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Weltverbesserer

Die Münchner Räterepublik Weltverbesserer

Stand: 05.11.2018

Ernst Toller (1893-1939) deutscher Schriftsteller und Theaterautor | Bild: picture-alliance/dpa

Zwar haben MSPD und bürgerliche Parteien am 12. Januar 1919 die Landtagswahlen gewonnen, doch die Räte wollen sich nicht ins Abseits drängen lassen. Nach der Ermordung Kurt Eisners am 21. Februar folgt nur eine Stunde später ein weiteres Attentat. Der Schankkeller Alois Lindner, ein Arbeiterratsmitglied, feuert im Parlament auf den MSPD-Chef Erhard Auer und verletzt ihn schwer; ein Abgeordneter der Bayerischen Volkspartei und ein zufällig anwesender Offizier kommen bei der Schießerei ums Leben.

München ist in Aufruhr, panisch laufen die Volksvertreter auseinander. Die Stimmung der Arbeiter und Soldaten richtet sich gegen den Landtag, der zunächst nicht wieder zusammentritt. Die Beerdigung Eisners am 26. Februar wird von den Anhängern der Revolution eindrucksvoll inszeniert.

Machtvakuum in Bayern

Linke Aktivisten übernehmen nun die Initiative. Der Vollzugsrat der Arbeiterräte ruft Delegierte aus ganz Bayern zusammen. Es wird ein Aktionsrat gebildet, der die Neukonstituierung eines Zentralrats der bayerischen Republik beschließt, in dem MSPD, USPD, KPD und Bauernräte das Sagen haben. Ein allgemeiner Rätekongress tritt zusammen, Forderungen nach einem Vertagen des Landtags und einer Regierungsbildung ohne Parlamentsbeteiligung sind unüberhörbar. Diesem Ansinnen widersetzt sich die MSPD. In Bayern ist die Machtfrage völlig offen.

Am 17. März tritt der Landtag wieder zusammen und wählt den Lehrer und MSPD-Politiker Johannes Hoffmann, der im Kabinett Eisner Kultusminister war, zum Ministerpräsidenten. In der Arbeiterschaft gärt es weiter. Befürworter einer Räterepublik sehen sich bestätigt, als der Revolutionär Béla Kun am 21. März in Budapest eine Räterepublik ausruft, die sich bis zum 1. August hält. Die bayerischen Kommunisten warten zunächst die weitere Entwicklung ab.

Künstler und Dichter greifen nach der Macht

In der Nacht vom 6. auf den 7. April treffen sich mehrere Intellektuelle, nicht wenige von ihnen sind Anarchisten und in der Münchner Bohème zugange, zur Beratung im Schlafgemach der Königin im Wittelsbacher Palais. Sie beschließen die Auflösung des Landtags und die Proklamation einer Räterepublik. Hoffmann und seine Minister fliehen nach Bamberg, nun gibt es zwei Regierungen in Bayern.

In München wird der "Nationalbolschewist" Ernst Niekisch Vorsitzender des Zentralrats, also Staatsoberhaupt der Räterepublik. An seine Stelle tritt bald Ernst Toller, ein jüdischer Literat, der dem linken Flügel der USPD zugerechnet wird. Ihm stehen zwölf Volksbeauftragte (Minister) zur Seite.

Der Sozialphilosoph Gustav Landauer wird Volksbeauftragter für Volksaufklärung; er möchte die Einheitsschule einführen, Hausaufgaben abschaffen und die Universitäten für Frauen und Arbeiter öffnen. Silvio Gesell, der Finanzminister, will den Zins abschaffen und privaten Grundbesitz vergesellschaften. Franz Lipp übernimmt den Posten des Außenministers. Er bricht die Beziehungen zu Preußen ab und schickt wirre Telegramme an den Papst und an Lenin. Bald später stellt sich heraus, dass Lipp geisteskrank ist; er wird in eine Heilanstalt gebracht. Konrad Kübler, ein Bauernbündler, übernimmt das Justizressort nur, "um diesen Posten keinem Kommunisten zu überlassen".

Räteregierung mit sozialistischen Ambitionen

Die Volksbeauftragten um Ernst Toller haben weit reichende Pläne, darunter die Beschlagnahme frei stehender Wohnungen für Arme, das Stoppen der Kapitalflucht und die Verstaatlichung von Schlüsselindustrien (Bergbau, Energie, Rüstung). Mangels qualifizierter Mitarbeiter und praktischer Regierungserfahrung bleiben Taten aus. Währenddessen machen sich Engpässe in der Lebensmittel- und Brennstoffversorgung bemerkbar. Zudem wird die "Gelehrtenrepublik" nur in den Regierungsbezirken Oberbayern und Schwaben ernst genommen, nördlich der Donau hat Ministerpräsident Hoffmann das Sagen.

Viele Bayern reagieren verunsichert auf die neuen Machthaber, die zahlreiche Dekrete veröffentlichen, aber am Volk "vorbeireden", andere sind eher amüsiert. So belächelt der in München lebende Schriftsteller Thomas Mann den "Schwabinger Kunsteinschlag" der regierenden Polit-Dilettanten. Der fortschreitende Vertrauensverlust bleibt auch den Kommunisten, für die der Staat der Intellektuellen ohnehin nur eine "Scheinräterepublik" ist, nicht verborgen. Am 11. April verkünden sie: "Die Räterepublik ist nicht lebensfähig".

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Kurt Eisner, 1918/19 bayrischer Ministerpräsident, mit seiner Gattin und dem bayrischen Minister Unterleitner in München. (Jan./Febr. 1919) | Bild: picture-alliance/dpa zum Thema Die Münchner Räterepublik Bayern sozialistisch

Der Mord an Ministerpräsident Kurt Eisner versetzt Bayern in Schockstarre. Die Macht wabert in München umher - wer zugreift, hält sie in Händen. Im April 1919 proklamieren Revolutionäre eine Räterepublik. Ihr Ausgang ist blutig. [mehr]