urzeiten verehrter schwarzer Meteorit steht heute noch im Zentrum der wichtigsten Wallfahrt im Islam. In Tibet sind es die uralten kultischen Steinhaufen auf den Gebirgspässen des Himalaya, die spielsüchtige Touristen mittlerweile überall, auch bei uns in den Alpen, aufbauen, wenn auch völlig sinnbefreit. Und wenn Sie sich erinnern: Als jüngst aus Prince Charles der englische König Karl III. wurde, saß er bei der Krönung auf seinem Thron mittelbar auch auf dem Stone of Scone. Dem uralten Krönungsstein der schottischen Könige. Und auch bei uns gibt es solche Steinwunder. Zum Beispiel den Georgenstein in der Isar bei Grünwald. Früher von den Isarflößern gefürchtet. Andererseits gibt’s auch heilige, weil heilende Steine. So ist das zum Beispiel bei den sogenannten Warzensteinen, die es an vielen Orten gibt, unter anderem in Hammelburg in Unterfranken.

Steigend: Der wachsende Fels im niederbayerischen Usterling

Das Staunen, das stumm und starr wie ein Stein Dastehen vor einem Wunder der Welt gehört zu den höchsten Genüssen, die uns das Leben bieten kann. Nach dem wunderbaren Stein, haben wir nun für Sie ein steinernes Wunder im Programm. Und da sieht man, wie eng Schönheit und Heilkräftigkeit miteinander verzahnt sind. Wunderbare Schönheit kann gar nicht anders als Wunder wirken. Und damit sind wir nun bei einem der schönsten Geotope Bayerns: Dem wachsenden Felsen von Usterling im Landkreis Dingolfing-Landau. Er ist mit 40 Metern Länge und weit über 5 Metern Höhe die größte Steinerne Rinne in Deutschland – und wächst täglich weiter.

Hier sehen Sie, wie Sie hinkommen und was es rundumadum noch zu bestaunen gibt.

Strahlend: Sterne im Christentum

Der still bestirnte Nachthimmel ist das vielleicht größte Wunder für die Menschen aller Zeiten und aller Kulturen. Längst bevor sie gewusst haben, dass der Mund und viele Planeten bloß riesige Steinbrocken am Himmel sind. Galten sie liehen als die wichtigsten Götter. Erst das Christentum hat mir den Göttern im Himmel radikal aufgeräumt. Die Sterne waren nun keine Götter mehr, sondern nur noch Teil von Gottes Schöpfung, die es zu erforschen galt. Die Naturwissenschaft war geboren. In den Konflikten, die die Kirche mit ihrer eigenen Tochter, der Naturwissenschaft, austrug, ging es vor allem um die Deutungshoheit über die Natur, die die Kirche mit niemand anderem teilen wollte. Doch schon bald zeigte sich, dass es auf jede Antwort der Naturwissenschaftler mindestens zwei neue Fragen gegeben hat, dass es aus der menschlichen Froschperspektive nie gelingen wird, über alle Horizonte zu blicken. Längst also hat sich die Kirche mit den Naturwissenschaften versöhnte, denn die Wunder der Schöpfung sind eher mehr geworden als weniger, eher größer als kleiner. Wenn Sie sich selbst überzeugen wollen – hier finden Sie Links zu den Volkssternwarten in München, Nürnberg, Würzburg, Neumarkt in der Oberpfalz und Ebermannstadt.

Ständig: Die Märbelmühle im Coburger Naturkundemuseum

Erst seit gut 4000 Jahren nutzt der Mensch Metalle. Vorher war Stein meist das einzige Mittel (Metall und Mittel teilen sich die gleiche Wortwurzel) zwischen Hand und Werkstück. Aber auch nach der Entdeckung des Metalls hatte der Stein lang noch nicht ausgedient. Genutzt wird er bis heute. Jahrhundertelang brauchte man ihn auch noch für Kriegszwecke. Auch wenn längst Kanonen die alten Steinschleudern abgelöst hatten. Kanonengeschosse mussten dafür nun kugelrund sein. Dafür gabs in wasserreichen Gebieten eigene Kugelmühlen, die Felsbrocken zu Kugeln schliffen. Und für Friedenszeiten Kinderspielzeug machten aus dem Marmor: Murmeln, Märbeln, eben Schusser. Allein in der Coburger Gegend gab es rund 70 solcher Mühlen. Die letzte von ihnen steht im Coburger Naturkundemuseum. Am Ausgang der Almbachklamm in Marktschellenberg im Berchtesgadener Land steht die letzte Kugelmühle an Ort und Stelle und für Touristen wird sie sogar noch in Betrieb genommen.

Starr: Der Sterz in der Oberpfalz

Steinhart: Der Stein ist Inbegriff des Festseins, des Starren und Spröden und Widerständigen, Unlebendigen. Nicht ganz zurecht. Schließlich geht alles organische Leben auf unorganische Materialien, letztlich Steine zurück. Wir könnten beispielsweis nicht leben ohne die Mineralien im Wasser, die letztlich nichts anderes als Gesteinsmehl sind. Und aus allen organischen Materialien kann letztlich wieder unorganischer Stein werden – sie versteinern. Jeder weiß: Der Braten, der im Ofen vergessen wird, kann sich bald in reine Kohle verwandeln. Das allerdings ist eine der größten Entdeckungen der Menschheit. Wenn man das Feuer nur wenige Minuten nutzt, dann schmeckt der Braten viel besser als roh. Und auch der Getreidebrei ändert seine Konsistenz und gewinnt an Qualität, wenn er in der Pfanne bei leichter Hitze fest wird. Auch dafür nutzten die Menschen schon früh die uralte Wortwurzel st-. Es entsteht ein Sterz. Ein Sterz konnte früher alles Mögliche sein. Die italienische Polenta ist etwa ein klassischer Maissterz. Bei uns sind die köstlichen Sterzgerichte leider fast vergessen. Zu Unrecht. Hier gibt’s das Rezept für einen Oberpfälzer Erdäpfelsterz von Traudl Myslakowski:

Rezept Sterz Format: PDF Größe: 225,17 KB

Steif: Traditionsrezept Gstöckelte Milch in Oberbayern

Sogar Milch kann versteinern, wenn man sie lang genug stehen lässt. Zuerst wird sie sauer, dann vielleicht eine Art Käs und immer härter, bis sie – theoretisch – nach Jahrtausenden komplett mineralisiert ist. Kulinarisch interessant aber sind auch hier die allerersten Anfänge dieses Prozesses. Dann nämlich, wenn die Milch stockt. Auch da ist das steinern-steife st- drin. Gstöckelte Milch ist nichts anderes als Dickmilch. In der traditionellen deutschen Bauernküche hatte Dickmilch früher vor allem im Sommer ihren festen Platz als erfrischende und preiswerte Basis für einfache Mahlzeiten. Auch die süddeutsche Herbstmilchsuppe mit Mehl und gebratenen Kartoffeln besteht hauptsächlich aus Dickmilch. Es muss aber nicht immer schlicht sein – Dickmilch eignet sich auch für feinere Gerichte. Michbäuerin Carola Haunz aus dem oberbayerischen Pörnbach macht daraus raffinierte Kaltschalen mit Früchten, pikante und süße Getränke oder Cremes und andere Desserts.


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