Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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27. März 2009 Türkei verbietet das Sandstrahlen von Jeans

Sandgestrahlte Jeans! Damit kann ein Schreibtischarbeiter aussehen, als könnte er knallharte Schwerarbeit im Steinbruch verrichten. Am 27. März 2009 verbot die Türkei die gesundheitsgefährdende Herstellung. Autorin: Brigitte Kohn

Stand: 27.03.2019 | Archiv

27 März

Mittwoch, 27. März 2019

Autor(in): Brigitte Kohn

Sprecher(in): Hans-Jürgen Stockerl

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Susi Weichselbaumer

Wenn man sich vor ungefähr dreißig Jahren neue Jeans kaufte, dann waren die neu und makellos. Man wirkte darin zunächst mal verhältnismäßig adrett und fand sich damit ab. Irgendwann verschlissen die Dinger ganz von selbst und demonstrierten der Welt, dass sie einiges aushalten und vor nichts zurückschrecken. So wie ihre coolen Trägerinnen und Träger.

Vintage-Look

In den 1990er-Jahren erfanden die Modemacher dann den Vintage-Look. Der lässt neue Jeans so aussehen, als hätten sie bereits Jahre im Steinbruch hinter sich. Billiger werden sie deswegen natürlich nicht. Um sie auszubleichen und abzuwetzen, muss sich die Industrie ja zusätzlich bemühen.

Am einfachsten geht das mit Sandstrahlen. Aus einem dicken Schlauch wird der Sand mit Hochdruck Richtung Jeans geschleudert und erzeugt zielgenau Abriebstellen an Knien, Oberschenkeln und Hosenboden. Das kostet nicht viel, Sand ist nicht teuer. Es empfiehlt sich aber, beim Arbeiten einen Schutzanzug zu tragen wie die Astronauten. Mit Atemgerät. Denn der quarzhaltige Staub, der durch die Kompression entsteht, ist absolut ungesund für die Lunge.

Silikose, im Volksmund Staublunge

Die Arbeiter in der Türkei, bis 2009 der Hauptproduzent für sandgestrahlte Jeans, wussten das meist nur nicht, und kaum ein Arbeitgeber klärte sie auf oder investierte gar in teure Schutzvorrichtungen. Die Männer waren jung, um die 20 Jahre alt oder noch jünger. Und stolz darauf, etwas mehr als den Mindestlohn zu verdienen und ihren bitterarmen, krisengeschüttelten ostanatolischen Heimatdörfern entkommen zu sein. Viele von ihnen hatten keine Chance, 30 zu werden. Sie wurden krank, keuchten beim Sprechen, ermüdeten beim Gehen so schnell wie alte Männer, husteten Blut, verloren Gewicht. Silikose heißt die Krankheit, im Volksmund auch Staublunge genannt.

Sie ist nicht heilbar und führt in schweren Fällen zum Tod durch Ersticken. An der Istanbuler Universitätsklinik zählte man 2009 700 Fälle, doch die Dunkelziffer liegt bei ungefähr 5.000. Ein hoher Preis, den arme Leute zahlen, damit die Leute aus den reichen Ländern ärmer aussehen, als sie sind.

Das Kontrollbedürfnis der türkischen Behörden hielt sich angesichts von 10 Milliarden Euro Exportvolumen pro Jahr in engen Grenzen. Dass die Sandstrahltechnik am 27. März 2009 in der Türkei endlich offiziell verboten wurde, liegt an den Aktivitäten des türkischen Solidaritätskomitees für Sandstrahler und von internationalen Netzwerken wie der Kampagne für Saubere Kleidung. Immer mehr Unternehmen aus der europäischen Bekleidungsbranche verbannten die Killerjeans aus ihrem Sortiment. Die Einsicht, dass ein bisschen Ethik nicht unbedingt schlecht fürs Geschäft sein muss, setzt sich allerdings nur langsam durch. Verbraucherinnen und Verbraucher können hier Druck ausüben: Beim Einkauf einfach mal nachfragen und Ware liegen lassen, die Todesopfer gefordert haben könnte! Denn die Sandstrahltechnik ist nicht ausgestorben: Die Produktion hat sich in Länder wie Pakistan, China, Bangladesch oder Ägypten verlagert.


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