Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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31. Mai 1953 Sylvia Plath zieht ins Barbizon Hotel for Women

Als Frau alleine wohnen und arbeiten? Aus gesellschaftlicher Sicht war das verpönt. Das Hotel Barbizon in New York machte jedoch aus dem Wunsch nach Selbstbestimmung ein Geschäft: Leben im Wellnesshotel, netzwerken mit anderen Damen, tagsüber Job, abends Bar - und keinerlei Männerbesuche! Autorin: Ulrike Rückert

Stand: 31.05.2022 | Archiv

31 Mai

Dienstag, 31. Mai 2022

Autor(in): Ulrike Rückert

Sprecher(in): Caroline Ebner

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Susi Weichselbaumer

Ein Monat in New York! Wie Cinderella fühle sie sich, schwärmte Sylvia Plath. Nur hatte sie kein Prinz erwählt, sondern die Redakteurinnen der Zeitschrift Mademoiselle - nämlich für einen der zwanzig heißbegehrten, prestigeträchtigen Praktikumsplätze, die sie jedes Jahr an Collegestudentinnen vergaben.

Sylvia Plath war zwanzig, mit ersten Erfolgen als Schriftstellerin und viel Ehrgeiz, als sie am 31. Mai 1953 in Manhattan eintraf. Ein Taxi brachte sie zu ihrem Quartier in der Upper East Side, einem Wolkenkratzer mit dramatischer Silhouette. Die Lobby mit den Topfpalmen fand sie "exquisit", ihr Zimmer "allerliebst". Es hatte die Größe eines Wandschranks, aber es gab ja auch elegante Lounges, eine Bibliothek, Fitnessräume, ein Schwimmbad und eine Dachterrasse mit Panoramablick.

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Und es war das Hotel Barbizon, New Yorks exklusivste Herberge nur für Frauen. Wer nicht von einer höheren Macht, wie der Mademoiselle-Redaktion, hier einlogiert wurde, musste sich um eins der siebenhundert Zimmer bewerben und drei Referenzen vorweisen. Die Konkurrenz war groß.

Das Barbizon hatte seine Türen 1928 geöffnet, als eines von etlichen großen Frauenhotels in New York. Sie waren eigentlich Wohnheime für berufstätige Singles aus der Mittelschicht, die unabhängig sein wollten, aber begrenzte Mittel hatten und ihren guten Ruf wahren mussten - alleinlebende Frauen waren loser Moral verdächtig. Die Zimmer waren winzig, dafür bekam frau zu moderaten Preisen allen Komfort eines guten Hotels und die Respektabilität eines Hauses, in dem Männer nur in der Lounge geduldet waren.

Kaum eines dieser Hotels überlebte die Wirtschaftskrise, aber das Barbizon galt als der einzige akzeptable Landeplatz in New York für junge Frauen aus gutem Hause. Mit Hausregeln wie im Klosterinternat glaubten Eltern ihre Töchter unter verlässlicher Aufsicht. Eine elitäre Sekretärinnenschule belegte drei Etagen für ihre Schülerinnen, und Eileen Ford quartierte die Models ihrer berühmten Agentur hier ein.

Für die jungen Frauen hatte das Barbizon eine Gloriole von Glamour. "Ruhm und Glück erwarten dich im Barbizon", lockten die Annoncen. 1947 kam Carolyn Schaffner aus Steubenville in Ohio und wurde binnen einer Woche von einem Fotografen entdeckt - der Beginn einer glänzenden Modelkarriere. Ihre Zimmernachbarin war eine achtzehnjährige Schauspielschülerin mit dicker Hornbrille, namens Grace Kelly. Tippi Hedren, Liza Minelli und Candice Bergen wohnten hier - um nur einige zu nennen.

Die meisten allerdings kehrten zurück in die Kleinstadt in Idaho oder Missouri und heirateten Jim von nebenan. Manche blieben einfach im Barbizon. Als es 1980 in ein Touristenhotel umgewandelt wurde, gab es über hundert Langzeitmieterinnen, die gesetzlichen Mietenschutz genossen und nicht daran dachten, auszuziehen. Einige waren immer noch da, als das Haus 2005 zu Luxuswohnungen umgebaut wurde. Sie bekamen Apartments auf einer eigenen Etage. "Es ist mein Zuhause", sagte eine. "Ein angenehmer Platz mit exzellentem Service." Und Mietpreisen der Sechzigerjahre.


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