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Die Schlange Werden, Vergehen, Unendlichkeit: Der Uroboros

Stand: 06.09.2012 | Archiv

Rauhschuppen-Boa | Bild: picture-alliance/dpa

Im Kern ist der Mythos eine geschichtliche Erzählung. Er sagt, was war, was ist, was sein wird. Daher spielen Zeitvorstellungen und Aussagen über das Wesen der Zeit stets eine bedeutende Rolle. Im Unterschied zur "modernen" physikalischen Zeit verläuft die Zeit im Mythos jedoch nicht linear, sondern zyklisch: Sie gebiert und verschlingt sich in einem unterbrochenen Kreislauf kontinuierlich selbst. Der Ursprung dieses Zeitverständnisses ist der Natur entnommen: In der Abfolge von Keimen, Wachsen, Absterben und Sprießen oder den Phasen des Mondes sowie im Wechsel von Tag und Nacht oder im Kreis der Jahreszeiten gehorcht sie einem unveränderlichen, ewigen Muster zyklischer Regeneration. In diesem Muster enthüllt sich ein universelles Gesetz: Die Zeit vergeht nicht, sie kreist wie ein Ring, dessen Enden sich berühren, und erneuert sich so ständig aus sich selbst heraus: Natur und Zeit sind keine getrennten Sphären, sondern ein und dasselbe.

Zyklische Regeneration und Unsterblichkeit

Die Schlange ist ein Wesen, in dem sich das kosmische Urprinzip der zyklischen Zeit augenfällig manifestiert: Einmal in der Kreisform, die eine Schlange annimmt, wenn sie sich einringelt, vor allem aber im Vorgang der Häutung, der die stete Erneuerung repräsentiert. Den Ausschlag für diese Deutung gaben zwei Beobachtungen: Vor dem Abstoßen verliert die Haut der Schlange ihren Glanz, sie wird stumpf und die Augen trüben ein. Nach der Häutung ist das Schuppenkleid wieder frisch und hell, die Augen sind klar. Daher glaubte man, dass die Schlange mit ihrem Hemd zugleich das Alter abstreift, sich in einem ewigen Kreislauf verjüngt und das göttliche Geheimnis ewigen Lebens besitzt. Vermutlich geht auch die Spirale als Ewigkeitssymbol und Sinnbild für Auflösung und Neuwerden auf eine sich ein- und ausrollende, unsterbliche Schlange zurück.

Die Schlange und der ewige Kreislauf des Seins

Besonders prägnant ist die mythische Vorstellung einer permanenten, zyklischen Regeneration der Natur und des ewigen Kreisprozesses der Zeit im Motiv der Uroboros-Schlange ausgebildet. Der seit dem 14. Jahrhundert vor Christus in Ägypten bezeugte, aber vermutlich sehr viel ältere Uroboros, wörtlich übersetzt bedeutet der Name "Schwanz im Maul", ist eine Schlange, die sich zum Ring geschlossen, selbst in den Schwanz beißt. In manchen Mythen und Darstellungen umspannt der Uroboros die gesamte Welt als Hinweis auf das göttliche Wesen der Natur, die sich fortwährend verbraucht und erneuert. Damit verkörpert der Uroboros unter anderem den Pfad des Sonnengottes mit seinem Auf- und Niedergang, beziehungsweise den Sonnenlauf selbst, der als Einheit von Werden und Vergehen die gesamte Schöpfung trägt.


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