Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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21. Juni 1886 Grundsteinlegung der Tower Bridge in London

Die berühmteste Kombination aus Hänge- und Klappbrücke: die Tower Bridge in London. 244 Meter lang, 65 Meter hoch, 11 000 Tonnen Stahl….

Stand: 21.06.2018 | Archiv

21 Juni

Donnerstag, 21. Juni 2018

Autor(in): Julia Devlin

Sprecher(in): Christian Baumann

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Frank Halbach

Das neunzehnte Jahrhundert war eine Epoche ungeheuren Fortschritts, optimistisch und nach vorne stürmend. Höher, schneller, weiter hieß die Devise der Industriellen Revolution. In Technik und Naturwissenschaft folgte ein Superlativ dem nächsten. Am Anfang dieses Jahrhunderts fuhren noch Pferdekutschen, am Ende Dampfloks und Automobile, und zu sinnfälligen Symbolen dieser Zeit wuchsen Wolkenkratzer und Fabrikschlote gen Himmel, schwangen sich Stahlträgerbrücken über Flüsse und Täler.

Doch so viel Veränderung machte den Menschen auch Angst. Und eine tiefe Sehnsucht machte sich breit nach einer Vergangenheit, über die sich verklärend ein rosiger Schimmer breitete. Diese Vergangenheit projizierte man am liebsten ganz weit weg, weit genug, um vor den verderblichen Einflüssen der Moderne sicher zu sein: ins Mittelalter.

Nostalgie zum klappen

Wohl kaum ein Bauwerk verkörpert den Widerspruch zwischen den Errungenschaften der Moderne und dem gleichzeitigen Unbehagen dabei wie die berühmte Tower Bridge in London. Am 21. Juni 1886 wurde der Grundstein gelegt, 70.000 Tonnen Beton und 11.000 Tonnen Stahl sollten folgen. Die Planer hatten vor einer großen Herausforderung gestanden: Die Brücke musste eine zuverlässige Überquerung der Themse ermöglichen, durfte aber den Schiffsverkehr auf dem Fluss nicht einschränken. Sie lösten diese Herausforderung durch die Konstruktion einer Klappbrücke. Ein enormes hydraulisches Hebewerk konnte die Fahrbahn bei Bedarf in zwei Minuten hochziehen. Aber dann kleidete man dieses Wunderwerk der Ingenieurskunst in einen mittelalterlichen Mantel. Hüllte das Stahlskelett in roh behauene Granit- und Kalksteinplatten und verbarg die Maschinerie in gotischen Wehrtürmen. Die hochmoderne Tower Bridge sah nun aus wie die Zugbrücke einer jahrhundertealten Märchenburg.

Schöner Kitsch?

Viele Zeitgenossen empfanden diese nostalgische Optik als verlogenen Kitsch. Ein Architekt des renommierten Königlichen Instituts britischer Architekten schimpfte, das Bauwerk wäre geschmacklos, eine heuchlerische Verfälschung der eigentlichen Struktur.

Blicken wir über den Ärmelkanal hinüber auf den Kontinent. Dort wuchs zur selben Zeit in Paris ein Bauwerk in die Höhe, das sein Stahlskelett ohne jegliches Schamgefühl offen zur Schau stellte: Der Eiffelturm. Eine ganz andere ästhetische Aussage wurde hier getroffen, eine, die das Industriezeitalter ohne Wenn und Aber bejahte.

Der Öffentlichkeit war's egal. Beide Bauwerke avancierten schnell zu einem Wahrzeichen, einem Mythos ihrer Stadt. Wie der Eiffelturm ein Symbol für Paris, ist Tower Bridge ein Symbol für London. Ästhetische Aussage hin oder her, Millionen von Touristen können nicht irren.


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