Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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5. Dezember 1895 "S' Lieserl vom Schliersee" mischt Indianapolis auf

Bayern ist exotisch – für die, die da nicht wohnen. Und das dort ansässige "Alpenvolk" gleich gar. Und daher rockte das Stück "S'Lieserl vom Schliersee" im amerikanischen Indianapolis 1895 so richtig. Autor: Simon Demmelhuber

Stand: 05.12.2019 | Archiv

05 Dezember

Donnerstag, 05. Dezember 2019

Autor(in): Simon Demmelhuber

Sprecher(in): Johannes Hitzelberger

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Frank Halbach

Ach, Bayern! Du wohliger Sonntagsseufzer Gottes, du Gustostückerl der Schöpfung! Hier zu leben ist ein Glück, das besondere Menschen formt. Urig sind sie, griabig, zünftig, ein bisserl hantig bisweilen, im Grund aber herzensgut, grad raus und waschecht bis ins Mark. So viel Einzigartigkeit zahlt sich aus. Bavaria sells! Land und Leute performen imageoptimiert und sehnsuchtskompatibel als global wettbewerbsfähiger Premiumartikel.

Exotisches Bayern

Vom Himmel gefallen ist die Zugkraft der weißblauen Eigenmarke freilich nicht. Sie ist hart erarbeitet. Den Anfang machen gewiefte Fremdenverkehrspioniere im Oberland. Als Berge und Gebirgler Ende des 19. Jahrhunderts in Mode kommen, spannen die Eingeborenen schnell, was die Sommerfrischler bei Laune hält. Heimatabende, Brauchtum und Bayernexotik sind Trumpf, man schuhplattlt, jodelt, juchizt, was das Zeug hält, je doller, desto knorke!

Da geht noch mehr, ahnt der Münchner Schauspieler Conrad Dreher und liegt goldrichtig. 1892 gründet er in Schliersee die weltweit erste professionelle Bauernbühne zum Amüsement der Feriengäste. Die mit Zither-, Gstanzl- und Tanzeinlagen garnierten Alpendramen schlagen derart ein, dass die Laientruppe schon im Jahr darauf durch Deutschland und Österreich tourt. Zwar sind sämtliche Spieler längst gestandene Profis, aber die Presse betet brav nach, was ihr Dreher mundgerecht vorkaut: Hier kredenzen echte Bauern reinste bayerische Wesens- und Lebensessenz.

Schliersee goes to America

Das Eisen ist heiß, jetzt wird geschmiedet. "Pack ma's," sagt Dreher und geht aufs Ganze: Die Truppe muss nach Amerika! In den Städten des Mittleren Westens, wo drei Millionen deutschstämmige Neuamerikaner wohnen, winken volle Säle und Kassen. So machen sich im Herbst 1895 schließlich 21 lodenfeste Schlierseer nebst mehreren Tonnen Kulissen, Requisiten und Kostümen auf den Seeweg nach New York.

Das Debut in der Metropolitan Opera ist ein rauschender Erfolg, vier Wochen lang spielt die Bavarian Farmer's Company vor ausverkauftem Haus. Auch in Chicago, Milwaukee, Detroit, St. Louis, Illinois oder Delaware, wo das Ensemble in drei Monaten über einhundert Mal auftritt, reißen Andrang und Begeisterung nicht ab.

Zum Verschnaufen bleibt da wenig Zeit. The show must go on, selbst am Nikolaustag, dem 6. Dezember 1895. Lausig kalt pfeift der Wind durch Indianapolis, trotzdem bringt "S'Lieserl vom Schliersee" das English Theater zum Kochen. "Dieses herrliche Stück hat uns wirklichste Wirklichkeit, ungeschminktes, kernhaftes Volkstum gezeigt", schwärmt der Telegraph anderntags. "Wir haben die frische Naturfröhlichkeit und Gutmütigkeit, aber auch die stark entwickelten Leidenschaften des bayerischen Alpenvolks kennengelernt und wünschen nichts mehr, als diese kraftvolle Originalität an Ort und Stelle selbst zu erleben."

Aha! So is des oiso, darum schmeißen sich die Amis alljährlich zur Oktoberzeit in die echtesten aller Taiwantrachten! Nur um sich persönlich vom ordnungsgemäßen Zustand sämtlicher Bayernklischees zu überzeugen und sodann mit aller Welt die wahre Hymne irdischer Glückseligkeit anzustimmen: "I hätt gern an Biersee, so groß wia da Schliersee!"


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