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Instinkt Das Thema

Stand: 15.01.2009 | Archiv

Wörtlich übersetzt bedeutet das lateinische Wort Instinkt "Anreiz", "Eingebung", "Antrieb". Der Hungrige sucht Nahrung, der Paarungswillige nach einem Geschlechtspartner. Ist das Gesuchte gefunden, so löst es die "Endhandlung", aus, dann ist der biologische Sinn vorerst erfüllt, Interesse und Stimmung wenden sich einer anderen Handlung zu. Bei erfolgloser Suche kommt es zu einem Stau, immer geringere Außenreize lösen die Endhandlung aus, bis hin zur so genannten Leerlaufhandlung, die nur durch inneren Impuls und ganz ohne Außenreiz erfolgt.

Komplexe Verhaltensweisen

Die klassische Verhaltensforschung hat uns mit Begriffen wie Appetenz, Schlüsselreiz, Angeborener Auslösemechanismus vertraut gemacht. Von Niklaas Tinbergen etwa stammt die Definition des Instinkts als eines "hierarchisch organisierten nervösen Mechanismus, der auf bestimmte vorwarnende, auslösende und richtende Impulse, sowohl innere wie äußere, anspricht und sie mit wohlkoordinierten, lebens- und arterhaltenden Bewegungen beantwortet". Konrad Lorenz zeigte Gesetzmäßigkeiten im Verhalten von Mensch und Tier auf und erklärte bestimmte Mechanismen in seinem "hydraulischen Instinktmodell". Wer sich heute mit Instinkten bzw. dem angeborenen Wissen des Menschen befasst, muss weit über die Grenzen der Verhaltensforschung hinausblicken. So will man im Austausch und in der Zusammenschau mit anderen Humanwissenschaften der Komplexität menschlichen Verhaltens gerecht werden. Das macht eine enge Zusammenarbeit mit anderen Fachrichtungen wie Psychologie, Ethnologie, Soziologie, Archäologie, Philosophie, Geschichts- und politischen Wissenschaften nötig. Ziel ist es, zum einen die bei allen Menschen gleichen Universalien des Verhaltens zu erforschen, andererseits die jeweils kulturspezifischen Ausprägungen zu verstehen.

Allen gemeinsam

Zu den Universalien zählen zum Beispiel Eifersucht, Territorialität, Aggression, Rache (bzw. "moralistische Aggression"), Versöhnungsbereitschaft, Trauer und Kooperationsbereitschaft. Ein und dasselbe psychische System kann in unterschiedlich sozialem Kontext ein völlig konträres Verhalten zeigen, zum Beispiel aggressiv oder kooperativ sein. Denn, so sagen die Evolutionspsychologen, Kooperationsbereitschaft ist angeboren, Vertrauen aber muss gelernt und von der sozialen Umgebung gefördert werden. Im anthropologischen Kern des Menschen hat sich nicht wesentlich etwas geändert, es ist nur das evolutionäre Erbe jeweils kulturell modifiziert und den Anforderungen der Umwelt angepasst. Und auch verfeinerte Lebensäußerungen wie Empathie, Altruismus oder Religion dienen dazu, das Individuum bestmöglich seiner Umwelt anzupassen, indem sie ihm etwa Orientierung oder soziales Ansehen geben.

Mismatch

So lassen sich einige Probleme, die sich in modernen Industriegesellschaften manifestieren (zum Beispiel Ess-Störungen, stressbedingte Erkrankungen, Verhaltensstörungen beim Kind, Vereinsamung und andere psychische Belastungen), nicht nur auf wissenschaftlich-medizinischer Ebene, sondern evolutionspsychologisch als "mismatch", das heißt als fehlende Anpassung an die aktuellen Lebensbedingungen erklären.

Besser lernen

In diesem Zusammenhang müssen auch Lernkonzepte überdacht werden. Die bisherigen Theorien haben die Beschaffenheit und die Fähigkeit des menschlichen Gehirns zu wenig berücksichtigt. "Vor allem Reiz-Reaktions-Lernen, wie es so anschaulich in dem Hunde-Experiment von Pawlow erstmalig vorgeführt wurde, muss eingeschränkt werden. Lernen läßt sich nicht beschränken auf Konditionierung", sagt Dr. Clemens Schwender von der TU Berlin. "Lernen findet in sozialen und emotionalen Situationen statt, die komplexere Strukturen aufzeigen. Das Lernen in der Schule kann man zwar mit der Angst vor schlechten Zensuren oder dem Lob und anderen Gratifikationen bei guten Leistungen beschreiben, aber wie kommt es, dass ich mir manche Dinge besser merken kann, während ich andere vergessen habe? Die psychologischen Theorien haben wichtige Bedingungen für erfolgreiches Lernen beschrieben: Motivation, Bezug zu früher aufgebauten Mustern, Strukturierung der Umwelt, Angebot eines Modells. Nur Rahmenbedingungen werden erfaßt. Es gab bislang keine Voraussetzungen für die Inhalte. Diese und die Formen des Lernens sind aber nicht beliebig. Die Thesen der Evolutionspsychologie schränken ein: Wir lernen am besten die Dinge, für die unser Gehirn vorbereitet ist. Und diese sind abhängig von fitness-relevanten Funktionen. Irgendwie scheint es einfacher zu sein, Angst vor Schlangen zu lernen als Angst vor Steckdosen, obwohl mir Steckdosen heutzutage doch eindeutig häufiger begegnen und eine größere Gefahr darstellen."


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