Bayern 2 - Das Kalenderblatt


0

4. Januar 2918 Die "Weiße Dame", zweitausend Jahre alte Felszeichnung, entdeckt

Eine weiße Dame mit einer Blume in der Hand? Oder doch ein tanzender Schamane? Sicher ist: die Felszeichnung, die der deutsche Forscher Reinhard Maack im Jahr 1918 in Namibia entdeckte, stammt vom ältesten Volk der Menschheitsgeschichte! Autorin: Isabella Arcucci

Stand: 04.01.2021 | Archiv

04 Januar

Montag, 04. Januar 2021

Autor(in): Isabella Arcucci

Sprecher(in): Caroline Ebner

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Frank Halbach

Reinhard spürt: dieser Ort ist magisch. Der quälende Hunger, die Erschöpfung, die Hitze - alles vergessen. Seine Gefährten streben bereits dem Ausgang der Tsisab-Schlucht zu, aber Reinhard kann sich nicht von den mächtigen Granitblöcken losreißen. Er kriecht auf allen vieren durch eine Felsspalte...

Reinhard Maack ist 26 Jahre alt und Mitglied einer Forschungsgruppe in Deutsch-Südwest, dem heutigen Namibia.

Der Schamane mit der Blume

Das, was er an diesem 4. Januar 1918 auf einem der Granitblöcke in der Tsisab-Schlucht im Brandbergmassiv in Namibia entdeckt, ist ein wahrer Schatz der Menschheitsgeschichte. Eine Felszeichnung, so schön, dass es auch seinen Gefährten die Sprache verschlägt. Eine Jagdszene mit Menschen und Tieren. In der Mitte eine große, schlanke Figur. Ihr Oberkörper ist dunkel, der Unterkörper weiß. In der einen Hand trägt die Figur einen Bogen, in der anderen einen Gegenstand, der an eine Blume erinnert. Eindeutig eine männliche Figur, notiert Reinhard. Erst der Franzose Henri Breuil, seines Zeichens katholischer Priester und Prähistoriker, wird Jahrzehnte später behaupten, es sei eine Frau. Schließlich tragen Männer keine Blumen, ist doch klar. Inzwischen geht die Forschung davon aus, dass es sich bei der "weißen Dame", wie die Figur dank Breuil bis heute genannt wird, um einen männlichen Jäger oder tanzenden Schamanen handelt. Und es ist nicht die einzige Felszeichnung am Brandberg. An die 50000 Bilder sind über das Massiv verstreut, gezeichnet vor mehreren Tausend Jahren vom Volk der San. Der "Buschleute", wie die deutschen Kolonialherren sie abfällig nannten. 

Das älteste Volk der Welt

Umfangreiche Genanalysen ergaben jüngst, dass es sich bei den San um das vermutlich älteste Volk der Welt handelt. Ihre Sprache könnte gar eine Art Ursprache der Menschheit sein. Die Sprache der San verfügt über verschiedene Klick- und Schnalzlaute – aber es gibt kein Wort für "Eigentum".

Die San lebten in kleinen Gruppen als Jäger und Sammler und nahmen der Natur nur so viel, wie sie notwendig zum Leben brauchten.

Bis die Europäer kamen. Mit Lanzen und Schießgewehren in der Hand blickten die weißen Eroberer in ihren verschwitzten Pumphosen voll Verachtung auf die zierlichen, braunen, nackten Menschen. Sie jagten die San, ermordeten oder versklavten sie. Auch Reinhard Maack war Teil dieses Systems. Anfang des ersten Weltkriegs meldete er sich freiwillig für die deutsche Schutztruppe, jene Armee, die den Völkermord an den Herero begangen hatte und an den San ähnliche Verbrechen verübte. Doch Blutvergießen war nicht das, was Reinhard Maack wollte. Bis zu seinem Tod 1969 unternahm er als Wissenschaftler ausgedehnte Forschungsreisen und kämpfte für den Schutz der Natur.

Einige der 100.000 San, die heute noch im südlichen Afrika leben, versuchen in sogenannten Museumsdörfern den Schatz ihrer Kultur zu bewahren.  Mit Handy und Kamera in der Hand blicken die weißen Besucher in ihrer verschwitzten Funktionskleidung staunend auf die zierlichen, braunen, nackten Menschen, die vor ihren Augen Pfeile schnitzen und Babys stillen - und die nach Feierabend, in Jeans und T-Shirt, in ihre modernen Hütten zurückkehren.


0