Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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1. Dezember 1886 Emil Hartwich stirbt nach einem Duell

Wer würde Emil Hartwich heute noch kennen, wäre er nicht eine Vorlage- für Theodor Fontanes Roman "Effi Briest"? Wegen einer Affäre zu Elisabeth von Ardenne, forderte deren Gatte Hartwich zum Pistolenduell. Sein Tod und Fontane machten Hartwich unsterblich. Er befindet sich in bester Gesellschaft. Autor: Martin Trauner

Stand: 01.12.2023 | Archiv

01 Dezember

Freitag, 01. Dezember 2023

Autor(in): Martin Trauner

Sprecher(in): Caroline Ebner

Redaktion: Frank Halbach

Wie wird man unsterblich? - Eine verwegene Frage am Anfang eines Kalenderblatts. Theodor Fontane hätte oder besser: er hat es gesagt, beziehungsweise geschrieben: "Ein weites Feld...", vielleicht sogar ein zu weites. Etwa, wenn es sich um Emil Hartwich handelt, der am 1. Dezember 1886, nach einem Duell in Berlin den Kürzeren zog und mit zarten 43 Jahren das Zeitliche segnete. Kein Mensch würde ihn heute noch kennen, den Düsseldorfer Amtsrichter und Mitglied des dortigen Ruderclubs und Wandervereins. Doch mit Hilfe der Kalliope, der Muse der Schreibenden, ist Emil Hartwich einigermaßen unsterblich geworden. In Kalenderblättern taucht er ab und an auf, vor allem aber in der Literaturwissenschaft. Er hatte das zweifelhafte Glück, als fiktionaler Charakter in das Elysium der Literatur aufgenommen zu werden, natürlich unter neuem Namen, als "Offizier Crampas" in Theodor Fontanes Roman:  "Effi Briest".

Theodor Fontane wollte eigentlich nicht, dass seine auf dem echten Leben beruhenden Figuren enträtselt werden. Crampas alias Hartwich, das wäre ja viel zu banal. Oder Effi Briest alias Elisabeth von Ardenne - Und viele seiner Schriftstellerkollegen vor ihm und nach ihm hatten ähnliche Motive. Sie verschleierten die Provenienz ihrer Inspiration: Etwa der französische Autor Victor Hugo: gab es den Glöckner von Notre Dame, wofür vieles spricht, vielleicht wirklich? Oder der Ire Oscar Wilde: wer steckt denn tatsächlich hinter "Dorian Gray"?

Ein weites Feld

Die Leser und die Literaturwissenschaft gaben und geben keine Ruhe und machten und machen sich auf die Suche. Wer steckt hinter diesen ubiquitären Charakteren? Wer aus dem richtigen Leben ist Dank der Literatur unsterblich geworden? Viel Raum für Spekulationen ...
Bei Fontane und seinem Duell in "Effi Briest", "Crampas" gegen "Baron von Instetten", also "Emil Hartwich" gegen "Armand von Ardenne", wurde die Germanistik schnell fündig. Das reale Duell ging damals durch die zeitgenössische Presse. Und alle Beteiligten erlangten, ob fiktional oder real, eine literarische Form der Unsterblichkeit:

Ein (zu) weites Feld

Aber manche Menschen wollten einfach nicht unsterblich werden in der Literatur. Etwa der berühmte Komponist Arnold Schönberg, der in Thomas Manns Roman "Doktor Faustus" verewigt wurde. Er taucht dort als "Adrian Leverkühn" auf, als Erfinder der Zwölftonmusik. Doch Schönberg war zutiefst gekränkt. Er hatte sich in der Figur "Adrian Leverkühn" natürlich sofort wieder erkannt. Kein Wunder, sein Nachbar im amerikanischen Exil, also Thomas Mann, hatte ihm das Manuskript zur Lektüre überreicht. Schönberg glaubte, er brauche kein Weiterleben in der Literatur, er habe auch so schon viel für die Kunst, für die Musik, vor allem für seine Unsterblichkeit getan ...

Und andere, die klagten sogar vor Gericht gegen die literarische Unsterblichkeit. Etwa der Adoptivsohn des berühmten Schauspielers Gustav Gründgens. Der meinte, die Darstellung seines Vaters in Klaus Manns Roman "Mephisto" - Klaus Mann, der Sohn von Thomas Mann - sei dem postmortalen Persönlichkeitsschutz unterworfen. Der Adoptivsohn bekam Recht. Und trotzdem wurde der Roman veröffentlicht und gelesen. Zumindest der Unsterblichkeit, also der literarischen, hat das immerhin nicht geschadet.


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