Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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5. November 2000 Der Star-Archäologe Shin'ichi Fujimura wird als Betrüger entlarvt

Shin'ichi Fujimura avanciert zum Star-Archäologen Japans. Seine Grabungen fördern Kulturgeschichte zu Tage. Bis herauskommt: Der Mann ist ein Betrüger und buddelt vorher ein, was hinterher gefunden wird. Autor: Xaver Frühbeis

Stand: 05.11.2020 | Archiv

05 November

Donnerstag, 05. November 2020

Autor(in): Xaver Frühbeis

Sprecher(in): Christian Baumann

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Frank Halbach

Am 5. November des Jahres 2000 erschien die Morgenausgabe der japanischen Tageszeitung "Mainichi Shimbun" mit einem außergewöhnlichen Aufmacher. Drei große Farbfotos zeigten einen grauhaarigen Mann mit Brille, dunkle Hose, beiger Parka, der auf dem Erdboden kniend mit irgendwelchen kleinen Dingen hantierte. Im Hintergrund waren große, hellblaue Planen zu sehen, mit denen alles abgedeckt war.

Der Ort, an dem der Mann kniete, war die Ausgrabungsstätte von Tsukidate, und den Mann konnte jedes Schulkind mit Leichtigkeit als den Superstar der japanischen Archäologie erkennen. Shin'ichi Fujimura, genannt: "der mit den göttlichen Händen".

In den Job richtig reingraben…

Fujimura war ein Amateur. Allerdings ein unglaublich erfolgreicher. Schon als Kind war er von der Archäologie fasziniert, seitdem er Keramikgegenstände aus der Jomon-Kultur gefunden hatte. Später, neben seiner Arbeit bei einem großen Energieversorger, beschäftigte sich Fujimura regelmäßig als Laienhelfer bei Ausgrabungen, und das mit immer größerem Erfolg. Überall, wo er war, traten erstaunliche Artefakte zutage. Steinwerkzeuge aus weit zurückliegenden Kulturen, in tiefliegenden Bodenschichten, wo man zuvor nie so etwas gefunden hatte. Die japanische Vorgeschichte musste umgeschrieben werden. Fujimuras Ausgrabungsstätten wurden zu finanzierungswürdigen historischen Orten erklärt. Die Medien berichteten, der Tourismus blühte, Schulkinder lasen im Unterricht davon. Fujimura selber wurde Vizepräsident der angesehenen "Tohoku Forschungsstelle für paläolithische Steinwerkzeugkulturen".

Wer anderen eine Grube gräbt…

Insofern wäre an den Fotos in der Morgenausgabe der "Mainichi Shimbun", nichts Besonderes gewesen.

Wenn sie nicht heimlich aufgenommen worden wären und wenn sie nicht einen Mann zeigten, der außerhalb der Grabungszeiten - sich unbeobachtet glaubend - Artefakte nicht aus-, sondern eingrub. Damit man anderntags was zu finden hatte. Der "Mann mit den göttlichen Händen" war ein Betrüger vor dem Herrn.

Zur Rede gestellt, gab Fujimura zu: Ja, an dieser Ausgrabungsstätte habe er tatsächlich Steingeräte eingegraben. Aber nur dort, anderswo nicht, die anderen Funde seien alle echt. Man glaubte ihm nicht. Mit der Zeit stellte sich heraus, dass Fujimura alle seine Funde gefälscht hatte. Er hatte einfach prähistorische Steinwerkzeuge aus viel jüngerer Zeit, die er anderswo gefunden hatte, an den neuen Fundstellen in tiefere Schichten eingegraben, wodurch sie wesentlich "älter" geworden worden. Aufgefallen war das kaum jemandem. Und von denen, die sich gewundert hatten, waren die meisten still gewesen. Fujimuras Ansehen war einfach zu groß.

Der Artikel in der "Mainichi Shimbun" ging wie ein Schock durch Japan und die weltweite Archäologie. Fujimura hatte alles durcheinandergebracht. Die Fundstätten, an denen er gegraben hatte, waren wertlos geworden. Museen mussten Ausstellungsstücke aus dem Bestand nehmen, Schulbücher wurden umgeschrieben, bedeutende Wissenschaftler traten zurück. Die japanische Frühgeschichte hat sich bis heute nicht von dem Betrug erholt.

Fujimura selbst trat zerknirscht und tief gebeugt vor die Presse, entschuldigte sich und verschwand aus der Öffentlichkeit. Strafrechtlich belangt werden konnte er nicht. Er hat seinen Namen geändert, damit man ihn nicht mehr so leicht wiedererkennt, und lebt heute vermutlich als Rentner irgendwo in Japan.


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