Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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2. März 1797 Vater des Gruselromans gestorben

Er schenkte der Welt die Idee vom Spukschloss und darf als geistiger Vater der Schauerliteratur gelten. Als Horace Walpole am 2. März 1797 starb, hatte er das Feld für eine ganze Heerschar würdiger Nachfolger bereitet.

Stand: 02.03.2010 | Archiv

02 März

Dienstag, 02. März 2010

Autor: Thomas Morawetz

Redaktion: Thomas Morawetz

Nein, besser keiner weiß, dass er der Autor dieses doch etwas seltsam geratenen Buchs ist -  "Das Schloss von Otranto". Deshalb erfindet er einen Herausgeber, der im Vorwort einfach behauptet: Die ganze Geschichte ist die Übersetzung eines uralten italienischen Manuskripts. Herkunft? Liegt völlig im Dunkeln. Die schockierenden Ereignisse im Schloss von Otranto jedenfalls spielen schon zur Zeit der Kreuzzüge. Also finsteres Mittelalter, finsteres Schloss, alles sehr geheimnisvoll - und das britische Publikum des Jahres 1764 ist völlig begeistert!

So begeistert, dass es den Autor schnell wurmt, dass er die blöde Idee mit dem erfundenen Herausgeber hatte. Also zweite Auflage, nochmal ein Vorwort, und endlich steht da: Ich war´s! Ich habe euch das "Schloss" geschrieben, euer Horace Walpole, Sohn des ersten britischen Premierministers, vierter Earl of Orfort, der wegen seiner Raffinesse berüchtigte vornehme Dandy, also Tagedieb!

Hätte Walpole nicht gestanden, wüsste man vielleicht bis heute nicht, wer der Erfinder der literarischen Schauergeschichte, der Gothic Novel, war. Und tatsächlich, die Geschichte selbst ist aus heutiger Sicht schrecklich - schrecklich einfältig: Der böse Schlossherr will die Verlobte seines gerade verstorbenen Sohnes vergewaltigen. Die kann sich nur mit der Hilfe eines edlen Burschen retten. Der stellt sich dafür später als der wahre Erbe des Schlosses heraus und heiratet die Jungfrau. So weit so gut. Gruselig ist dabei: Ein Bild wird lebendig. Ein Blitz schlägt da im Schloss ein, wo früher der rechte Hausherr seine Rüstung aufbewahrt hatte. Und dieselbe erhebt sich aus den rauchenden Ruinen und fährt gen Himmel.

Für einen allerersten Schauerroman wird man das so gelten lassen müssen, aller Anfang ist schwer. Aber was um alles in der Welt hat das Publikum daran so toll gefunden? Es war nicht das bisschen Blitz und Rüstung, sondern Walpoles Volltreffer war: das Schloss selbst - das gotische Gemäuer von Otranto. Walpole ist nämlich kein anderer als der geistige Architekt des Original-Spukschlosses. Hoch aufragend, düster, verwinkelt, mit Verließen und dicken Mauern - ein Albtraum. Und für Walpoles Publikum die reinste Erlösung!
Das Gemäuer ist der ideale Fluchtort vor einer allzu logisch gewordenen Welt. Denn die Leute finden inzwischen die leidige Vernunft der Aufklärung stinklangweilig. Und jetzt Otranto: Endlich gruseln, unbewusste Ängste, unerklärbare Kräfte.

Als Walpole sich als Autor des Buchs outet, und die ganze Geschichte nun doch nicht aus dem Mittelalter kommt, sind ihm die Kritiker schwer beleidigt, aber das Publikum winkt ab - na und? Und schon kommt der nächste britische Grusel-Autor groß heraus: Matthew Lewis, den Fans des Genres bekannt durch seine Geschichte "Der Mönch". Ein frommer Mönch gerät an eine Hexe und stellt nun minderjährigen Mädchen nach. Jetzt fallen die Damen nicht mehr nur in Ohnmacht. Was der verhexte Mönch mit den Frauen alles anstellt ist ... richtig frauenfeindlich. Und wieder ist das Publikum total aus dem Häuschen. Bald wimmelt es in Europa und Amerika von verrückten Mönchen, Hexen, Kobolden, Vampiren und Dämonen. Ausgeburten aus feuchtkalten Phantasiegemäuern und Verließen.

Walpole selbst ist viel zu egozentrisch, um sich von der Welle mitreißen zu lassen. Zwar baut er sich sein ganz persönliches gotisches Schlösschen, aber der einzige, der darin spuken darf, ist er selbst. Hochbetagt stirbt er am 2. März 1797. Kurz vorher hat er seinen zweiten großen Bestseller landen können: "Über die englische Gartenkunst". Ja. Horace Walpole ist auch der Erfinder des Englischen Gartens! Nicht so spektakulär wie sexhungrige Mönche und seufzende Dämonen. Aber auch sehr schön.


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