Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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19. Mai 1965 Schildkröte Tu'i Malila stirbt mit 188 Jahren

Als Tu'i Malila am 19. Mai 1965 starb, soll sie mindestens 188 Jahren alt gewesen sein. Doch die älteste Riesenschildkröte war sie trotz dieses biblischen Alters nicht. Harriet war noch älter, und Lonesome George - er wird wohl noch manche Forschergeneration zur Verzweiflung treiben.

Stand: 19.05.2011 | Archiv

19 Mai

Donnerstag, 19. Mai 2011

Autorin: Prisca Straub

Sprecher: Johannes Hitzelberger

Redaktion: Thomas Morawetz / Wissenschaft und Bildung

Der Hals ist faltig, die Wangen sind voller Runzeln. Doch mit ihren blitzgescheiten, schwarzen Äuglein ist Tu'i Malila trotz allem eine aparte Erscheinung - selbst in konserviertem Zustand. Der britische Seefahrer James Cook soll die Strahlenschildkröte mit der dekorativen Panzer-Zeichnung seinerzeit aus Madagaskar mitgebracht haben. Als Tu'i Malila am 19. Mai 1965 starb, galt mit ihren mindestens 188 Jahren als eine der ältesten Schildkröten der Welt.

Nun gehört Langlebigkeit bekannterweise zu den typischen Merkmalen der meisten Schildkröten. Wahrscheinlich gibt es kein anderes Lebewesen, das so ausdauernd dabei zusieht, wie die Zeit vergeht. Zu weltweiter Berühmtheit brachte es dabei auch Riesenschildkröte Harriet: Sie gilt als Weggefährtin von Charles Darwin höchstpersönlich. 1835 sammelte sie der Begründer der Evolutionstheorie als tellergroßes Jungtier ein und verschiffte sie von Galapagos nach England. Weil Harriet mit dem britischen Nieselregen nicht klar kam, brachte man sie nach Australien. Dort fand die Schildkröten-Dame ihren gesunden Appetit wieder und nahm es auch niemandem krumm, dass Darwin ihr Geschlecht verwechselt hatte und sie die ersten 130 Jahre als Harry leben musste. Als Harriet im Jahr 2006 starb, war sie geschätzte 175 Jahre alt und mit ihren 180 Kilo so groß wie ein Esstisch für fünf Personen.

Übrigens scheinen die Galapagos-Inseln ein wahres Eldorado für greise Panzertiere zu sein: Reptilien werden auf dem Archipel nämlich besonders alt. Dort kriecht auch der äußerst bedauernswerte Bewohner George durch's Gestrüpp: "Lonesome George", die weltberühmte Riesenschildkröte der Unterart Geochelone nigra abingdoni. Der einsame George ist auf diesem Planeten nämlich mit allergrößter Wahrscheinlichkeit der allerletzte Vertreter seiner Art.

Doch sein trauriges Schicksal scheint der friedlich Grünzeug mümmelnde George äußert gelassen zu schultern. Ganz anders die Mitarbeiter der "Charles Darwin Foundation": Seit Jahrzehnten bemühen sie sich auf der Forschungsstation, der Riesenschildkröte wenigstens das Basiswissen in Sachen Liebe schmackhaft zu machen und lockt das Tier mit hitzigen Weibchen einer nahe verwandten Art. Doch "Lonesome George" macht der genetischen Partnervermittlung einen Strich durch die Rechnung: Er unternimmt nichts, um wenigstens einen Teil seines kostbaren Erbguts zu erhalten - und scheucht die empfängnisbereiten Damen von den Futternäpfen weg. Möglicherweise weiß der Koloss auch einfach nicht so recht, wie er seinen 100-Kilo-Panzer in die Höhe wuchten soll: Jedenfalls enthielten die wenigen Eier, die überhaupt im Gehege gefunden und künstlich bebrütet wurden, nichts außer Eidotter.

Inzwischen beschäftigt sich längst ein Spezialtrupp internationaler Genetiker mit George und seinem dürftigen Liebesleben: Eine Schweizer Biologie-Studentin zum Beispiel verbrachte ihr viermonatiges Galapagos-Praktikum damit, dem armen Tier beherzt in die Weichteilen zu greifen. Doch leider ohne Ertrag. Obwohl sie andere Schildkröten binnen Minuten zum Orgasmus bringen konnte - bei George musste sogar die Stimulations-Expertin passen. Das Riesentier kam nicht in Wallung: Es reagierte einfach nicht - außer mit einer Allergie auf die verwendeten Latex-Handschuhe.

Nun ist Auszusterben vielleicht nicht gerade schmeichelhaft, wohl aber ein Normalfall der Erdgeschichte. Und "Lonesome George" ist sein evolutionär auswegloses Schicksal offenbar reichlich schnuppe. Er hat ja noch so viel Zeit für "No-Future"! Noch gute 100 Jahre lang hat er zu leben, bis sein Seitenarm der Evolution im Nichts verschwindet.


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