Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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29. Juni 1613 Shakespeares Theater "The Globe" brennt nieder

Das Globe Theatre war und ist das wohl berühmteste elisabethanische Theatergebäude. Erbaut wurde es von einer Schauspielertruppe, zu der auch William Shakespeare gehörte. Nach dem Brand von 1613 wurde "The Globe" bald wieder aufgebaut - diesmal mit Ziegeldach. Autorin: Julia Devlin

Stand: 29.06.2021 | Archiv

29 Juni

Dienstag, 29. Juni 2021

Autor(in): Julia Devlin

Sprecher(in): Johannes Hitzelberger

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Frank Halbach

Ah, das Regietheater der Siebziger Jahre. Wer erinnert sich nicht gerne daran zurück? Schonungsloser Realismus, der sich häufig darin äußerte, dass die Schauspieler ihre sekundären Geschlechtsmerkmale freizügig herzeigten. Mitunter den Einsatz derselben auf offener Bühne demonstrierten. Alleine, zu zweit, oder auch zu mehreren. Gemischtgeschlechtlich oder auch nicht. Oder mit Maschinengewehren wild um sich schossen. Oft mit einem karg ausgestatteten Szenenbild, von Neonröhren illusionslos beleuchtet. So wurde dem bürgerlichen Publikum seine Weltfremdheit deutlich vor Augen geführt, die sich ja in schöner Offensichtlichkeit dadurch ausdrückte, dass es typisch bürgerlichem Zeitvertreib nachging, wie ins Theater zu gehen. Get real! wurde den Zuschauern gleichsam zugerufen. Die Bühne ist nicht die Welt!

"…und alle Frau’n und Männer bloße Spieler."

Das sah ein gewisser William Shakespeare aber ganz anders. All the world's a stage, verkündete er: Die ganze Welt ist eine Bühne! Shakespeare hatte dabei die Idee des Teatrum Mundi im Hinterkopf. Als ob das, was wir für Realität halten, sowieso nur eine Szenerie sei, in der ein größerer Regisseur die Fäden zieht. Womöglich hatte er auch deshalb sein Londoner Theater "The Globe" genannt, also "Erdball".

Minimalismus war Shakespeares Sache nicht. Denn die Konkurrenz unter den Londoner Theatern war groß und schlief nicht. Deshalb suchten die Regisseure, einander mit opulenten Inszenierungen zu übertreffen. Falltüren, Schnürboden, Schwefelrauch wurden eingesetzt, um die Schauspieler schweben, verschwinden oder geisterhaft auftauchen zu lassen. Es gab Apparate, die Blitze schleudern konnten, und Klangmaschinen setzten dazu dramatische Akzente.

"Wer eilig will ein mächtig Feuer machen, nimmt schwaches Stroh zuerst."

Einer dieser spektakulären Effekte wurde dann leider dem "Globe" zum Verhängnis. Es war der 29. Juni 1613. Man gab Shakespeares Historiendrama "Heinrich der Achte". Ein Rausch voll rotem Satin und goldbestickten Kostümen. Maskeraden! Fanfaren! Pomp and circumstances! Kanonendonner! Ach, ja... Kanonendonner.

Der erste Akt nähert sich dem Ende. Ein geschmückter Festsaal. Enter König Heinrich. Täterätä! Herolde schmettern in ihre Trompeten, eine Kanone, die im Dachstuhl steht, wird abgefeuert. Funken stieben, sie fallen in das Strohdach, das Strohdach beginnt zu brennen. In zwei Stunden ist der Globe nur noch ein Haufen qualmender Asche.

Augenzeugen berichteten, dass die Zuschauer das Feuer zunächst ignorierten. Sie hielten es für einen Teil der ansonsten sehr gelungenen Inszenierung. Und so hatte der Barde erreicht, wovon Regisseure auch heute noch träumen: die Grenzen zwischen Schauspiel und Realität zu verwischen. Auf dass die Theaterbesucher sich rätselnd fragen: Was ist die Bühne? Was ist die Welt? Wo beginnt die Imagination, wann endet die Vorstellung, und wo geht‘s zur Champagnerbar?

König Heinrich VIII kam nicht mehr dazu, seinen spöttischen Epilog zu sprechen, in dem es hieß: "Zehn zu eins, dass nicht allen Zuschauern das Stück gefallen hat. Manche wollten ja nur einen Akt oder zwei in Ruhe verschlafen. Aber die haben wir mit unseren Trompeten verschreckt". Shakespeares meisterliche Ironie in allen Ehren, aber die Trompeten waren an diesem Juniabend das kleinere Problem.


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