Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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28. September 1717 Preußen führt Schulpflicht ein

Schule für alle Kinder, eine Idee, die grundsätzlich gut klingt, doch im damaligen Reich Friedrich Wilhelms kaum umzusetzen ist. Die einen Regionen wollen autark entscheiden, in andern gibt es gar keine Schulen. Wieder anderorts müssen die Kinder in der Landwirtschaft anpacken. Autorin: Ulrike Rückert

Stand: 28.09.2021 | Archiv

28 September

Dienstag, 28. September 2021

Autor(in): Ulrike Rückert

Sprecher(in): Johannes Hitzelberger

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Susi Weichselbaumer

Friedrich Wilhelm, König in Preußen, Markgraf zu Brandenburg und Kurfürst des Heiligen Römischen Reiches, war sehr unzufrieden. „Wir vernehmen mißfaellig", donnerte er in seinem neuesten Edikt, "daß die Eltern, absonderlich auf dem Land, in Schickung ihrer Kinder zur Schule sich sehr saeumig erzeigen". Zwar gab er nicht viel auf Bildung und hatte selbst nur wenig davon genossen, aber die Schulen sollten ihm gehorsame, gottesfürchtige und fleißige Untertanen erziehen. Und so verordnete er am 28. September 1717 "allergnaedigst und ernstlich" die Schulpflicht für seine Länder.

Es ist amtlich

Länder, Plural, denn den großen Staat Preußen gab es noch nicht. Das Königreich Preußen umfasste nur die spätere Provinz Ostpreußen und war von Brandenburg auch geografisch noch durch polnisches Gebiet getrennt. Dazu kamen eine Handvoll Zwergfürstentümer, einige davon am Rhein und in Westfalen. Diese verstreuten Territorien versuchten die Hohenzollern-Herrscher erst nach und nach zusammenzuschweißen, mit zentralen Verwaltungen und übergreifenden Gesetzen.

Im Falle des Edikts über die Schulpflicht allerdings war das einigende Band, dass es überall gleichermaßen ignoriert wurde. Schulen waren die Sache der adligen Grundherren und städtischen Magistrate, und die ließen sich ungern von oben hineinreden. Nicht einmal die Pächter auf den Domänengütern des Kurfürst-Königs zeigten großen Eifer.

Keine Lust auf Schule

Ihre eigenen Sprösslinge ließen der Adel und reiche Bürger von Hauslehrern unterrichten, und daran wollte Friedrich Wilhelm gar nichts ändern. Die Bauernkinder aber mussten in der Landwirtschaft mitarbeiten, und das war auch den Gutsherren oft wichtiger als ihre Buchstabierkünste. Das Edikt schrieb nur für den Winter täglichen Schulbesuch vor, für den Sommer ein- oder zweimal in der Woche. Doch auch das war vielen gar nicht möglich, selbst bei bestem Willen der Eltern.

Den lokalen Obrigkeiten stand es frei, ob sie überhaupt Schulen einrichteten, und so galt auch die Schulpflicht nur "an denen Orten wo Schulen seyn". Die vorhandenen waren oft in kläglichem Zustand: zu klein, baufällig, im Winter ungeheizt. Schulmeister war ein Nebenjob für den Küster oder einen Handwerker, und als Lehrbuch für die Untertanenerziehung diente der Katechismus. Den lernten die Kinder auswendig, und auch Lesen und Schreiben wurde damit geübt. Dazu Kirchenlieder und Psalmen und ein bisschen Rechnen – mehr war nicht vonnöten, denn: " [...] wissen sie zuviel, so laufen sie in die Städte und wollen Sekretärs und so was werden." So sah das Friedrich Wilhelms Sohn und Nachfolger, Friedrich der Große. Ihm reichte es, wenn die Lehrer dem Nachwuchs genug Moral beibrachten, "daß sie nicht stehlen und morden".

Ein Jahrhundert nach Friedrich Wilhelms Edikt verstand man unter Preußen nun das gesamte, beträchtlich gewachsene Herrschaftsgebiet der Hohenzollern. Aber noch immer ging nur gut die Hälfte der Kinder regelmäßig zur Schule – in anderen deutschen Ländern sah es übrigens ähnlich aus. Bis ins 20. Jahrhundert blieben Schulpflichtgesetze obrigkeitliche Willenserklärungen - mit sehr losem Realitätsbezug.


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