Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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27. April 1936 Eiffelturm verkauft - Gauner kommt nach Alcatraz

Ist der Eiffelturm eine Zierde? - Nein, fanden viele Pariser und forderten sogar, das Wahrzeichen der Stadt wieder abzureißen. Eine gute Gelegenheit für den Coup des Jahrhunderts: Ein Gauner gibt sich als stellvertretender Generaldirektor des Postministeriums aus und dreht das Stahlmonster einem Schrotthändler an. Autorin: Prisca Straub

Stand: 27.04.2023 | Archiv

27 April

Donnerstag, 27. April 2023

Autor(in): Prisca Straub

Sprecher(in): Christian Baumann

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Frank Halbach

Der Stahlgigant ist in die Jahre gekommen. Die bogenförmigen Strebepfeiler rosten vor sich hin, die Farbe blättert. Alle paar Jahre steht dem kühnen Wahrzeichen ein frischer Anstrich zu, so hat es Gustave Eiffel verfügt. Doch die minutiösen Anweisungen des Erbauers sind den Pariser Stadtoberen inzwischen ein wenig lästig: Jede neue Schutzschicht kostet ein Vermögen. Gegen den unaufhaltsamen Metallfraß hilft nur strapaziöse Handarbeit: über 18.000 Einzelteile - vom Sockel bis zur obersten Plattform. Mit über 300 Metern ist der Eiffelturm damals zwar das höchste Gebäude der Welt. Aber, pardon messieurs-dames: Auf welch' abstruse Unterhaltsverpflichtung hat man sich da eingelassen?

So richtig en vogue war La Tour Eiffel noch nie gewesen. Die offene Konstruktionsweise, das nüchterne, technische Outfit? Eine Ingenieursmeisterleistung, bien sûr, ein visionäres Projekt für die Pariser Weltausstellung von 1889. Aber jetzt, Jahrzehnte später? - "Eine bemitleidenswerte Straßenlaterne", so heißt es. "Ein skelettierter Glockenturm!" Kurzum: ein architektonisches Verbrechen am Pariser Stadtensemble. - Aber möglicherweise ließe sich der Koloss ja - dekorativ verschalen? - Radikal umbauen? Oder - unter Umständen - sogar komplett abtragen?

Eiffelturm verscherbelt

Insgesamt über 7.000 Tonnen Stahl, bombenfest vernietet und verschraubt. - Und ein Vermögen wert. Das jedenfalls kalkuliert ein elegant gekleideter junger Herr. Mit einem erfundenen Adelstitel sitzt Victor Lustig in einer exklusiven Pariser Hotellobby und lässt den Blick über die Ufer der Seine schweifen. Bisher hat "der Graf" sich mit Kartenspielertricks auf Ozeandampfern über Wasser gehalten.
Jetzt zerlegt er in seiner Fantasie den Eiffelturm in seine Einzelteile: - Stahl und Eisen sind ausgesprochen gefragt. - Wie hoch der reine Materialwert wohl läge? ...

Die atemberaubende Dimension des Geschäfts ist genau das Richtige für den falschen Grafen. Als "stellvertretender Direktor im Auftrag der Stadt" arrangiert er vertrauliche Treffen mit infrage kommenden Schrotthändlern. Wer am meisten böte, würde den Zuschlag erhalten. Streng vertraulich, versteht sich, Diskretion sei alles. Die Demontage würde noch genug Aufregung verursachen.

Bogen überspannt

Der Coup gelingt, der Graf taucht unter. Täglich durchforstet Victor Lustig von Wien aus die Tagespresse: Doch: keine Zeile über den Betrug des Jahrhunderts! Der um ein Vermögen gebrachte Schrotthändler? Schweigt beschämt. - Ließe sich der unverschämte Trick vielleicht sogar noch einmal wiederholen? Victor Lustig beginnt die Maskerade von Neuem und preist den Eiffelturm ein zweites Mal an. Besichtigung des Bauwerks inklusive. - Doch jetzt ist der Bogen überspannt, das potentielle Opfer schöpft Verdacht und geht zur Polizei.

Gerade noch gelingt es dem Grafen, sich abzusetzen. Jahre später wird er in New York verhaftet - wegen Geldfälscherei - und am 27. April 1936 nach Alcatraz überstellt. - Zur Berufsangabe heißt es später: "Kaufmann in Ausbildung". Die Summe, die er für den Eiffelturm abkassieren konnte, hat Graf Lustig ein Leben lang geheim gehalten.


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